Rechtsprechung Bayern

Bayerischer Verfassungsgerichtshof zum Einsatz und Betrieb elektronischer Wasserzähler

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Amtliche Leitsätze: 1. Die in Art. 24 Abs. 4 GO geregelte Möglichkeit, gemeindliche Wasserversorgungsunternehmen in Satzungen über den Anschluss- und Benutzungszwang zum Einsatz und Betrieb elektronischer Wasserzähler mit oder ohne Funkmodul zu berechtigen, und die Regelung in Art. 94 Abs. 4 GO, wonach die Gemeinde abhängig vom Umfang ihrer Beteiligung an Wasserversorgungsunternehmen in Privatrechtsform für die entsprechende Anwendung des Widerspruchsrechts Sorge zu tragen hat oder darauf hinwirken soll, sind mit der Bayerischen Verfassung vereinbar.

2. Soweit in den Schutzbereich der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 106 Abs. 3 BV) überhaupt eingegriffen wird, verfolgt Art. 24 Abs. 4 GO einen verfassungsrechtlich legitimen Zweck und ist zur Zweckerreichung geeignet, erforderlich und verhältnismäßig.

3. Der durch Art. 24 Abs. 4 GO mit der Ermöglichung des Einsatzes elektronischer Wasserzähler bewirkte Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 100, 101 BV) dient hochrangigen Schutzgütern, insbesondere dem Schutz der Trinkwasserhygiene und damit von Leib und Leben der an das Leitungsnetz angeschlossenen Bevölkerung, und ist angesichts der engen Zweckbestimmung für die Datenspeicherung und -verarbeitung in der Vorschrift selbst und der Geltung der Bestimmungen der Datenschutz-Grundverordnung im Übrigen nicht unverhältnismäßig.

4. Eine Verletzung des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 100, 101 BV), das vor Einwirkungen schützt, welche die menschliche Gesundheit im biologisch-physiologischen Sinn beeinträchtigen, liegt nicht vor. Es ist nicht festzustellen, dass von elektronischen Funkwasserzählern relevante Einwirkungen auf die menschliche Gesundheit oder auf das psychische Wohlbefinden ausgehen, die vom Schutzbereich dieses Grundrechts umfasst sind.

BayVerfGH, Entscheidung vom 26.04.2022, Vf. 5-VII-19

Zum Sachverhalt: Gegenstand der Popularklage sind Regelungen in der Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern (Gemeindeordnung – GO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. August 1998 (GVBl. S. 796, BayRS 2020-1-1-I), die zuletzt durch Gesetz vom 9. März 2021 (GVBl. S. 74) geändert worden ist. Sie betreffen den Einsatz und den Betrieb elektronischer Wasserzähler mit oder ohne Funkmodul durch gemeindliche Einrichtungen der Wasserversorgung und durch Wasserversorgungsunternehmen in Privatrechtsform, an denen die Gemeinde beteiligt ist. Nach Art. 23 Satz 1 GO können die Gemeinden zur Regelung ihrer Angelegenheiten Satzungen erlassen. In den Satzungen können sie nach Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 GO aus Gründen des öffentlichen Wohls insbesondere den Anschluss an die Wasserversorgung vorschreiben und vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Vorschriften die Benutzung dieser Einrichtungen zur Pflicht machen. Diese Vorschriften sind nicht Gegenstand des Popularklageverfahrens.

Die angegriffenen Vorschriften der Gemeindeordnung lauten wie folgt:

Art. 24 Inhalt der Satzungen (4)
1. In Satzungen nach Abs. 1 Nr. 2 kann für Einrichtungen der Wasserversorgung bestimmt werden, dass die Gemeinde berechtigt ist, elektronische Wasserzähler mit oder ohne Funkmodul einzusetzen und zu betreiben.
2. In einem elektronischen Wasserzähler dürfen nur Daten gespeichert und verarbeitet werden, die zur Erfüllung der Pflichtaufgabe der Wasserversorgung und zur Gewährleistung der Betriebssicherheit und Hygiene der gesamten Wasserversorgungseinrichtung erforderlich sind.
3. Die gespeicherten Daten dürfen nur ausgelesen und verwendet werden 1. zur periodischen Abrechnung oder Zwischenabrechnung des Wasserverbrauchs und 2. anlassbezogen, soweit dies im Einzelfall zur Abwehr von Gefahren für den ordnungsgemäßen Betrieb der Wasserversorgungseinrichtung und zur Aufklärung von Störungen im Wasserversorgungsnetz erforderlich ist.
4. Jahresverbrauchswerte dürfen ferner zur Berechnung und Festsetzung der Gebühren für die Benutzung einer Abwasserbeseitigungseinrichtung ausgelesen und verwendet werden.
5. Soll ein Wasserzähler mit Funkmodul eingesetzt werden, weist die Gemeinde den Gebührenschuldner und den Eigentümer des versorgten Objekts spätestens drei Wochen vorher in einer verständlichen und von anderen Informationen getrennten Form darauf hin, dass sie oder ein berechtigter Nutzer dem Betrieb eines Wasserzählers unter Verwendung der Funkfunktion innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Wochen nach Zugang des Hinweises jeweils unabhängig voneinander schriftlich widersprechen können.
6. Übt einer der Berechtigten das Widerspruchsrecht fristgerecht aus, darf ein elektronischer Wasserzähler nicht unter Verwendung der Funkfunktion betrieben werden.
7. Die Sätze 5 und 6 finden keine Anwendung, soweit in einem versorgten Objekt mehrere Einheiten einen gemeinsamen Wasserzähler haben. …

Art. 94 Sonstige Vorschriften für Unternehmen in Privatrechtsform … (4)
1. Gehören der Gemeinde Anteile an einem Unternehmen der öffentlichen Versorgung mit Wasser (Wasserversorgungsunternehmen) in dem in § 53 HGrG bezeichneten Umfang oder bedient sie sich zur Durchführung der Wasserversorgung eines Dritten, so hat sie dafür Sorge zu tragen, dass Art. 24 Abs. 4 Satz 5 bis 7 zur entsprechenden Anwendung kommt.
2. Ist eine Beteiligung der Gemeinde an einem Wasserversorgungsunternehmen keine Mehrheitsbeteiligung im Sinn des § 53 HGrG, so soll sie darauf hinwirken, dass Art. 24 Abs. 4 Satz 5 bis 7 zur entsprechenden Anwendung kommt.  Der Antragsteller ist ein eingetragener gemeinnütziger Verein mit Sitz in T (Hessen), der sich nach eigenem Vorbringen gegen die Auswirkungen der Mobilfunktechnik und anderer elektromagnetischer Felder auf die menschliche Gesundheit und die Natur wendet.

Entnommen aus den Bayerischen Verwaltungsblättern 14/2022.