Rechtsprechung Bayern

Entziehung der Fahrerlaubnis vor Inkrafttreten des Cannabisgesetzes

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§§ 80, 122 VwGO; § 3 StVG; §§ 11, 46 FeV (Anordnung des Sofortvollzugs der Entziehung der Fahrerlaubnis in einem vor Inkrafttreten des Cannabisgesetzes erlassenen Bescheid; regelmäßiger Cannabisgebrauch in der Vergangenheit; nicht nachgewiesene Wiederherstellung der Fahreignung; Verstoß gegen Treu und Glauben wegen Rechtsänderung [verneint]; Vollzugsinteresse; ne ultra petita)

Amtliche Leitsätze:

Einer vor Inkrafttreten des Cannabisgesetzes zum 1. April 2024 ausgesprochenen Entziehung der Fahrerlaubnis kann im Hinblick auf die geänderte Rechtslage weder im Klageverfahren noch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegengehalten werden. Die Beurteilung der gegenwärtigen Fahreignung bleibt grundsätzlich dem Wiedererteilungsverfahren vorbehalten.

BayVGH, Beschluss vom 23.04.2025, 11 CS 25.203

Zum Sachverhalt:

Die Antragstellerin wendet sich gegen die vorläufige Vollziehbarkeit der Entziehung ihrer Fahrerlaubnis der Klassen A1, A, B, M, L und S.

Am 30. Juni 2022 wurde der Antragsgegnerin bekannt, dass die Antragstellerin am 6. Februar 2022 im Rahmen eines Suizidversuchs vorschriftswidrig psychoaktiv wirkende Arzneimittel eingenommen hatte.

Nach dem Arztbrief einer Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie vom 10. Februar 2022 wurde bei der Antragstellerin eine schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen (F32.3; DD Schizophrenie Spektrum Störung) diagnostiziert, im Entlassungsbericht vom 23. März 2022 darüber hinaus „psychische und Verhaltensstörungen durch Cannabinoide: schädlicher Gebrauch (F12.1)”. Am 26. April 2022 diagnostizierte eine Ärztin dieser Klinik eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode mit psychotischen Symptomen (F33.2).

Nach einem auf Anforderung der Antragsgegnerin vom 17. Mai 2023 beigebrachten ärztlichen Gutachten einer amtlich ankerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung vom 4. September 2023 lag bei der Antragstellerin eine rezidivierende depressive Störung nach Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV vor. Es bestehe Fahreignung für Fahrzeuge der Gruppe 1, sofern die Auflage (fachärztliche Kontrollen im Abstand von sechs Monaten für zwei Jahre) eingehalten werde. Eine leistungspsychologische Untersuchung vom 28. Juli 2023 habe keine Hinweise auf fahreignungsrelevante Beeinträchtigungen des kognitiven Leistungsvermögens für die Gruppe 1 ergeben. Unter „Anamnese Drogenkonsum” ist ausgeführt, die Antragstellerin habe nach ihren Angaben vom Jahr 2018/2019 an bis etwa Anfang 2022 täglich Cannabis konsumiert. Zwei während der medizinischen Untersuchung abgegebene Urinproben hätten keinen Hinweis auf aktuellen Drogenkonsum ergeben.

Auf eine weitere Beibringungsanordnung vom 25. September 2023 hin legte die Antragstellerin ein medizinisch-psychologisches Gutachten vom 8. Januar 2024 vor, wonach trotz positiver Befunde im Hinblick auf den veränderten Lebensstil und die Stabilisierung ihrer Persönlichkeit eine günstige Prognose wegen fehlender Abstinenznachweise derzeit nicht möglich sei. Daher sei davon auszugehen, dass die Antragstellerin zukünftig Cannabis konsumieren und psychoaktiv wirkende Arzneimittel missbräuchlich einnehmen werde.

Im Rahmen der Anhörung zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis teilte die Antragstellerin mit Schreiben vom 4. März 2024 mit, sie habe von der Antragsgegnerin die Auskunft erhalten, dass keine Abstinenznachweise zu erbringen seien. Ferner legte sie ein ärztliches Attest der sie behandelnden Psychiaterin vom selben Tag vor, das einen positiven Krankheitsverlauf und eine glaubhaft berichtete vollständige Cannabisabstinenz auswies.

Mit Bescheid vom 8. März 2024 entzog die Antragsgegnerin der Antragstellerin die Fahrerlaubnis und verpflichtete sie unter Androhung unmittelbaren Zwangs, ihren Führerschein binnen einer Woche nach Zustellung des Bescheids abzugeben. Ferner ordnete sie die sofortige Vollziehung der beiden Verfügungen an. Der Pflicht zur Abgabe des Führerscheins kam die Antragstellerin am 15. März 2024 nach. Gegen den Entziehungsbescheid ließ sie durch ihren Bevollmächtigten am 11. April 2024 Anfechtungsklage beim Verwaltungsgericht erheben und am 31. Oktober 2024 beantragen, „die aufschiebende Wirkung ihrer Klage … gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 8. März 2024 hinsichtlich der Fahrerlaubnisentziehung wiederherzustellen”.

Mit Beschluss vom 25. Januar 2025 stellte das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 8. März 2024 hinsichtlich der Ziffern 1 und 2 wieder her.

Hiergegen legte die Antragsgegnerin Beschwerde ein.

Die Antragstellerin ließ mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 18. März 2025 ein psychiatrisches Attest vom 25. Februar 2025 vorlegen, wonach keine relevante depressive Beschwerdesymptomatik (Ursache für den Cannabiskonsum) mehr habe eruiert werden können. Seit Längerem weise die Antragstellerin einen unauffälligen psychopathologischen Befund auf. Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung des Umstands, dass sie nicht unter Cannabiseinfluss Auto gefahren sei, sowie der immer noch geltenden Gesetzeslage sei die weitere vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis rechtsmissbräuchlich.

Beitrag entnommen aus Bayerische Verwaltungsblätter 15/2025, S. 522.