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Erstzugriffsrecht der Kommunen gegenüber der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben

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Dieses Thema war Inhalt einer Kleinen Anfrage im Deutschen Bundestag. In der Vorbemerkung der Fragesteller hieß es:

„Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) betreut und verwaltet die Grundstücke des Bundes. Sie ist dabei angehalten, für Bundesaufgaben nicht mehr benötigte oder nicht nutzbare Grundstücke marktwirtschaftlich bzw. entsprechend der Verbilligungsrichtlinie zu veräußern. Dabei wird u.a. zum Zwecke der verstärkten Wohnraumschaffung den Kommunen ein Erstzugriffsrecht und nachträglich eine verbilligte Kaufoption eingeräumt. Die im Jahr 2018 eingeräumte verbilligte Kaufoption soll dabei vorwiegend den sozialen Wohnungsbau vorantreiben.“

Ausgewählte Fragen und die unten vermerkte Antwort der Bundesregierung vom 9.12.2020 werden nachfolgend wiedergegeben:

1. Worin unterscheidet sich nach Einschätzung der Bundesregierung das Erstzugriffsrecht der Kommunen auf Flächen der BImA zum Vorkaufrecht nach § 24 des Baugesetzbuchs (BauGB) gemessen an Fristen und Möglichkeiten der Kommunen?

Das gemeindliche Vorkaufsrecht nach § 24 des Baugesetzbuches (BauGB) ist ein gesetzliches Vorkaufsrecht, welches einen wirksamen Kaufvertrag (Verkaufsfall) voraussetzt. Es besteht nur für Grundstücke in Vorkaufsrechtsgebieten nach § 24 Absatz 1 Nummer 1 bis 7 BauGB. Die Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechtes unterliegt einer Reihe von rechtlichen Einschränkungen. Unter anderem muss die Ausübung des Vorkaufsrechts durch das Wohl der Allgemeinheit gerechtfertigt sein (§ 24 Absatz 3 BauGB). Beim Kauf von Rechten nach dem Wohnungseigentumsgesetz sowie von Erbbaurechten ist das gemeindliche Vorkaufsrecht ausgeschlossen (§ 24 Absatz 2 BauGB). Besteht ein Vorkaufsrecht nicht oder wird es nicht ausgeübt, hat die Gemeinde auf Antrag eines Beteiligten darüber unverzüglich ein Zeugnis auszustellen (§ 28 Absatz 1 Satz 3 BauGB). Dieses Negativattest gilt als Verzicht auf die Ausübung des Vorkaufsrechts. Das Vorkaufsrecht kann nach aktueller Rechtslage grundsätzlich nur binnen zwei Monaten nach Mitteilung des Kaufvertrags ausgeübt werden (§ 28 Absatz 2 Satz 1 BauGB). Die Frist verlängert sich um zwei Monate, wenn zugunsten des Käufers die Abwendungsfrist gemäß § 27 Absatz 1 Satz 3 BauGB verlängert wird.

Im Gegensatz hierzu basiert die Erstzugriffsoption auf einem Beschluss des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages vom 21.3.2012, wonach zugelassen wurde, dass die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) die für Bundeszwecke entbehrlichen Grundstücke aktiv den Gebietskörperschaften zum gutachterlich ermittelten Verkehrswert (ohne Bieterverfahren) zum Kauf anbietet. Da der freie Immobilienmarkt hiernach ausgeschlossen ist, besitzt die Kommune dadurch eine privilegierte Käuferstellung und im Hinblick auf die geforderte Zweckerklärung auch ein wirksames Instrument zur städtebaulichen Entwicklung der Liegenschaft und insbesondere zur Realisierung konkreter kommunaler Vorhaben. Die nähere Konkretisierung und Ausgestaltung des Erstzugriffs vor allem auch zu gegebenen Fristen ist in der vom Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages am 26.9.2018 gebilligten ,Richtlinie der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) zur verbilligten Abgabe von Grundstücken (VerbR 2018)‘ geregelt.

2. Nach welchen Kriterien werden die im Beschluss des Haushaltsausschusses vermerkten – nach den Verkaufsgrundsätzen der BImA ,angemessenen‘ – Fristen bestimmt?

Nach der VerbR 2018 ist hinsichtlich der Fristen nach den jeweiligen Verfahrensschritten für die Erklärung zur Ausübung des Erstzugriffs und für den Abschluss des Grundstückskaufvertrages zu unterscheiden. Alle genannten Fristen sind Regelfristen, die im Einzelfall situationsgerecht entsprechend angepasst (verlängert oder verkürzt) werden können. Von den Kommunen wird im ersten Schritt eine Erklärung erwartet, dass der Erwerb einer konkreten Liegenschaft zur Erfüllung einer kommunalen Aufgabe dient (Zweckerklärung). Im weiteren Verfahren muss dann ein verbindliches Nutzungskonzept (als Vorstufe zur Bauleitplanung) erstellt werden, das die Grundlage für die Verkehrswertermittlung und die anschließenden Kaufpreisverhandlungen bildet.

Die jeweiligen Fristen und deren Angemessenheit werden einerseits aus den Erfahrungswerten der langjährigen engen und partnerschaftlichen Zusammenarbeit der BImA mit den Kommunen entwickelt. Andererseits sind die individuellen Fallgestaltungen und – insbesondere bei großflächigen Konversionsliegenschaften – daraus resultierende Besonderheiten auf kommunaler Seite zum Beispiel bei der politischen Meinungsbildung zu berücksichtigen. Die maßgeblichen Kriterien ergeben sich aus dem erforderlichen Zeitaufwand für die Entwicklung städtebaulicher Zielvorstellungen und die Erstellung eines Nutzungskonzeptes (z.B. Machbarkeitsstudien, städtebauliche Ideenwettbewerbe, Bürgerbeteiligungen), dem Zeitaufwand für die Verkehrswertermittlung und die anschließenden Kaufpreisverhandlungen. Das gesamte Verfahren soll einen Zeitraum von regelmäßig zwei Jahren nicht überschreiten. Soweit die Kommune tragfähige und nachvollziehbare Gründe für eine notwendige Fristverlängerung vorträgt, wird in der Regel ein entsprechender Zeithorizont gemeinsam abgestimmt. Wegen der kommunalen Planungshoheit ist insbesondere beim Verkauf von großflächigen Konversionsliegenschaften eine vertrauensvolle Kooperation mit den Kommunen unter Berücksichtigung kommunaler Interessen unabdingbare Voraussetzung für die erfolgreiche zivile Umnutzung und Verwertung der Liegenschaft.

 

 

  1. Bestehen weitere Möglichkeiten der Kommunen, Flächen und Grundstücke zu reservieren oder anderweitig aus der freien Verwertung fernzuhalten?

Mit der Erstzugriffsoption haben die Kommunen ein effektives Instrument erhalten, entbehrliche Liegenschaften der BImA zur Verwirklichung eines öffentlichen Nutzungszwecks im Direkterwerb auf Basis eines gutachterlichen Verkehrswertes zu erwerben, ohne sich der Konkurrenz privater Käufer in einem Bieterverfahren stellen zu müssen. Im öffentlich-rechtlichen Bereich können die Kommunen auf die Verwertung von entbehrlichen BImA-Liegenschaften insoweit auch mit dem rechtlichen Instrumentarium des Besonderen Städtebaurechts gemäß § 25 i.V.m. den §§ 136 bis 191 BauGB oder im Rahmen von Umlegungsverfahren (§§ 45 ff. BauGB) Einfluss nehmen.“

Antwort der Bundesregierung vom 9.12.2020 (BT-Drs. 19/25092)

Der Beitrag stammt aus der GkBY 9/2022, Rdnr. 80.