Rechtsprechung Bayern

Öffentlichkeit; Verfahrensmangel; Bekanntmachung einer mündlichen Verhandlung

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§ 169 GVG; § 295 ZPO; § 55 VwGO; Art. 6 EMRK

Amtliche Leitsätze:
  1. Für das Merkmal der Öffentlichkeit im Sinn des § 169 Abs. 1 Satz 1 GVG genügt es, dass jedermann die Möglichkeit hat, sich ohne besondere Schwierigkeiten von einer mündlichen Verhandlung Kenntnis zu verschaffen, und dass der Zutritt im Rahmen der tatsächlichen Gegebenheiten eröffnet ist (vgl. BVerfG, B.v. 10.10.2001 – 2 BvR 1620/01 – NJW 2002, 814; BVerwG, B.v. 20.07.2016 – 9 B 64.15 – juris Rn. 51).
  2. Weist der Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht auf einen Verfahrensfehler (Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz durch fehlende Anzeige der Verhandlung auf der elektronischen Anzeigetafel) hin, obwohl er den Verstoß kannte oder hätte kennen müssen, tritt nach § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 295 Abs. 1 ZPO Rügeverlust ein.

BVerwG, Beschluss vom 19.09.2023, 9 B 14.23

Zum Sachverhalt:

Der Kläger, eine anerkannte Umwelt- und Naturschutzvereinigung, wendet sich mit seiner Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss des Beklagten vom 21. Dezember 2016 für den Neubau der Bundesstraße 49 zur Ortsumgehung der Ortslagen Reiskirchen und Reiskirchen-Lindenstruth.

Der Kläger wurde mit gerichtlichem Schreiben vom 31. Mai 2022 zur mündlichen Verhandlung am 20. September 2022 geladen. Die Ladung enthielt den Hinweis, dass die mündliche Verhandlung bei Bedarf am 21. September 2022 fortgesetzt werde.

Auf der Internetseite des Verwaltungsgerichtshofs Kassel befand sich ein Hinweis auf die Sitzung am 20. September 2022, nicht aber auf den etwaigen Folgetermin. In der mündlichen Verhandlung am 20. September 2022 wurde unter Angabe von Ort und Uhrzeit beschlossen und verkündet, dass die mündliche Verhandlung am Folgetag fortgesetzt wird. Die Fortsetzung der mündlichen Verhandlung fand am 21. September 2022 in einem fensterlosen Sitzungssaal statt.

Aufgrund eines Versehens der Geschäftsstelle wurde der Fortsetzungstermin weder an der elektronischen Termintafel im Foyer des Gerichtsgebäudes noch an der elektronischen Anzeigetafel neben der Eingangstür zum Sitzungssaal angezeigt. Der Sitzungssaal wurde von den Mitgliedern des erkennenden Senats über einen Korridor betreten, der nicht an der Anzeigetafel des Sitzungssaals und nur seitlich an der Übersichtstafel im Foyer des Gerichtsgebäudes vorbeiführt.

Der Verwaltungsgerichtshof Kassel hat die Klage − in einem Verkündungstermin am 5. Oktober 2022 − abgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers vom 16. März 2023.

Entnommen aus Bayerische Verwaltungsblätter 9/2024, S. 315.