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Wasserrecht: Wegen Baumsturzgefahr per Allgemeinverfügung angeordnetes Paddelverbot voraussichtlich rechtswidrig

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Art. 3 Abs. 1 GG, § 25 Satz 1 WHG, Art. 141 Abs. 3 BV, Art. 18 Abs. 1, 3 BayWG

Wasserrechtlicher Gemeingebrauch; Verbot des Befahrens eines Gewässers mit kleinen Fahrzeugen ohne eigene Triebkraft; Gefahr für Leben und Gesundheit; Gefahrenverdacht; Verhältnismäßigkeit

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 24.07.2024, Az. 8 CS 24.676

Orientierungssätze der Landesanwaltschaft Bayern
  1. Der Erlass einer auf Art. 18 Abs. 3 BayWG gestützten Allgemeinverfügung, mit der die Ausübung des wasserrechtlichen Gemeingebrauchs zur Verhütung von Gefahren für Leben und Gesundheit untersagt werden soll, muss sich an allgemeinen sicherheitsrechtlichen Grundsätzen messen lassen.
  2. Es spricht alles dafür, dass die Ausübung des wasserrechtlichen Gemeingebrauchs grundsätzlich auf eigenes Risiko erfolgt. Ein Risiko, dessen Verwirklichung nach der Rechtsordnung zu Lasten desjenigen geht, der sich ihm ausgesetzt hat, begründet möglicherweise bereits keine rechtlich relevante Gefahr.
  3. Im Falle eines bloßen Gefahrenverdachts müssen sich gefahrenabwehrende Maßnahmen auch im Rahmen des Art. 18 Abs. 3 BayWG strikt am Ziel der gebotenen weiteren Sachverhaltsaufklärung orientieren.
Bemerkung der Landesanwaltschaft Bayern

Mit dem vorliegenden Beschluss hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) einer Beschwerde teilweise stattgegeben, mit der sich der Antragsteller als Kanusportler gegen das sog. Paddelverbot auf der Fränkischen Saale im Landkreis Bad Kissingen wandte.

1. Mit Bescheid vom 09.02.2024 untersagte das Landratsamt Bad Kissingen per Allgemeinverfügung weitgehend das Befahren der Fränkischen Saale mit kleinen Fahrzeugen ohne eigene Triebkraft im Gebiet des Landkreises Bad Kissingen; die sofortige Vollziehung wurde angeordnet. Begründet wurde die Allgemeinverfügung im Wesentlichen damit, dass aufgrund der Vielzahl der abbruchgefährdeten bzw. umsturzgefährdeten Bäume entlang der Fränkischen Saale eine Gefahr für Leib und Leben bestehe, die über das allgemeine Lebensrisiko in Bezug auf naturtypische Gefahren hinausgehe. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass schadhafte Bäume nicht immer erkennbar seien und Bäume jederzeit, auch ohne erkennbar äußere Einwirkung, umstürzen oder Äste abbrechen könnten. Aufgrund des beschriebenen Zustands vieler Bäume müsse daher jederzeit mit dem Eintritt eines entsprechenden Schadens gerechnet werden, zumal die Fränkische Saale als Bootwanderstrecke beworben und in den Sommermonaten, insbesondere durch ungeübte Kanufahrende, im Rahmen der Freizeitgestaltung intensiv genutzt werde. Die Zahlen zu den schadhaften Bäumen seien vom Wasserwirtschaftsamt für repräsentative Abschnitte erhoben worden und ließen sich auf die gesamte Strecke der Saale im Landkreis Bad Kissingen übertragen. Die Tatbestandsseite der Rechtsgrundlage des Art. 18 Abs. 3 BayWG, im vorliegenden Fall Gefahren für Leib und Leben, sei damit erfüllt. Die Allgemeinverfügung sei auch nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens erlassen worden; die Verfügung sei insbesondere verhältnismäßig, da mildere, aber gleich effektive Mittel nicht ersichtlich seien.

Den dagegen gerichteten Eilantrag hat das Verwaltungsgericht abgelehnt. In der Beschwerdebegründung machte der Antragsteller insbesondere geltend, es liege bereits keine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit vor. Zudem habe das Paddelverbot auf einen bestimmten Personenkreis („erfahrene“ Kanusportler), dem er angehöre, nicht erstreckt werden dürfen. Mit Allgemeinverfügung vom 20.06.2024 hat das Landratsamt einen weiteren, 1,1 km langen Flussabschnitt von dem Verbot ausgenommen. Dort befindliche stark einsturzgefährdeten Bäume seien identifiziert und fachgerecht entnommen worden.

Der BayVGH hat die Untersagungsverfügung als voraussichtlich rechtswidrig eingestuft, die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Allgemeinverfügung allerdings nicht ex tunc, sondern erst mit Wirkung vom 01.03.2025 wiederhergestellt. Im Übrigen wurde die Beschwerde zurückgewiesen.

2. Nach Auffassung des Gerichts begegnet die streitgegenständliche Allgemeinverfügung – jedenfalls in ihrer konkreten Ausgestaltung – nicht unerheblichen rechtlichen Bedenken:

Dies macht der Senat zunächst daran fest, dass aus seiner Sicht alles dafür spreche, dass die Ausübung des wasserrechtlichen Gemeingebrauchs grundsätzlich auf eigenes Risiko erfolgt (Rn. 10-12, 40). Ein Risiko, dessen Verwirklichung nach der Rechtsordnung zu Lasten desjenigen gehe, der sich ihm ausgesetzt habe, begründe aber möglicherweise bereits keine rechtlich relevante Gefahr im Sinne von Art. 18 Abs. 3 BayWG (Rn. 9, 13). Die abschließende Klärung dieser Frage weist der Senat dem Hauptsacheverfahren zu (Rn. 7).

Auch wenn das Vorliegen einer Gefahr i.S. des Art. 18 Abs. 3 BayWG nicht aus grundsätzlichen rechtlichen Gründen ausgeschlossen wäre, läge ein voraussichtlicher Rechtsfehler der Allgemeinverfügung nach dem BayVGH darin, dass vorliegend im Wesentlichen lediglich von einem Gefahrenverdacht, nicht aber von einer flächendeckend nachgewiesenen konkreten Gefahr einer Verletzung oder Tötung von Personen aufgrund umstürzender Bäume oder aufgrund von Bäumen abbrechender Äste auszugehen sei (Rn. 15-20, 11). Im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit seien daher vorliegend in erster Linie Gefahrerforschungseingriffe zulässig, woran die Allgemeinverfügung mangels konkreter, realisierbarer Planung der weiteren – zeitnah beabsichtigten – Sachverhaltsaufklärung durch das Landratsamt jedoch nicht ausreichend orientiert sei (Rn. 22-26, 40).

Schließlich sei die Allgemeinverfügung wohl auch im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz problematisch, da sie den Gemeingebrauch von Badenden oder Schwimmern nicht untersage, obwohl diese sich aus Sicht des BayVGH nicht besser gegen die bestehenden Gefahren schützen könnten. Es spreche demnach viel dafür, dass das Landratsamt das Verbot erst recht auf das Schwimmen und Baden im Fluss hätte erstrecken müssen (Rn. 28-30, 41). Alle übrigen Einwände des Antragstellers gegen die Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung weist der Senat demgegenüber zurück (Rn. 31-38).

Trotz der damit aus Sicht des BayVGH durchaus bestehenden Erfolgsaussichten der Klage des Antragstellers im Hauptsacheverfahren hat der Senat die aufschiebende Wirkung erst mit Wirkung vom 01.03.2025 wiederhergestellt. Ausschlaggebend für diese Entscheidung sei, dass der wesentliche Grund für die Annahme, die Verfügung werde sich voraussichtlich als rechtswidrig erweisen, darin liege, dass das angeordnete Verbot nicht strikt am Ziel der gebotenen weiteren Sachverhaltsaufklärung orientiert sei. Unter Berücksichtigung der betroffenen Schutzgüter von höchstem Rang, aber auch der bis ins Frühjahr 2023 zurückreichenden Vorgeschichte der Angelegenheit, halte es der Senat für angemessen, dass dem Landratsamt als zuständiger Gefahrenabwehrbehörde nunmehr noch bis 28.02.2025 Zeit bleibe, mit allen zur Verfügung stehenden Kräften und gegebenenfalls unter Heranziehung externer Sachverständiger die notwendigen Ermittlungen vorzunehmen. Dabei wird klargestellt, dass das Wasserwirtschaftsamt für die Beurteilung von Baumsturzgefahren fachlich nicht zuständig ist (Rn. 11). Ab dem 01.03.2025 müssten hingegen Personen, denen mit der Verfügung die Ausübung des Gemeingebrauchs untersagt werde, das Verbot auf der Grundlage eines Gefahrenverdachts nicht länger hinnehmen. Bei dieser Annahme berücksichtige der Senat auch, dass alles dafür spreche, dass die Ausübung des wasserrechtlichen Gemeingebrauchs grundsätzlich auf eigenes Risiko erfolge (Rn. 40).

Selbstverständlich sei die Gefahrenabwehrbehörde auch nach dem 01.03.2025 zudem nicht daran gehindert, auf Hinweisschildern auf die „Gefahr“ umstürzender Bäume und abbrechender Äste hinzuweisen. Mangels Eingriffsqualität bedürfe ein Aufstellen solcher Schilder keiner Rechtsgrundlage (Rn. 42).

3. Aus Sicht der Landesanwaltschaft betrifft die vorliegende Entscheidung wichtige Grundsatzfragen zu Gefahrenabwehrmaßnahmen auf Grundlage von Art. 18 Abs. 3 BayWG.

Soweit der Senat davon ausgeht, dass die Ausübung des wasserrechtlichen Gemeingebrauchs grundsätzlich auf eigenes Risiko erfolgt, deckt sich dies mit der Position, die der Freistaat Bayern als Antragsgegner im Verfahren vertreten hatte. Von grundlegender Bedeutung ist demgegenüber die daran anknüpfende Folgefrage, ob in dieser Konstellation das Vorliegen einer Gefahr i.S. des Art. 18 Abs. 3 BayWG im Regelfall von vornherein ausgeschlossen und auf Fallgruppen beschränkt ist, in denen ein bestehendes Risiko nicht auf natürliche Vorgänge, sondern auf menschliches Verhalten zurückzuführen ist. Die Klärung dieser Rechtsfrage – die der Senat dem Hauptsacheverfahren zugewiesen hat – erscheint in hohem Maße erstrebenswert. Allerdings macht der BayVGH bereits deutlich, dass eine rechtlich relevante Gefahr möglicherweise besteht, wenn diese auf menschliches Verhalten zurückzuführen ist (z.B. künstlich angelegte Ein- und Ausstiegsstellen oder Badestellen). Die Verkehrssicherungspflicht würde sich dann aber nur auf solche räumlich eng definierten Bereiche, wie den Ein- und Ausstiegsbereich bzw. die Badestelle, beziehen (Rn. 13).

Soweit der Senat seine Entscheidung im Übrigen zentral (auch) darauf stützt, dass bei einem im Wesentlichen bloßen Gefahrenverdacht im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auf der Rechtsfolgenseite in erster Linie lediglich Gefahrerforschungseingriffe zulässig sind, entspricht dies anerkannten Grundsätzen des Sicherheitsrechts. Indem die vorliegende Entscheidung klarstellt, dass diese auch im Rahmen von Art. 18 Abs. 3 BayWG zu beachten sind, kann sie die Vollzugspraxis der Wasserrechtsbehörden als mit Blick auf die Ausübung des wasserrechtlichen Gemeingebrauchs zuständige Gefahrenabwehrbehörden weiter stärken.

 

Oberlandesanwalt Martin Höfler ist bei der Landesanwaltschaft Bayern schwerpunktmäßig u.a. zuständig für Wasserrecht, Versammlungsrecht, Lotterierecht, Tierseuchenrecht.

 

 

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