§ 4 StVG (Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem; Durchlaufen des Stufensystems; Ergreifen einer Maßnahme mit abschließender Bearbeitung durch die Behörde)
Nichtamtlicher Leitsatz:
Eine Ermahnung oder Verwarnung ist „ergriffen“ im Sinn des § 4 Abs. 6 StVG, wenn die Behörde das jeweilige Schreiben aus ihrer Sicht abschließend bearbeitet hat, was regelmäßig mit dem Tag des Ausstellens zusammenfallen dürfte.
BayVGH, Urteil vom 18.03.2024, 11 BV 23.1193
(nicht rechtskräftig)
Zum Sachverhalt:
Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A79, A179, AM, B und L.
Mit Schreiben vom 26. September 2016 widerrief das Landratsamt W eine Verwarnung vom 6. August 2014 und ermahnte den Kläger nach Erreichen von fünf Punkten im Fahreignungsregister gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 StVG. Das Schreiben wurde am 28. September 2016 bei der Postfiliale O niedergelegt und die Benachrichtigung über die Niederlegung ausweislich der Postzustellungsurkunde in den „Mehrfamilienbriefkasten“ eingelegt.
Nach Erreichen von sieben Punkten im Fahreignungsregister verwarnte das Landratsamt den Kläger mit Schreiben vom 1. Dezember 2020 gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 StVG. Der Verwarnung war eine Kostenrechnung über 21,02 Euro beigefügt. Sie sollte gegen Postzustellungsurkunde, die nicht in Rücklauf kam, unter der Anschrift M-Straße 1, O, zugestellt werden.
Am 11. Januar 2021 trat der Kläger eine längere Strafhaft an.
Mit Schreiben vom selben Tag mahnte die Kreiskasse die Zahlung der Verwarnungsgebühr an. Am 18. Januar 2021 wurde die Kostenrechnung beglichen.
Mit Schreiben vom 3. März 2021 übermittelte das Landratsamt dem Kläger eine Kopie der Verwarnung vom 1. Dezember 2020 gegen Postzustellungsurkunde an seine bisherige Wohnanschrift.
Mit Schreiben vom 19. März 2021 teilte die Deutsche Post dem Landratsamt auf Anfrage hin mit, dass eine intensive Suche nach der Postzustellungsurkunde zur Verwarnung vom 1. Dezember 2020 erfolglos geblieben sei.
Nach einer Auskunft des Kraftfahrt-Bundesamts vom 22. März 2022 wurde der Kläger durch das Amtsgericht Würzburg mit sofort rechtskräftiger Entscheidung vom 16. Februar 2022 wegen 21-maligen fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 StVG; Tattag: 11.12.2020) verurteilt.
Hierfür wurden 42 Punkte in das Fahreignungsregister eingetragen.
Im Rahmen der Anhörung zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis nahm der Bevollmächtigte des Klägers Akteneinsicht und trug sodann mit Schreiben vom 21. Juni 2022 vor, dass der Kläger weder die Verwarnung vom 1. Dezember 2020 noch deren Kopie vom 3. März 2021 erhalten habe. Ein Verwandter habe am 18. Januar 2021 auf die Mahnung hin die Zahlung von 21,02 Euro getätigt. Der Kläger habe sich zu dieser Zeit bereits in Haft befunden.
Mit Bescheid vom 6. Juli 2022 entzog das Landratsamt dem Kläger die Fahrerlaubnis und forderte ihn unter Androhung eines Zwangsgelds auf, seinen Führerschein unverzüglich, spätestens innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheids, abzugeben.
Ferner ordnete es die sofortige Vollziehung dieser Verfügungen an. Seiner Ablieferungspflicht kam der Kläger am 25. Juli 2022 nach.
Am 15. Juli 2022 ließ er durch seinen Bevollmächtigten Klage beim Verwaltungsgericht Würzburg erheben und zugleich die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragen, was das Gericht mit Beschluss vom 17. August 2022 ablehnte. Die hiergegen gerichtete Beschwerde wies der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 2. November 2022 (11 CS 22.1984, 11 C 22.1992) zurück.
Mit Urteil vom 24. Mai 2023 wies das Verwaltungsgericht auch die Klage ab. Mit der vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Berufung verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzziel weiter.
Beitrag entnommen aus Bayerische Verwaltungsblätter 16/2024, S. 556.