Rechtsprechung Bayern

Inflationsausgleichsprämie

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Eine vom Arbeitgeber gezahlte Inflationsausgleichsprämie ist pfändbares Arbeitseinkommen

Das entschied der Bundesgerichtshof (BGH) in seinem unten vermerkten Beschluss vom 25.4.2024. Der Entscheidung entnehmen wir auszugsweise folgende Erwägungen:

1. Kein Pfändungsschutz nach § 850i Abs. 1 Satz 1 Fall 1 ZPO

Hierzu der BGH:

„Nach § 850i Abs. 1 Satz 1 Fall 1 ZPO hat das Gericht dem Schuldner, wenn nicht wiederkehrend zahlbare Vergütungen für persönlich geleistete Arbeiten oder Dienste gepfändet werden, auf Antrag während eines angemessenen Zeitraums so viel zu belassen, als ihm nach freier Schätzung des Gerichts verbleiben würde, wenn sein Einkommen aus laufendem Arbeits- oder Dienstlohn bestünde. Dagegen bestimmt sich der Pfändungsschutz für wiederkehrendes Arbeitseinkommen nach §§ 850 bis 850h ZPO (Stein/Jonas/Würdinger, ZPO, 23. Aufl., § 850 Rn. 19; § 850i Rn. 4; Stöber/Rellermeyer/Rellermeyer, Forderungspfändung, 17. Aufl., Rn. C. 2 …). Eine nicht wiederkehrend zahlbare Vergütung kann auch – neben den laufenden Bezügen – für Dienst- und Arbeitsleistungen des Schuldners in unselbständiger Arbeit geschuldet sein (BAG, BAGE 32, 96, 102 ff.; Stöber/Rellermeyer/Rellermeyer, a.a.O. Rn. C. 514).

Danach bemisst sich im Streitfall der Pfändungsschutz für die Inflationsausgleichsprämie nach den §§ 850a bis 850h ZPO, insbesondere nach § 850c ZPO. Die Prämie ist Teil des wiederkehrend zahlbaren Arbeitseinkommens … Zwar erhält ein Mitarbeiter nach dem Wortlaut der Anlage 1c Abs. 1 AVR C. eine Einmalzahlung. Maßgeblich ist lediglich, ob er an mindestens einem Tag im Auszahlungsmonat Anspruch auf Dienstbezüge hat. Das spricht für den nicht wiederkehrenden Charakter der Vergütung und die Anwendbarkeit des § 850i ZPO (so Ahrens, NJW-Spezial 2022, 725, 726; ders., ZVI 2023, 106, 112). Allerdings erlangt der Schuldner die Prämie nach der Anlage 1c Abs. 1 AVR C. in Verbindung mit § 3 Nr. 11c EStG zusätzlich zu dem ohnehin geschuldeten Gehalt. Da für die Erbringung der Arbeitsleistung ein wiederkehrendes Gehalt geschuldet ist, ist die Prämie Teil der wiederkehrend zahlbaren Vergütung. Daran ändert auch die einmalige Zahlweise der Prämie nichts. Die Inflationsausgleichsprämie vergütet weder eine von dem Schuldner erbrachte Zusatz- oder Mehrarbeit noch eine besondere einmalige Leistung. Ihr Bezugspunkt ist vielmehr die bereits mit dem laufenden Gehalt vergütete, regelmäßige Arbeitsleistung. Die Prämie erhöht bei gleichbleibender Arbeitsleistung das zu entrichtende Gehalt.“

2. Inflationsausgleichsprämie ist nicht als Erschwerniszulage nach § 850a Nr. 3 ZPO unpfändbar

Insoweit der Beschluss:

„Eine Erschwernis nach § 850a Nr. 3 ZPO setzt eine besondere Belastung bei der oder durch die Erbringung der Arbeitsleistung voraus (vgl. BGH, Beschluss vom 13.7.2023 – IX ZB 24/22, WM 2023, 1653 Rn. 10 m.w.N.). Die Inflationsausgleichsprämie, die … der Abmilderung des Anstiegs der Verbraucherpreise dient, hat keinen Bezug zu der Art der Erbringung einer Arbeitsleistung …“

3. Die Inflationsausgleichsprämie ist auch nicht als Aufwandsentschädigung im Sinne des § 850a Nr. 3 ZPO unpfändbar

Das Gericht dazu:

„Der Pfändungsschutz für Aufwandsentschädigungen hat seinen Grund darin, dass die Aufwandsentschädigung in Wirklichkeit kein Entgelt für eine Arbeitsleistung darstellt, sondern den Ersatz für tatsächlich entstandene Auslagen, für die der Empfänger der Vergütung bereits seine Gegenleistung aus seinem Vermögen erbracht hat oder noch erbringen muss. Der Schuldner soll davor geschützt werden, dass ihm der Gegenwert für seine tatsächlichen Aufwendungen durch die Pfändung noch einmal entzogen und dass ihm damit letztlich die Fortführung seiner Tätigkeit unmöglich gemacht wird, weil er die dafür erforderlichen Auslagen nicht mehr aufbringen kann. Die Aufwandsentschädigungen werden mithin für Aufwendungen gezahlt, die im Zusammenhang mit einer Tätigkeit notwendig werden und die nicht mit dem eigentlichen Entgelt für die Tätigkeit bereits abgegolten sind (BGH, Beschluss vom 6.4.2017 – IX ZB 40/16, ZIP 2017, 976 Rn. 10 m.w.N.). Mit der Inflationsausgleichsprämie bezweckt der Arbeitgeber keinen Ausgleich tatsächlich entstandener Auslagen im Zusammenhang mit einer Tätigkeit, sondern die Abmilderung allgemein gestiegener Verbraucherpreise (vgl. Ahrens, NJW-Spezial 2022, 725 …).“

4. Die Unpfändbarkeit des Anspruchs auf Auszahlung der Prämie folgt auch nicht aus § 851 Abs. 1 ZPO

Hierzu schließlich noch der BGH:

„Nach § 851 Abs. 1 ZPO ist eine Forderung nur pfändbar, wenn sie übertragbar ist. Damit verweist § 851 Abs. 1 ZPO unter anderem auf die Regelung des § 399 Fall 1 BGB. Danach kann eine Forderung nicht abgetreten werden, wenn die Leistung an einen anderen als den ursprünglichen Gläubiger nicht ohne Veränderung ihres Inhalts erfolgen kann. § 399 Fall 1 BGB erfasst Forderungen, die aufgrund ihres Leistungsinhalts eine so enge Verknüpfung zwischen den Parteien des Schuldverhältnisses herbeiführen, dass ein Wechsel in der Gläubigerperson als unzumutbar anzusehen ist beziehungsweise die Identität der Forderung nicht gewahrt bleibt. Hierzu gehören zweckgebundene Forderungen, soweit der Zweckbindung ein schutzwürdiges Interesse zugrunde liegt (BGH, Beschluss vom 10.3.2021 – VII ZB 24/202), BGHZ 229, 94 Rn. 10 m.w.N.).

Gemessen daran ist die Inflationsausgleichsprämie nicht unpfändbar; sie ist insbesondere nicht zweckgebunden … Die Anlage 1c AVR C.3) formuliert mit der Abmilderung des schnellen Anstiegs der Verbraucherpreise einen Zweck, enthält aber keine Zweckbindung. Denn in der Verwendung der Prämie ist der Arbeitnehmer frei. Anders als bei der Corona-Soforthilfe (BGH, Beschluss vom 10.3.2021 – VII ZB 24/20, BGHZ 229, 94 Rn. 11) oder der Corona-Überbrückungshilfe III (BGH, Beschluss vom 16.8.2023 – VII ZB 64/214), WM 2023, 1742 Rn. 20), bei denen es sich um staatliche Hilfsmaßnahmen im Krisenfall handelt, verlangt die Anlage 1c AVR C. keine zweckentsprechende Verwendung der Inflationsausgleichsprämie. Die Zweckbindung gehört nicht zum Inhalt des Anspruchs; eine zweckwidrige Verwendung würde den Leistungsinhalt des Anspruchs nicht ändern und wäre von dem Empfänger nicht zu verantworten. Eine – wie hier – bloße Zweckbestimmung genügt nicht (vgl. Musielak/Voit/Flockenhaus, ZPO, 21. Aufl., § 851 Rn. 6d).

Gegen eine Zweckbindung der Inflationsausgleichsprämie spricht auch, dass die Pfändungsfreigrenze für Arbeitseinkommen nach § 850c ZPO jedes Jahr zum 1.7. durch § 850 Abs. 4 Satz 1 ZPO in Verbindung mit der Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung angepasst wird und die durch die Inflation gestiegenen Lebenshaltungskosten bereits bei der Bemessung der neuen Pfändungsfreigrenze berücksichtigt werden …“

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.4.2024 – IX ZB 55/23

Beitrag entnommen aus Die Gemeindekasse Bayern 18/2024, Rn. 149.