Art. 12 Abs. 1 , Art. 14 Abs. 1, Art. 19 Abs. 3, Abs. 4 Satz 1 GG, § 47 VwGO, §§ 32, 28, 28a, 28b IfSG, § 13 12. BayIfSMV
Zwölfte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (12. BayIfSMV); Sog. Bundesnotbremse; Grundsätzliche Untersagung von Gastronomiebetrieben; Krisenstabsprotokolle des Robert Koch-Instituts (RKI)
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 03.04.2025, Az. 20 N 21.778
Orientierungssatz der Landesanwaltschaft Bayern
Der Verordnungsgeber der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnungen konnte sich bei seiner Einschätzung der Corona-Pandemie zulässigerweise auf die Risikobewertung und die weiteren, offiziell verlautbarten Erkenntnisse des Robert Koch-Instituts (RKI) stützen.
Bemerkung der Landesanwaltschaft Bayern
1. Mit Beschluss vom 03.04.2025, Az. 20 N 21.778, entschied der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) abschlägig über den Normenkontrollantrag eines Unternehmens der Systemgastronomie, das von der grundsätzlichen Untersagung von Gastronomiebetrieben jeder Art durch § 13 der Zwölften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (12. BayIfSMV) vom 05.03.2021 betroffen war. Zulässig blieben die Abgabe und Lieferung mitnahmefähiger Speisen und Getränke. Die 12. BayIfSMV trat mit Ablauf des 06.06.2021 außer Kraft.
Der BayVGH hält den Normenkontrollantrag für zulässig und bestätigt der Antragstellerin insbesondere ein berechtigtes Interesse an der nachträglichen Feststellung der Unwirksamkeit der angegriffenen Norm. Nur soweit die sog. Bundesnotbremse (§ 28b IfSG in der Fassung des Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 22.04.2021) unmittelbar gegolten habe (d.h. in Bezug auf die Gastronomie bei einer 7-Tage-Inzidenz von über 100 in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt) sei die angegriffene Bestimmung der 12. BayIfSMV „ins Leere gegangen“. Dies lasse aber aufgrund der von der Regelung ausgehenden Belastung der Antragstellerin während der übrigen Geltungsdauer der 12. BayIfSMV ihr Feststellungsinteresse unberührt.
Der Normenkontrollantrag sei jedoch unbegründet. Die Schließung der Gastronomie habe in den dafür herangezogenen Bestimmungen des IfSG einschließlich dessen durch das Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 18.11.2020 eingeführten § 28a IfSG eine verfassungskonforme Grundlage gefunden, deren Voraussetzungen vorgelegen hätten. Die Untersagung von Gastronomiebetrieben sei eine notwendige Schutzmaßnahme zur Bekämpfung der Infektionskrankheit Covid-19 im Sinne dieser Ermächtigungsgrundlage gewesen.
Mit der Schließung von gastronomischen Einrichtungen habe der Verordnungsgeber ein legitimes Ziel verfolgt, das mit dem Zweck der Verordnungsermächtigung in Einklang stand. Der BayVGH zieht insoweit den dem Erlass der 12. BayIfSMV unmittelbar vorangegangenen Beschluss zur Videokonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder vom 03.03.2021, die Begründung der 12. BayIfSMV sowie den Situationsbericht des RKI vom 05.03.2021 und weitere Lageberichte des RKI heran. Er stellt fest, dass der Verordnungsgeber der 12. BayIfSMV sich bei seiner Einschätzung zulässigerweise auf die Risikobewertung und weiteren Erkenntnisse des RKI habe stützen können. Das gelte insbesondere für die damaligen offiziellen Stellungnahmen des RKI. Für die mit dem Normenkontrollantrag herangezogenen Krisenstabsprotokolle des RKI gelte, dass sie als interne Arbeitsdokumente den offenen Diskurs widerspiegeln, der seinerzeit im RKI geführt worden sei. Einzelne Äußerungen im Rahmen solcher Diskussionen stellten nicht zwangsläufig die abgestimmte Position des RKI dar. Mit den offiziellen Veröffentlichungen oder Empfehlungen des RKI seien die Krisenstabsprotokolle nicht zu verwechseln.
Der BayVGH hat keine Zweifel an der Eignung und Erforderlichkeit der Schließung gastronomischer Betriebe, um das mit der 12. BayIfSMV verfolgte Ziel zu erreichen, die von Covid-19 ausgehenden Gefahren zu begrenzen. Im Rahmen seiner Prüfung der Erforderlichkeit weist der BayVGH besonders darauf hin, dass tatsächliche oder vermutete Aufklärungsdefizite des Verordnungsgebers bezüglich des Verursachungsbeitrags einzelner Geschäftsbereiche (wie der Gastronomie) zum Infektionsgeschehen für die Verhältnismäßigkeit einzelner Maßnahmen keine Rolle spielten.
So habe das Fehlen fundierter wissenschaftlicher Erkenntnisse zur Häufigkeit von Übertragungen des SARS-CoV-2-Virus in Gaststätten nicht dazu geführt, dass sich die Annahme des Verordnungsgebers, dass die Reduzierung von menschlichen Kontakten zu einem Rückgang von Neuinfektionen bzw. im Gegenteil das Offenhalten gastronomischer Einrichtungen zu einer Mehrung von Infektionen führen würde, aus damaliger Sicht als fehlerhaft erweisen würde. Auf die damalige Sicht (ex-ante-Sicht) kommt es an.
2. Ähnlich unbeeindruckt von den Krisenstabsprotokollen des RKI, deren Herausgabe und Inhalte das Online-Magazin „Multipolar“ und andere als besonderen Erfolg bzw. als Sensation feierten, zeigten sich auch andere Oberverwaltungsgerichte in Entscheidungen über Normenkontrollen, in denen die Krisenstabsprotokolle ebenfalls bemüht worden waren (z.B. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 11.04.2024, Az. 1 S 278/23, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 05.03.2025, Az. 13 D 91/21.NE, juris; Sächsisches OVG, Urteil vom. 16.01.2025, Az. 3 C 85/21, juris; OVG Saarlouis, Urteil vom 10.07.2024, Az. 2 C 14/24, juris), ferner das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 05.09.2024, Az. 1 WB 50/22, juris.
3. Mit zwei weiteren Entscheidungen vom 03.04.2025 (Az. 20 N 21.147 und Az. 20 N 20.2908) lehnte der BayVGH Normenkontrollanträge gegen die grundsätzliche Untersagung von Gastronomiebetrieben auch nach der Elften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (11. BayIfSMV) vom 15.12.2020 (mit Geltung bis einschließlich 07.03.2021) und der Neunten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (9. BayIfSMV) vom 01.12.2020 (mit Geltung bis einschließlich 08.12.2020) ab. Bereits mit Beschluss vom 18.10.2024, Az. 20 N 20.2817, juris hatte der BayVGH einen Normenkontrollantrag gegen die grundsätzliche Untersagung von Gastronomiebetrieben nach der Achten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (8. BayIfSMV) vom 30.10.2020 (mit Geltung bis einschließlich 30.11.2020) abgelehnt.
Oberlandesanwältin Sigrid Kaiser ist bei der Landesanwaltschaft Bayern schwerpunktmäßig zuständig für Seuchenrecht und Abfallrecht.
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Die auf bestimmte Rechtsgebiete spezialisierten Juristinnen und Juristen der Landesanwaltschaft Bayern stellen monatlich eine aktuelle, für die Behörden im Freistaat besonders bedeutsame Entscheidung vor.