Dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) lag im Kern folgender Sachverhalt zugrunde: Der Beklagte, Regierungsamtmann im Dienst des BND, ist bisher disziplinarrechtlich nicht in Erscheinung getreten.
Disziplinarrechtlich wird ihm vorgeworfen, am Abend des 6.12.2021 die ihn zu Ausbildungszwecken begleitende Praktikantin S. im Anschluss an einen Dienstgang zum abendlichen Besuch eines Restaurants überredet und gegen ihren Willen wiederholt mit Gesprächsthemen sexuellen Inhalts bedrängt zu haben. Hierbei sowie bei der Verabschiedung habe sich der Beklagte der Zeugin gegen ihren Willen auch körperlich genähert. Hierdurch habe er gegen die beamtenrechtliche Wohlverhaltenspflicht verstoßen. Darüber hinaus stelle sein pflichtwidriges innerdienstliches Verhalten eine sexuelle Belästigung dar. Das Dienstvergehen sei von beträchtlichem disziplinarischem Gewicht und habe das Vertrauen in den Beklagten erheblich beeinträchtigt. Die Klägerin beantragte, den Beklagten in das Amt eines Regierungsoberinspektors (Besoldungsgruppe A 10 BBesO) zurückzustufen.
Vor dem BVerwG bekam die Klägerin recht. Das Gericht hat seiner Entscheidung folgenden Leitsatz vorangestellt:
Eine innerdienstliche Pflichtverletzung liegt vor, wenn das pflichtwidrige Verhalten in das Amt und in die damit verbundenen dienstlichen Pflichten eingebunden ist. Besteht eine solche Verknüpfung, ist unerheblich, ob das Dienstvergehen innerhalb oder außerhalb der Dienstzeit begangen wird.
Den Gründen der Entscheidung entnehmen wir auszugsweise:
1. Verletzung der Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten
„Der Beklagte hat durch sein Verhalten gegenüber der Zeugin S. am Abend des 6.12.2021 rechtswidrig und schuldhaft seine Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten aus § 61 Abs. 1 Satz 3 BBG[1] verletzt.
Wie die Grundpflichten des Beamten in § 60 BBG dienen auch die Anforderungen an sein Verhalten in § 61 Abs. 1 Satz 3 BBG dazu, eine ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung der Beamten und damit die Funktionsfähigkeit des Berufsbeamtentums zu gewährleisten. Anderen Beschäftigten gegenüber haben sich Beamte korrekt und kollegial zu verhalten, sie müssen den Betriebsfriedenwahren (vgl. BVerwG, Urteile vom 23.2.2005 – 1 D 1.04 – juris Rn. 91 m.w.N. und vom 28.9.2022 – 2 A 17.21 – Buchholz 232.0 § 61 BBG 2009 Nr. 3 Rn. 99). Unsachliche Äußerungen, die in einem dienstlichen Kontext deplatziert und geeignet sind, das kollegiale Dienstverhältnis der Beschäftigten zu beeinträchtigen, hat der Beamte zu unterlassen…
Dies gilt in besonderer Weise für Äußerungen mit einer sexuellen Konnotation.
Für solche Äußerungen ist im Dienst generell kein Raum. Beschäftigte müssen im Dienst und im Dienstgebäude vor Bemerkungen mit sexuellem Inhalt und vor Zudringlichkeiten anderer Bediensteter sicher sein (vgl. BVerwG, Urteile vom 12.11.1997 – 1 D 90.95 – BVerwGE 113, 151 [155] und vom 28.9.2022 – 2 A 17.21 – Buchholz 232.0 § 61 BBG 2009 Nr. 3 Rn. 100). Diese Voraussetzung hat der Dienstherr zu gewährleisten und durch präventive sowie repressive Maßnahmen sicherzustellen. Sexuelle Belästigungen (§ 3 Abs. 4 und § 24 Nr. 1 AGG), die bereits durch Bemerkungen erfüllt sein können, sind stets ein Dienstvergehen.
Die Annahme eines Verstoßes gegen die Pflicht aus § 61 Abs. 1 Satz 3 BBG setzt die Einordnung als sexuelle Belästigung im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes aber nicht voraus (vgl. BVerwG, Urteile vom 14.2.2007 – 1 D 12.05 – BVerwGE 128, 125 Rn. 17 m.w.N. und vom 28.9.2022 – 2 A 17.21 – Buchholz 232.0 § 61 BBG 2009 Nr. 3 Rn. 100 m.w.N.).
Die Verpflichtung zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten ist amtsbezogen, wird also durch die Anforderungen des dem Beamten verliehenen Statusamts geprägt. Beamte in Führungsämtern haben ihr Verhalten an der mit dem ihnen verliehenen Amt verbundenen Vorbildfunktion und der Vertrauensstellung als Vorgesetzte auszurichten. Gegenüber den ihnen unterstellten Mitarbeitern sind sie zu einem respektvollen Umgang und zur Achtung der Privat- und Intimsphäre verpflichtet.
Sexuelle Belästigungen durch Vorgesetzte unter Ausnutzung ihrer überlegenen beruflichen Stellung sind regelmäßig ein schweres Dienstvergehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.9.2022 – 2 A17.21 – Buchholz 232.0 § 61 BBG 2009 Nr. 3 Rn. 101 m.w.N.; Beschluss vom 16.7.2009 – 2AV4.09 – juris Rn. 25 m.w.N.).
Die aus der Wohlverhaltenspflicht resultierenden Anforderungen hat der Beklagte mit den festgestellten Äußerungen und durch das Herstellen von körperlichem Kontakt gegen den Willen der Zeugin S. in grober Weise verletzt. Die beharrlichen Fragen des Beklagten zu den von der Zeugin S. bevorzugten Sexualpraktiken sind aufgrund ihres sexuellen Inhalts zudem als sexuelle Belästigung zu bewerten (§ 3 Abs. 4 AGG).“
2. Innerdienstliches Dienstvergehen
„Nach § 77 Abs. 1 Satz 1 BBG begehen Beamte ein Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft die ihnen obliegenden Pflichten verletzen. Außerhalb des Dienstes ist die Pflichtverletzung nach § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG nur dann ein Dienstvergehen, wenn die Pflichtverletzung nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, das Vertrauen in einer für ihr Amt oder das Ansehen des Beamtentums bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Die Unterscheidung zwischen inner- und außerdienstlicher Pflichtverletzung beruht nicht ausschließlich auf der formalen Zuordnung in räumlicher oder zeitlicher Beziehung zur Dienstausübung.
Das wesentliche Unterscheidungselement ist vielmehr funktionaler Natur. Entscheidend für die rechtliche Einordnung eines Verhaltens als innerdienstliche Pflichtverletzung ist dessen kausale und logische Einbindung in ein Amt und die damit verbundene dienstliche Tätigkeit. Maßgebliche Bedeutung kommt somit dem Umstand zu, ob das pflichtwidrige Verhalten in das Amt und in die damit verbundenen dienstlichen Pflichten eingebunden gewesen ist. Besteht diese Verknüpfung, kommt es nicht darauf an, ob das Dienstvergehen innerhalb oder außerhalb der Dienstzeit begangen wird. Ist eine solche Einordnung nicht möglich – insbesondere wenn sich das Handeln als das Verhalten einer Privatperson darstellt –, ist es als außerdienstliches (Fehl-)Verhalten zu qualifizieren (vgl. BVerwG, Urteile vom 25.8.2009 – 1 D 1.08 – Buchholz 232.0 § 77 BBG 2009 Nr. 1 Rn. 54, vom 29.7.2010 – 2 A 4.09 – juris Rn. 194 und vom 2.3.2023 – 2 A 19.21 – juris Rn. 40; Beschluss vom 19.8.2019 – 2 B 72.18 – Buchholz 232.0 § 77 BBG 2009 Nr. 9 Rn. 8).
Ausgehend hiervon ist die Dienstpflichtverletzung im vorliegenden Fall als innerdienstlich zu qualifizieren. Denn der Beklagte hat die Zeugin S., die seinem Sachgebiet als Praktikantin zugewiesen war, nur aufgrund der Einbettung in den als ,Verschleierungsmaßnahme‘ dienstlich geprägten Besuch des Weihnachtsmarkts und damit unter Ausnutzung des dienstlichen Kontexts zu dem nachfolgenden Restaurantbesuch bewegen können. Dies gilt erst recht, wenn – was zur Überzeugung des Senats feststeht – das Ende des Dienstgeschäfts erst im Restaurant selbst festgestellt worden ist. Diese formale Zäsur ließ die Prägung eines einheitlichen Geschehensablaufs nicht entfallen und machte das sich anschließende Gespräch nicht zu einem Teil rein privater Freizeitgestaltung. Dies wird bereits daran deutlich, dass sich die Zeugin S. gerade wegen des engen dienstlichen Zusammenhangs und ihrer untergeordneten Stellung als Praktikantin daran gehindert gesehen hat, ,so zu reagieren, wie ich eigentlich hätte reagieren wollen‘ und das Gespräch zu beenden. Auch nach dem formalen Ende der Dienstzeit war das Treffen daher in die dienstliche Tätigkeit des Beklagten und der Zeugin S. eingebunden und von ihr geprägt. Nur aufgrund des vorangegangenen Dienstgeschäfts befand sich die Zeugin S. damit in einer Lage, aus der sie sich als Praktikantin nicht ,gesichtswahrend‘ zu befreien wusste.“
3. Ahndung des Dienstvergehens
„Das Dienstvergehen erfordert seiner Art und Schwere nach eine statusberührende Disziplinarmaßnahme. Unter Berücksichtigung sämtlicher bemessungsrelevanter Umstände ist das Dienstvergehen des Beklagten mit einer Zurückstufung (§ 9 BDG) um eine Stufe in das Amt eines Regierungsoberinspektors (Besoldungsgruppe A 10 BBesO) zu ahnden.“
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 1.2.2024 – 2 A 7.23
Beitrag entnommen aus Fundstelle Bayern 05/2025, Rn. 47.
[1] Für bayerische Beamte: § 34 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG. Für nachfolgend zitierte Bestimmungen des BBG gibt es entsprechende Vorschriften für bayerische Beamte.