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Einschätzungsprärogative der Schiedsstelle nach § 78g SGB VIII

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Dazu hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof zu seinem unten vermerkten Beschluss vom 13.2.2024 folgende Leitsätze gebildet:

  1. Der Schiedsstelle steht nach § 78g SGB VIII für ihre Bewertungen und Beurteilungen anlässlich der Prüfung der unbestimmten Rechtsbegriffe Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Leistungsgerechtigkeit (§ 78b Abs. 2, § 78c Abs. 2 SGB VIII) eine Einschätzungsprärogative zu, die es erfordert, die gerichtliche Überprüfung darauf zu beschränken, ob sie die ihr gesetzten rechtlichen Vorgaben beachtet, den Sachverhalt vollständig ermittelt und in einem fairen und willkürfreien Verfahren zu vertretbaren Bewertungen gefunden hat (im Anschluss an BVerwGE 108, 47 – juris, Rn. 24; BVerwGE 116, 78 – juris, Rn. 9, jeweils zu § 94 BSHG a.F.).
  2. Im Rahmen dieser, der Schiedsstelle durch § 78g SGB VIII eingeräumten Autonomie und der ihr durch höherrangiges Recht, insbesondere das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) und das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG), gezogenen Grenzen bestimmt die Schiedsstelle ihr Prüf- und Entscheidungsprogramm zu § 78b Abs. 2 und § 78c Abs. 2 SGB VIII grundsätzlich selbst, sofern – wie im SGB VIII – weitere konkrete Vorgaben des Gesetzgebers fehlen.
  3. Es liegt deshalb in der alleinigen Rechtsmacht der Schiedsstelle, auf die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundessozialgerichts zum ehemaligen BSHG (BVerwGE 108, 47 ff.; 116, 78 ff.) sowie zum SGB XI und SGB XII (BSGE 102, 227 ff.; 113, 258 ff.; 120, 51 ff.; 129, 116 ff.) entwickelten Maßstäbe und Grundsätze eines „internen Vergleichs“ (einrichtungsbezogene Plausibilitätskontrolle der Entgeltansätze) und/oder eines „externen Vergleichs“ (mit den Entgeltsätzen anderer vergleichbarer Einrichtungen) zurückzugreifen.
  4. Eine Rechtspflicht der Schiedsstelle, sich dieser Maßstäbe und Grundsätze im Einzelnen oder gar in Kombination zu bedienen, besteht – solange eine entsprechende Anordnung des Gesetzgebers im SGB VIII selbst fehlt – indes nicht; denn allein der Schiedsstelle kommt im Konfliktfall die Entscheidung über die Kalkulationsgrundlagen zu (vgl. BT-Drs. 13/10330, 17 u. 18 f.; BTDrs. 12/5510, 12).
  5. Unabdingbare Voraussetzung einer Vertretbarkeitskontrolle durch die Verwaltungsgerichte ist allerdings, dass die Entscheidung der Schiedsstelle schriftlich begründet ist. Sie muss die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe, die die Schiedsstelle zu ihrer Entscheidung bewogen haben, konkret benennen. Dargestellt werden muss vor allem, welche (verschiedenen) Erwägungen die Schiedsstelle angestellt hat, was die tragenden Gründe für die getroffene Entscheidung sind, von welchen Argumenten die Schiedsstelle sich hat leiten lassen und welche rechtliche Beurteilung sie im Einzelfall vorgenommen hat.
  6. Genügt die Schiedsstellenentscheidung diesen Anforderungen nicht, ist sie insbesondere ungeeignet, den Schiedsbeschluss in allen seinen wesentlichen Punkten nachzuvollziehen, so unterliegt sie der Aufhebung. Eine Nachholung der Begründung erst im gerichtlichen Verfahren ist nicht möglich (im Anschluss an OVG LSA, U.v. 22.9.2020 – 4 L 260/19 – juris, Rn. 41 m.w.N.).
  7. Da es in einem prospektiven Entgeltsystem generell ausgeschlossen ist, einen nachträglichen Ausgleich vorzunehmen, bedarf es regelmäßig eines kalkulatorischen „Puffers“ in Gestalt des „Unternehmenswagnisses“ (Unternehmensgewinns), um für den Fall des Auftretens unvorhergesehener Ereignisse und Risiken ein leistungsgerechtes Entgelt zu gewährleisten; denn keine Einrichtung darf gezwungen werden, die von ihr erwarteten Leistungen unterhalb ihrer „Gestehungskosten“ anzubieten und zu erbringen (vgl. BT-Drs. 13/ 10330, 17; BT-Drs. 12/5510, 10).

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 13.2.2024 – 12 BV 23.1357

Beitrag entnommen aus Fundstelle Bayern 08/2025, Rn. 79.