Rechtsprechung Bayern

Zweckentfremdung: Co-Living als Wohngemeinschaft

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Dem unten vermerkten Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH) vom 15.7.2024 lag folgender Sachverhalt zu Grunde:

Die streitbefangene Wohnung besteht aus sechs Zimmern, Küche, zwei Bädern und Abstellraum und ist insgesamt 235 m² groß. Sie ist baurechtlich als Wohnraum genehmigt. Die Klägerin ist selbst Mieterin und zur Untervermietung berechtigt. Die vermieteten Räume sind möbliert. Als Serviceleistung war zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses ein Reinigungsdienst installiert und es wurde eine Grundausstattung für Küche und Toiletten gestellt. Die gesamten Mieteinnahmen der Klägerin ohne eine Nebenkostenpauschale betrugen zum Januar 2020 5.550,– EUR monatlich.

Am 23.6.2020 führte die Beklagte eine Ortsbesichtigung in der Wohnung durch. Hierbei waren alle fünf Mieter anwesend; ein Zimmer stand zu diesem Zeitpunkt leer. Die Bewohner teilten mit, dass zweimal in der Woche ein Putzservice käme. Das Waschen der Kleidung erfolge durch die Bewohner selbst, dafür stünden zwei Waschmaschinen bereit, die nicht zusätzlich bezahlt werden müssten. Küche und Bäder stünden allen Bewohnern zur Verfügung. Um das Essen habe sich jeder selbst zu kümmern, ein Auffüllen des Kühlschranks sei im Service nicht inbegriffen. Ein Treppenaufgang ermögliche allen Bewohnern den Zugang zum Gemeinschaftsraum. Alle Bewohner waren im Besitz von befristeten Visa- und Aufenthaltserlaubnissen zu Arbeitszwecken.

Im Rahmen der Anhörung zur beabsichtigten Untersagung der Nutzung der Wohnung zum Zwecke der Fremdenbeherbergung legte die Klägerin eine Aufstellung sämtlicher Mietverträge vor. Danach seien Mietverhältnisse unter sechs Monaten nur Ausnahmen gewesen, die insbesondere der Corona-Pandemie geschuldet gewesen seien. Einige Bewohner seien fast zwei Jahre geblieben. Es würden Wohnraumietverträge auf unbestimmte Zeit geschlossen.

Mit Bescheid vom 27.8.2020 forderte die Beklagte die Klägerin auf, die Nutzung der Wohnung zum Zwecke der Fremdenbeherbergung unverzüglich zu beenden und den Wohnraum unverzüglich nach Beendigung der gewerblichen Nutzung zu Zwecken der Fremdenbeherbergung wieder Wohnzwecken zuzuführen. Für einen Verstoß wurde jeweils ein Zwangsgeld in Höhe von 10.000,– EUR angedroht. Es liege eine Zweckentfremdung vor, da der Wohnraum wiederholt und regelmäßig an Personen überlassen werde, welche sich lediglich vorübergehend aus verschiedenen Gründen kurzzeitig in den Wohnräumen oder für die Dauer ihres Arbeitseinsatzes in München aufhielten. Das Nutzungskonzept sei nur darauf ausgerichtet, den Wohnraum durch häufige Nutzerwechsel zweckzuentfremden. Die sehr kleinen Wohneinheiten würden zu überdurchschnittlichen erhöhten Preisen, im Gegensatz zu klassischen Wohngemeinschaftszimmern, vermietet. Die angebotenen Serviceleistungen seien typisch für eine Fremdenbeherbergung und sprächen gegen eine reguläre Vermietung.

Die Klägerin erhob Klage mit dem Antrag, den Bescheid der Beklagten aufzuheben. Die Mindestmietzeit betrage nunmehr sechs Monate und die Serviceleistungen sowie das Zurverfügungstellen einer Grundausstattung seien beendet worden. Die Zimmer seien abschließbar. Die Pro-Kopf-Miete sei im Hinblick auf die großzügigen Gemeinschaftseinrichtungen angemessen. Die Anmietung erfolge zur dauerhaften Verlegung des Hauptwohnsitzes nach München. Im Übrigen sei nicht nachgewiesen, dass die Bewohner andere Hauptwohnsitze im Sinne eines Lebensmittelpunkts gehabt hätten.

Die Beklagte wandte dagegen ein, dass bis zum Bescheiderlass in großem Umfang fremdenverkehrstypische Leistungen zur Versorgung erbracht worden seien. Das geänderte Nutzungskonzept sei neu und nicht überprüft worden. Die bisherigen Mietverhältnisse seien in einem Drittel der Fälle nach drei bis fünf Monaten beendet worden. Das „Co-Living“-Konzept sei als Übergangsform nach einem Umzug nach München und als vorübergehende Unterkunft bei einer begrenzten Aufenthaltsdauer als Nutzungskonzept eine Fremdenbeherbergung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ZeS.

Das Verwaltungsgericht wies die Klage im Juli 2021 ab. Die vom VGH zugelassene Berufung der Klägerin war erfolgreich. Der VGH führt aus:

1. Abgrenzung der Wohnnutzung von einer (gewerblichen) Vermietung zum Zwecke der Fremdenbeherbergung

„Nach der Rechtsprechung des Senats bezeichnet Fremdenbeherbergung im Sinne des Zweckentfremdungsrechts die Überlassung von Wohnraum an Personen, die am Beherbergungsort nur vorübergehend unterkommen und die ihre (eigentliche) Wohnung typischerweise an einem anderen Ort haben. Für einen derartigen Aufenthalt ist ein lediglich beherbergungsartiges Unterkommen ohne Verlegung des Lebensmittelpunktes prägend. Es fehlt an einer ,auf Dauer‘ angelegten Häuslichkeit im Sinne einer ,Heimstatt im Alltag‘. Der Aufenthalt zeichnet sich vielmehr durch ein übergangsweises, nicht alltägliches Wohnen bzw. ein provisorisches, einem begrenzten Zweck dienendes Unterkommen aus. Maßgeblich ist insoweit das jeweils zu Grunde liegende Nutzungskonzept; eine bestimmte Mindest- oder Höchstaufenthaltsdauer kann insoweit nicht festgelegt werden …

Dementsprechend liegt eine Wohnnutzung, nicht hingegen eine (gewerbliche) Vermietung zum Zwecke der Fremdenbeherbergung vor, wenn in einer Wohnung (weitere) Personen leben, die jeweils über ein eigenes Schlafzimmer verfügen, das eine hinreichende Rückzugsmöglichkeit ins Private gestattet, während Wohnraum, Küche, Bad und Flur gemeinsam genutzt werden. Dass eine Nutzung nur für einen begrenzten Zeitraum und nicht auf Dauer angelegt ist, ändert an der Erfüllung des Begriffs des Wohnens nichts …

Maßgeblich dafür, ob eine Wohnung zweckentfremdungsrechtlich zur Fremdenbeherbergung genutzt wird oder ob sie Wohnzwecken dient, ist das zum maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses verfolgte Nutzungskonzept. Dieses ist anhand der bestehenden Mietverträge, deren konkretem Inhalt, aber auch der tatsächlichen Mietpraxis im Einzelfall festzustellen. Gegebenenfalls sind weitere Indizien für das Vorliegen gewerblicher Fremdenbeherbergung oder aber Wohnnutzung zur zweckentfremdungsrechtlichen Beurteilung heranzuziehen.

Dementsprechend stellt sich die Vermietung eines Zimmers in einer Wohngemeinschaft an einen (ausländischen) Studenten, der sich – beispielsweise im Rahmen eines Erasmus-Semesters – für die Dauer eines halben Jahres oder länger in München aufhält und dort während des Auslandssemesters seinen Lebensmittelpunkt hat, regelmäßig nicht als Fremdenbeherbergung, sondern als Wohnen dar. Es kann insoweit keinem vernünftigen Zweifel unterliegen, dass ein Studierender während seines (Auslands-)Semesters seine ,Heimstatt im Alltag‘ am Studienort hat und er in einem WG-Zimmer nicht lediglich übergangsweise und provisorisch unterkommt. Nicht umsonst wirbt die Beklagte angesichts der herrschenden Wohnungsknappheit dafür, Studierenden den erforderlichen Wohnraum zur Verfügung zu stellen.

Daher erweist sich die Vermietung eines Zimmers in einer Wohngemeinschaft an einen Arbeitnehmer, der sich aus Anlass eines Arbeitsauftrages in München aufhält und währenddessen nicht nur eine Heimstatt im Alltag, sondern i.d.R. sogar (vorübergehend) seinen Lebensmittelpunkt in dieser Gemeinschaft begründet, regelmäßig nicht als Fremdenbeherbergung, sondern als Wohnen. Ein solcher Mieter begründet eine wenn auch vorübergehende (zeitlich begrenzte) Heimstatt im Alltag und kommt nicht lediglich provisorisch übergangsweise und damit ,hotelartig‘ unter. Es liegt deshalb weder eine ,Fremdenbeherbergung‘ noch eine ,Zweckentfremdung‘ vor …

Das Zweckentfremdungsrecht erschöpft sich im ,Bestandsschutz von Wohnraum‘ …; es gibt der Beklagten deshalb kein Recht, bestimmte Wohnformen in ihrer ,Wertigkeit‘ zu definieren und gegenüber anderen, insbesondere solchen von längerer Dauer zu diskriminieren oder gar als ,sozialschädlich‘ anzusehen und deshalb als ,bekämpfungsbedürftig‘ zu erachten. Das Zweckentfremdungsrecht gestattet weder eine Wohnraumbewirtschaftung noch darf es als Mittel eingesetzt werden, um ,allgemein unerwünschte oder schädliche Entwicklungen‘ auf dem Wohnungsmarkt zu unterbinden …

Ebenso wenig schließen die Inanspruchnahme bestimmter Serviceleistungen oder eine hohe Miete die Annahme einer Wohnnutzung aus. Das Zweckentfremdungsrecht hindert nicht, eine die ortsübliche Vergleichsmiete übersteigende Miete zu fordern … Auch steht etwa die Reinigung der Gemeinschaftsräume sowie die Möglichkeit der Inanspruchnahme eines Reinigungsdienstes für den selbst bewohnten Raum, insbesondere vor dem Hintergrund der mietvertraglichen Verpflichtung zur Erhaltung der Mietsache, der Annahme einer Wohnnutzung nicht entgegen …“

2. Anwendung auf den konkreten Fall: Co-Living als Wohnnutzung

„Gemessen an diesen Kriterien stehen die fraglichen Räume nicht zum Zwecke der Fremdenbeherbergung, sondern zur Wohnnutzung zur Verfügung. Es liegt eine Wohngemeinschaft, keine Beherbergungsgemeinschaft vor. Nach den insoweit nicht bestrittenen Angaben der Klägerin, die den im Rahmen von Ortseinsichten gewonnenen Erkenntnissen der Beklagten entsprechen, teilen sich die Bewohner Wohnraum, Küche, Bad und Flur zur gemeinsamen Nutzung und es steht jedem einzelnen Mieter jeweils ein eigenes Schlafzimmer zur Verfügung, das eine hinreichende Rückzugsmöglichkeit ins Private gestattet.

Auf die seitens des VG beabsichtigte, aber nicht durchgeführte Inaugenscheinnahme kam es somit entscheidungserheblich nicht an. Denn damit ist die Führung eines eigenständigen, unabhängig gestalteten Haushalts sichergestellt. Die gemeinsame Nutzung von Gemeinschaftsraum, Küche, Bad und Flur steht dem ,Wohnen‘ nicht entgegen. Auch ist die Wohngemeinschaft als Zusammenleben einer Gruppe von Personen, die eine Wohnung gemeinsam bewohnen, ohne miteinander verwandt zu sein, keineswegs ungewöhnlich; sie erfüllt ohne weiteres den Begriff des Wohnens…

Entgegen der Auffassung des VG entspricht des Weiteren auch das Nutzungskonzept dem einer Wohngemeinschaft, da die Bewohner wohngemeinschaftstypisch neben einem zusammen genutzten Gemeinschaftsraum sowie Bad und Küche jeweils über einen eigenständigen Raum verfügen, der dem Einzelnen entsprechende Rückzugsmöglichkeiten gewährleistet. Auch von einer ,Zwangs-WG‘ kann keine Rede sein. Ungeachtet des Umstands, dass nach Aussage des Bevollmächtigten der Klägerin offenbar eine gewisse Einbindung der Mitbewohner in die beabsichtigte Neuaufnahme eines Mieters besteht, bleibt es jedem Interessenten unbenommen, einen Mietvertrag unter den vorgegebenen Bedingungen und unter Akzeptanz des zugrundeliegenden Konzepts abzuschließen. Es basiert allein auf Freiwilligkeit, sich auf das Zusammenwohnen mit fremden und auch aus anderen Ländern und Kulturkreisen stammenden Personen einzulassen. Das Konzept der Klägerin verfolgt gerade das Ziel, neu nach München zugezogenen Personen auf diese Weise rasch ein sozial integriertes und gemeinschaftliches Wohnen und Leben zu ermöglichen.

Soweit das VG meint, das Nutzungskonzept sei auf eine vorübergehende, kurzzeitige Vermietung ausgelegt, übersieht es, dass vorliegend bereits die Dauer des Aufenthalts den Maßstab ,ständig wechselnder Gäste‘ überschreitet, wie es für die Fremdenbeherbergung kennzeichnend ist … Die Zeitdauer stellt nur ein Indiz für die eine bzw. die andere Nutzungsform dar. Im Hinblick auf die bauplanungsrechtliche Abgrenzung einer Wohnnutzung zu einem Beherbergungsbetrieb wurden Vermietungen zwischen drei und acht Monaten jedenfalls als ausreichend für eine Wohnnutzung angenommen (vgl. statt vieler VG Berlin, U. v. 4.3.2020 – 6 K 420.19 – juris Rn. 42 m.w.N.).

Selbst nach dem vom VG zugrunde gelegten Sachverhalt (3 bis 8,5 Monate) wäre demnach schon nicht mehr von einer kurzzeitigen, vorübergehenden Vermietung auszugehen. Vorliegend beträgt die Mindestmietdauer zwischenzeitlich sogar sechs Monate. Darüber hinaus hat der Bevollmächtigte der Klägerin zugleich nachgewiesen, dass es, auch wenn einzelne Mieter in der Vergangenheit, aus welchem Grund auch immer, vorzeitig den Vertrag beendet haben, auch erheblich längere Mietverhältnisse gegeben hat, zum Teil bis zu 19 Monaten. Dies entspricht üblichen Wohnraummietverträgen, die ebenfalls mit offener Vertragsdauer jederzeit, auch frühzeitig, gekündigt werden können, ohne dass deshalb eine Wohnnutzung ernstlich in Zweifel gezogen werden könnte. Im Übrigen ändert auch eine Nutzung nur für einen begrenzten, nicht auf Dauer angelegten Zeitraum an der Erfüllung des Begriffs des Wohnens nichts…

Es ist deshalb offensichtlich, dass es sich bei den Bewohnern nicht um ständig wechselnde Gäste handelt, die in den jeweiligen WG-Zimmern nur provisorisch oder ,hotelartig‘ unterkommen. Auch ist die Annahme des VG, die Mieter unterhielten noch andernorts, ggf. im Ausland, einen Lebensmittelpunkt, durch nichts belegt. Dafür sind auch keine Anhaltspunkte ersichtlich, zumal die Mieter, die einen Arbeitsplatz in München gefunden haben, bei der Beklagten i.d.R. melderechtlich mit Hauptwohnsitz gemeldet sind. Es fehlt mithin insgesamt an dem für eine Fremdenbeherbergung kennzeichnenden Umstand des vorübergehenden Aufenthalts und zugleich auch dem Umstand, dass es sich um ein übergangsweises, nicht alltägliches, einem begrenzten Zweck dienendes Unterkommen für Personen handelt, die ihre eigentliche Wohnung typischerweise an einem anderen Ort haben. Vielmehr spricht alles dafür, dass die Bewohner während der Dauer ihres Aufenthalts in der streitbefangenen Wohnung sich dort eine dauerhafte Heimstatt im Alltag in der Gemeinschaft der Mitbewohner geschaffen haben …

Die – offenbar zwischenzeitlich eingestellten – Serviceleistungen schließen nicht von vorneherein eine selbstständige Regelung und Organisation des täglichen Lebens im Sinne einer Heimstatt im Alltag aus. Auch die Reinigung der Gemeinschaftsräume und die Möglichkeit der Inanspruchnahme eines wöchentlichen Reinigungsdienstes für den selbst bewohnten Raum stehen dem, insbesondere vor dem Hintergrund der Verpflichtung der Klägerin zum Erhalt der Mietsache, nicht entgegen. Die Serviceleistungen dienen lediglich dazu, die Gründung eines neuen Hausstands zu einer Nutzung zu dauerhaften Wohnzwecken und damit die Schaffung einer Heimstatt zu erleichtern. Es ist in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass sogar betreutes Wohnen bauordnungsrechtlich als ,Wohnen‘ i.S.d. § 3 Abs. 4 BauNVO einzustufen ist, weil zu den Wohngebäuden auch die Einrichtungen rechnen, die ganz oder teilweise der Betreuung und Pflege ihrer Bewohner dienen (vgl. OVG Greifswald, B.v. 27.3.2015 – 3 M 38/15 – BeckRS 2015, 47459).“

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 15.7.2024 – 12 B 23.2195

Beitrag entnommen aus Fundstelle Bayern 08/2025, Rn. 80.