Art. 2, 5, 8 GG; Art. 16 PAG; § 172 ZPO; §§ 56, 113 VwGO (Versammlung; Gegenversammlung; Ansammlung; gemeinsamer Zweck; Platzverweis; Bestimmtheit)
Nichtamtliche Leitsätze:
- Der Schutz der Versammlungsfreiheit ist nicht auf Veranstaltungen beschränkt, auf denen Meinungen in verbaler Form kundgegeben oder ausgetauscht werden, insbesondere argumentiert und gestritten wird, sondern umfasst vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nicht verbalen Ausdrucksformen.
- Eine (Gegen-)Versammlung kann auch dann vorliegen, wenn sich Teilnehmer mit einer Zusammenkunft gegen die Aussage des von einer anderen Versammlung ausgerufenen Mottos stellen wollen und die Anwesenheit erkennbar von dem Willen der Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner geprägt ist.
- Von der Versammlung abzugrenzen ist die Ansammlung als das bloße physische Zusammentreffen von zumindest zwei Personen aus einem äußeren Anlass heraus ohne innere Verbindung, bei denen die individuelle, wenn auch unter Umständen (zufällig) gleichgerichtete Zweckverfolgung nicht zu einem gemeinsamen Anliegen wird. An die Gemeinsamkeit des Zweckes dürfen allerdings nicht zu hohe Anforderungen gestellt werden. Es muss allerdings erkennbar werden, dass es sich um ein gemeinsames Anliegen handelt.
- An einen mündlichen Platzverweis nach Art. 16 PAG dürfen dabei keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden. Ausreichend bestimmt ist deshalb die Anordnung, die „Nähe des Aufzugs“ zu meiden.
BayVGH, Urteil vom 06.12.2024, 10 B 24.710*
(rechtskräftig)
Zum Sachverhalt:
Der Kläger begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit zweier ihm im Rahmen einer Protestaktion am 14. April 2021 erteilten Platzverweise.
Am 14. April 2021 um 18 Uhr fand – wie bereits des Öfteren – eine „mobile Versammlung“ der Gruppe „Eltern-stehen-auf W“ (im Folgenden: ESA) in der Innenstadt von W statt. Der Kläger hat gleichzeitig mit sieben bis neun weiteren Personen den Aufzug rechts und links davon begleitet. Dem Kläger wurde von der Polizei in der E-Straße und in der K-Straße/J-Promenade ein Platzverweis räumlich für die Nähe des Aufzugs und zeitlich bis zum Ende des Aufzugs erteilt. Anschließend wurde er kurzzeitig in Gewahrsam genommen.
Am 15. April 2021 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht W Klage erhoben zuletzt mit dem Antrag, festzustellen, dass die ihm am 14. April 2021 erteilten Platzverweise in der E- und K-Straße nicht rechtmäßig waren.
Mit Urteil vom 12. November 2021 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Der BayVGH hat die Berufung mit Beschluss vom 26. April 2024 wegen besonderer tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten zugelassen.
* In den Urteilen vom 06.12.2024 – 10 B 22.2178 (Rn. 22 ff.) und 22.21.77 (Rn. 20 ff.) hat der BayVGH jeweils die Versammlungseigenschaft eines Gegenprotestes bejaht. Die genannten Entscheidungen sind bspw. bei Bayernrecht zu finden.
Beitrag entnommen aus Bayerische Verwaltungsblätter 12/2025, S. 415.