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Tierschutzrecht: Dauerhafte Fortnahme und Veräußerung eines Tieres (Hündin „Bella“)

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§ 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, § 2 TierSchG, Art. 20a GG, § 80 Abs. 5 VwGO

Tierschutz; Fortnahme; Duldung der Veräußerung; Erfordernis der Fristsetzung; Schaffung irreversibler Zustände vor Eintritt der Bestandskraft

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 21.07.2025, Az. 23 CS 25.1046

Orientierungssätze der Landesanwaltschaft Bayern
  1. Nach § 16a Abs. 1 Satz 1 TierSchG trifft die zuständige Behörde die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und zur Verhütung künftiger Verstöße gegen tierschutzrechtliche Bestimmungen notwendigen Anordnungen und kann nach § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 TierSchG insbesondere ein Tier, das nach dem Gutachten des beamteten Tierarztes mangels Erfüllung der Anforderungen des § 2 TierSchG erheblich vernachlässigt ist oder schwerwiegende Verhaltensstörungen aufzeigt, dem Halter fortnehmen und so lange auf dessen Kosten anderweitig pfleglich unterbringen, bis eine tierschutzgerechte Haltung durch den Halter sichergestellt ist (Halbs. 1); ist eine anderweitige Unterbringung des Tieres nicht möglich oder ist nach Fristsetzung durch die zuständige Behörde eine den Anforderungen des § 2 TierSchG entsprechende Haltung durch den Halter nicht sicherzustellen, kann die Behörde das Tier veräußern (Halbs. 2).
  2. Hinsichtlich der Einschätzung, ob die Anforderungen des § 2 TierSchG erfüllt sind, insbesondere auch, ob im Rahmen des § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Halbs. 1 TierSchG eine erhebliche Vernachlässigung vorliegt, kommt den beamteten Tierärzten mit Blick auf die ihnen gesetzlich zugeschriebene Rolle als unabhängigen Sachverständigen eine vorrangige Beurteilungskompetenz zu.
  3. Nach der gesetzlichen Konzeption des § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 TierSchG ist die anderweitige Unterbringung des Tieres grundsätzlich vorläufig und geschieht in der begründeten Erwartung einer Rückkehr zum Halter. Diese kann aber erst dann erfolgen, wenn dieser die Sicherstellung einer in jeder Hinsicht mangelfreien Tierhaltung nachgewiesen hat. Die dafür nach § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Halbs. 2 2. Alt. TierSchG grundsätzlich erforderliche Fristsetzung kann allerdings ausnahmsweise dann entbehrlich sein, wenn von vornherein feststeht, dass eine Rückgabe des Tieres auf absehbare Zeit nicht in Betracht kommt.
  4. Zum Schutz der Tiere im Sinne von Art. 20a GG hat der Adressat von tierschutzrechtlichen Anordnungen deren Folgen schon vor der Bestandskraft der Verwaltungsentscheidung hinzunehmen, wenn hinreichender Anlass zu der Annahme besteht, dass ansonsten (erneut) eine Gefahr für die angemessene Ernährung, Pflege und verhaltensgerechte Unterbringung der Tiere entsteht.
  5. Die in einer Veräußerungsanordnung liegende Beeinträchtigung des Eigentums des Tierhalters hält sich angesichts des in Art. 20a GG verankerten Staatsziels Tierschutz im Rahmen der von Art. 14 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 GG gezogenen Schranken und Begrenzungen, so dass der in § 16a TierSchG ausdrücklich vorgesehene irreversible Zustand einer „faktischen Enteignung“ auch im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren keinen grundsätzlichen Bedenken begegnet.
Bemerkung der Landesanwaltschaft Bayern

In der vorliegenden Entscheidung hatte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) Gelegenheit, sich ausführlich zu den Voraussetzungen einer dauerhaften Wegnahme eines Tieres aufgrund festgestellter Verstöße gegen das TierSchG sowie den Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit einer solchen Maßnahme zu äußern.

Das zuständige Landratsamt hatte der Hundehalterin die etwa sechs Monate alte Viszla-Hündin dauerhaft weggenommen und die sofortige Vollziehbarkeit dieser Maßnahme angeordnet, nachdem es das Tier stark abgemagert aufgefunden hatte und die Halterin sich weigerte, der zunächst angeordneten sofortigen Vorstellung bei einem Tierarzt Folge zu leisten. Das Verwaltungsgericht hatte zunächst die aufschiebende Wirkung der von der Hundehalterin erhobenen Anfechtungsklage angeordnet und unter der Auflage einer monatlichen Vorstellung beim Tierarzt die vorläufige Rückgabe des Tieres an die Halterin bis zur Entscheidung in der Hauptsache verfügt. Auf die Beschwerde der Landesanwaltschaft Bayern hin hob der BayVGH den erstinstanzlichen Beschluss auf und lehnte den Antrag insgesamt ab.

In seinem Beschluss arbeitet der BayVGH lehrbuchhaft die Voraussetzungen zunächst für eine vorrübergehende Wegnahme und pflegliche Unterbringung eines Tieres nach § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 TierSchG ab. Er geht dann auf die für eine dauerhafte Wegnahme grundsätzlich erforderliche Fristsetzung für den Tierhalter zur Herstellung tierschutzgerechter Zustände für eine künftige Haltung ein und hält fest, unter welchen Voraussetzungen eine solche Fristsetzung ausnahmsweise entbehrlich ist. Damit bestätigt der BayVGH, dass es unter bestimmten Voraussetzungen möglich ist, Tiere gestützt auf § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 TierSchG sofort dauerhaft wegzunehmen. Diese liegen nicht nur vor, wenn gegen den Halter schon vorher ein Tierhaltungsverbot nach § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Halbs. 1 TierSchG oder nach § 20 TierSchG ergangen ist oder auch gleichzeitig mit der Wegnahmeanordnung oder im zeitlichen Zusammenhang mit ihr ein solches Verbot verhängt und für sofort vollziehbar erklärt wird. Eine Fristsetzung ist auch dann entbehrlich, wenn es unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles – insbesondere der Fehlverhaltensweise des Halters oder seiner mangelnden Sachkunde oder Zuverlässigkeit – ausgeschlossen erscheint, dass der Halter die nötigen Haltungsbedingungen zeitnah wird sicherstellen können. Letzteres sah der BayVGH im konkreten Fall auf Grund des Verhaltens und der Äußerungen der Halterin im Verwaltungsverfahren als erfüllt an.

Schließlich sah der BayVGH auch eine das besondere Vollziehungsinteresse rechtfertigende Eilbedürftigkeit der tierschutzrechtlichen Anordnungen als gegeben an. Zum Schutz der Tiere im Sinne von Art. 20a GG hat der Adressat von tierschutzrechtlichen Anordnungen deren Folgen schon vor der Bestandskraft der Verwaltungsentscheidung hinzunehmen, wenn hinreichender Anlass zu der Annahme besteht, dass ansonsten (erneut) eine Gefahr für die angemessene Ernährung, Pflege und verhaltensgerechte Unterbringung der Tiere entsteht. Hinter die dringlichen Belange des Tierschutzes hat das Interesse der Antragstellerin, bis zu einer rechtskräftigen Hauptsachentscheidung vom Sofortvollzug der angeordneten Maßnahmen verschont zu bleiben, zurückzutreten. Das gilt selbst dann, wenn dadurch ggf. irreversible Zustände geschaffen werden. Diese sind in § 16a TierSchG ausdrücklich vorgesehen.

 

Oberlandesanwalt Dr. Heiko Sander ist bei der Landesanwaltschaft Bayern schwerpunktmäßig zuständig für Baurecht und Tierschutzrecht.

 

 

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