Rechtsprechung Bayern

Mehrfacherschließung eines Gewerbegrundstücks

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Mit diesem Thema befasste sich der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) in seinem unten vermerkten Beschluss vom 28.10.2024. Es ging um folgenden Sachverhalt:

Die beklagte Stadt zog den Kläger für die erstmalige endgültige Herstellung des L.-wegs als Eigentümer eines Anliegergrundstücks nach ihrer Erschließungsbeitragssatzung (EBS) unter Ansatz eines gebietsbezogenen Artzuschlags zu einem Erschließungsbeitrag in Höhe von 195.055,86 € heran. Das Grundstück liegt an der F.-straße und an dem von dieser abzweigenden L.-weg. Der maßgebliche Bebauungsplan weist dieses und drei weitere Grundstücke am L.-weg als eingeschränktes Gewerbegebiet und die anschließenden am L.-weg angrenzenden Grundstücke als allgemeines Wohngebiet aus. Am Beginn des L.-wegs befand sich zunächst etwa 18 m nach der Abzweigung von der F.-straße das Verkehrszeichen Nr. 253 – Verbot für Kraftfahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht über 3,5 t. Dieses Zeichen wurde später von der Stadt versetzt und befindet sich nunmehr am Übergang vom Gewerbegebiet in das allgemeine Wohngebiet. Der Kläger wandte gegen die Beitragserhebung unter anderem ein, er habe schon deshalb keinen Vorteil von dem L.-weg, weil dieser wegen des Verkehrsschilds nicht mit Lastkraftwagen durchgängig befahren werden dürfe und der Sache nach eine für ihn überflüssige rechtliche Sackgasse darstelle.

Seine Klage wurde vom Verwaltungsgericht (VG) abgewiesen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung blieb ebenfalls ohne Erfolg. Dem Beschluss des VGH entnehmen wir:

1. Erschließungsbeitragspflicht auch bei bereits vorhandener anderweitiger Erschließung

Allgemein führt der VGH zur Mehrfacherschließung aus:

„Erschließungsbeiträge werden für die ,erstmalige Herstellung einer Erschließungsanlage‘ erhoben, nicht für die ,erstmalige Erschließung‘ eines Grundstücks. Deshalb können Grundstücke erschließungsbeitragsrechtlich nicht nur durch eine einzige, sondern auch durch eine hinzukommende zweite Anbaustraße im Sinn von § 131 Abs. 1 und § 133 Abs. 1 BauGB erschlossen werden. Ob das der Fall ist, beurteilt sich nach dem gleichen Maßstab, der für die Ersterschließung gilt; das Gesetz unterscheidet in den qualitativen Anforderungen nicht zwischen Erst- und Zweiterschließung. Dass der Grundstückseigentümer eine hinzukommende Erschließungsstraße häufig als überflüssigen Nachteil empfindet, muss erschließungsbeitragsrechtlich außer Betracht bleiben. Bei der Prüfung des Erschlossenseins durch eine hinzutretende Anbaustraße muss die dem betreffenden Grundstück bereits durch eine bestehende Anbaustraße vermittelte Bebaubarkeit – nicht aber die Existenz dieser Straße – hinweggedacht werden (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerwG, U. v. 01.03.1996 – 8 C 26.94 – juris; BayVGH, U. v. 06.06.2019 – 6 B 19.246 – juris Rn. 22 m.w.N.). Mit anderen Worten muss die hinzutretende Anbaustraße unter Ausblenden einer etwaigen Erschließung durch eine anderweitige Verkehrsanlage im Hinblick auf die anliegenden Grundstücke für sich betrachtet diejenigen Erreichbarkeitsanforderungen erfüllen, die das Bebauungsrecht an die Bebaubarkeit dieser Grundstücke stellt (vgl. Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 6 Rn. 25).“

2. Zu den Anforderungen an das Erschlossensein bei einem Gewerbegrundstück

Dem Einwand des Klägers, die Erschließung seines Grundstücks könne nicht von der zufälligen Auswahl des Standorts für das Verkehrszeichen Nr. 253 abhängen, folgt der VGH im Ergebnis nicht:

a) Erreichbarkeitsanforderungen bei Grundstücken in Gewerbe- und Industriegebieten

„Erschlossen ist ein Grundstück, wenn ihm die Anlage in erschließungsbeitragsrechtlicher Weise, d.h. in einer auf die bauliche oder vergleichbare Nutzbarkeit der Grundstücke gerichteten Funktion, die Zugänglichkeit vermittelt (ständige Rechtsprechung, vgl. BayVGH, B. v. 09.03.2021 – 6 ZB 21.20 – juris Rn. 17; B. v. 20.10.2022 – 6 CS 22.1804 – juris Rn. 26 m.w.N.). Die Frage des Erschlossenseins eines Grundstücks hängt in erster Linie davon ab, welche Anforderungen an die Form der Erreichbarkeit zu stellen sind. Dies wird wesentlich vom Bebauungsrecht bestimmt. Fehlen – wie hier – besondere planerische Festsetzungen, richten sich die bebauungsrechtlichen Erreichbarkeitsanforderungen für Grundstücke in beplanten wie unbeplanten Gebieten im Grundsatz nach dem jeweiligen (festgesetzten oder faktischen) Gebietscharakter. Während in Wohngebieten das Heranfahren können, unter Umständen bereits die bloße Zugänglichkeit genügt, sind Grundstücke in Gewerbegebieten und Industriegebieten in der Regel nur erschlossen, wenn die Anbaustraße darüber hinaus die Möglichkeit des Herauffahrens mit Lastkraftwagen eröffnet. Dazu ist nicht erforderlich, dass Fahrzeuge beliebigen Ausmaßes und Gewichts über die volle Länge des Grundstücks oder aus jeder Richtung auf das Grundstück herauffahren können, selbst wenn deren Verwendung für das tatsächlich ausgeübte Gewerbe kennzeichnend wäre; es reicht vielmehr aus, dass die Voraussetzungen für (irgend)eine gewerbliche Ausnutzung des Grundstücks gegeben sind (vgl. Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 13 Rn. 56 m.w.N.).

Dabei kommt es – worauf der Kläger zu Recht hinweist – nicht darauf an, ob eine Zufahrt tatsächlich existent ist; vielmehr ist entscheidend, ob im maßgeblichen Zeitpunkt der Entstehung der sachlichen Beitragspflichten die (abstrakte) rechtliche und tatsächliche Möglichkeit besteht, von der Anbaustraße eine Zufahrt zu nehmen.“

b) Verkehrszeichen im konkreten Fall kein beachtliches Hindernis

„Dabei kann dahinstehen, ob allein das – jederzeit abänderbare – verkehrsrechtliche Verbot für Kraftfahrzeuge über 3,5 t (Verkehrszeichen 253) überhaupt ein erschließungsbeitragsrechtlich beachtliches Erschließungshindernis darstellen kann. Selbst wenn es als rechtliches Erschließungshindernis anzusehen wäre, so hat das Verwaltungsgericht zu Recht darauf abgestellt, dass jedenfalls das etwa 10 m lange Teilstück des L.-wegs zwischen dem Trafohäuschen und dem (ersten) Anbringungsort des Verkehrszeichens aufgrund seiner Breite dem klägerischen Grundstück die bebauungsrechtlich erforderliche Erschließung in Gestalt des Herauffahrenkönnens mit Lastkraftwagen vermittelt. Das wird seitens des Klägers auch nicht bestritten. Selbst wenn diese Möglichkeit des Herauffahrens durch mehr oder weniger zufällige Umstände, wie einen geeigneten Standort des Verkehrszeichens, eröffnet worden sein sollte, so ändert das nichts an der rechtlichen wie tatsächlichen Möglichkeit, vom L.-weg aus mit Lastkraftwagen auf das klägerische Grundstück heraufzufahren.“

Den vollständigen Beitrag lesen Sie in Die Gemeindekasse Bayern 16/2025, Rn. 136.