Diese Thematik war Gegenstand einer Schriftlichen Anfrage im Bayerischen Landtag. Die einzelnen Fragen und die unten vermerkte Antwort des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit, Pflege und Prävention vom 5.3.2025 geben wir nachfolgend auszugsweise wieder:
„Vorbemerkung:
Der Ministerrat hat am 5.11.2024 beschlossen, alle noch nicht abgeschlossenen Ordnungswidrigkeitsverfahren im Zusammenhang mit Verstößen gegen Coronarechtsvorschriften anhand des hierzu vom Staatsministerium für Gesundheit, Pflege und Prävention (StMGP) und vom Staatsministerium der Justiz (StMJ) vorgelegten Konzeptes zu beenden. Hintergrund ist, dass alle Ordnungswidrigkeiten wegen Verstößen gegen Coronarechtsvorschriften längere Zeit zurückliegen sowie die zugrunde liegenden Rechtsvorschriften allesamt außer Kraft getreten sind und aktuell nicht mehr erlassen werden könnten, sodass auch keine neuen Verstöße dagegen möglich wären. Das staatliche Verfolgungsinteresse hat nach Ende der Pandemie daher erheblich abgenommen und die weitere Verfolgung erscheint nicht mehr zweckmäßig.
Die Kreisverwaltungsbehörden und Staatsanwaltschaften wurden um Umsetzung dieses Konzepts sowie um statistische Erfassung der im Zusammenhang mit dem Ministerratsbeschluss vom 5.11.2024 beendeten Bußgeld- bzw. Vollstreckungsverfahren gebeten.
Nach den Rückmeldungen der Kreisverwaltungsbehörden wurden bayernweit bis Ende Januar 2025 5.212 Bußgeldverfahren (in denen noch kein Bußgeldbescheid erlassen worden oder der Bußgeldbescheid nicht rechtskräftig geworden war) und 7.967 Vollstreckungsverfahren beendet. Nach den Rückmeldungen der bayerischen Generalstaatsanwaltschaften wurden bis zum Stichtag 31.1.2025 insgesamt 295 Coronabußgeldverfahren eingestellt, wobei die Einstellung in 137 Verfahren auf Grundlage von §§ 69 Abs. 4, 47 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) und in 158 Verfahren auf Grundlage von § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. Vorschriften der Strafprozessordnung (StPO; z. B. §§ 170 Abs. 2, 154 Abs. 2, 206a StPO) erfolgte. Mit Stand 31.1.2025 wurde in 27 Vollstreckungsverfahren ein positiver Gnadenerweis erteilt.“
1.1 Wie viele Bußgeldverfahren sind aktuell in Bayern bei den zuständigen Verfolgungsbehörden, insbesondere bei den Kreisverwaltungsbehörden, den Staatsanwaltschaften und den Gerichten noch anhängig?
1.2 Wie viele Verfahren sollen insoweit eingestellt werden?
„Die Fragen 1.1 und 1.2 werden aufgrund des Sachzusammenhangs zusammen beantwortet.
Nach den Rückmeldungen der Kreisverwaltungsbehörden waren bis Ende Januar 2025 bayernweit lediglich noch 76 Coronabußgeld- und -vollstreckungsverfahren anhängig und zur Beendigung anstehend.
Eine Aussage, wie viele Coronabußgeld- und -vollstreckungsverfahren bei bayerischen Staatsanwaltschaften und Gerichten derzeit noch anhängig sind, ist mangels gesonderter Erfassung nur im Rahmen einer händischen Durchsicht aller derzeit anhängigen Bußgeldverfahren möglich. Angesichts des damit verbundenen Aufwands wurde hiervon – unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Bedeutung des parlamentarischen Fragerechts – abgesehen.
Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung verwiesen.“
2. Wie hoch ist die Zahl der bereits rechtskräftigen Bußgeldbescheide, bei denen nunmehr keine weitere Vollstreckung mehr stattfinden und die noch ausstehende Geldbuße erlassen werden soll?
„Es wird auf die Antwort zu den Fragen 1.1 und 1.2 und die Vorbemerkung verwiesen.“
3.Wie hoch ist die (Gesamt-)Summe der Bußgelder, auf die durch den angekündigten „Schlussstrich“ verzichtet werden soll (weil Verfahren eingestellt werden und weil auf Vollstreckung verzichtet wird)?
„Nach den Rückmeldungen der Kreisverwaltungsbehörden wurden bayernweit bis Ende Januar 2025 aufgrund der Beendigung der Coronavollstreckungsverfahren (nach rechtskräftigem Bußgeldbescheid) Geldbußen in Höhe von insgesamt 2.867.538,77 Euro erlassen.
Eine Summe von Bußgeldern, die aufgrund von Verfahrenseinstellungen nicht entrichtet werden mussten, ist nicht bekannt. Eine Ermittlung der Höhe derjenigen Bußgelder, die noch nicht rechtskräftig festgesetzt waren, wäre den zuständigen Behörden nicht in belastbarer Weise möglich gewesen. Abhängig vom jeweiligen Verfahrensstand war in diesen Verfahren die Höhe des Bußgelds noch nicht in einem Bußgeldbescheid festgesetzt oder diese Höhe war Gegenstand eines Einspruchsverfahrens.
Im Geschäftsbereich des StMJ liegen mangels Erfassung keine Zahlen zur Höhe der Bußgelder vor, die erlassen wurden oder erlassen werden sollen.
…“
5.1 Auf welche Rechtsgrundlagen stützt die Staatsregierung das beabsichtigte Vorgehen jeweils?
„Die Einstellung noch anhängiger Bußgeldverfahren erfolgt auf der Grundlage der Regelungen des OWiG und der StPO. Dabei wird vor allem von der Möglichkeit der Einstellung nach pflichtgemäßem Ermessen gemäß § 47 OWiG Gebrauch gemacht, sofern keine Gründe für eine vorrangige Einstellung nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. den Vorschriften der StPO vorliegen. Eine Einstellung gemäß § 47 OWiG soll aus den in der Vorbemerkung dargestellten Gründen erfolgen.
Hinsichtlich bereits bei Gericht anhängiger Coronabußgeldverfahren sollen die Staatsanwaltschaften eine Einstellung nach § 47 Abs. 2 OWiG anregen sowie ggf. die Klage gemäß § 71 OWiG i.V.m. § 411 Abs. 3 StPO zurücknehmen und das Verfahren dann nach § 47 Abs. 1 OWiG einstellen. Soweit eine Klagerücknahme durch die Staatsanwaltschaft im Einzelfall nicht mehr möglich sein sollte, kommen die Beendigungsmöglichkeiten für rechtskräftig beendete Verfahren nach dem beschlossenen Konzept zur Anwendung.
Der Erlass ausstehender Geldbußen bei bereits rechtskräftig abgeschlossenen Bußgeldverfahren erfolgt i. d. R. durch Gnadenerweis.“
5.2 Wie lässt sich das Vorgehen mit der Geltungskraft des Rechts und rechtsstaatlichen Grundprinzipien in Einklang bringen, nachdem die verletzten Normen für alle galten und nunmehr keine Sanktionierung mehr stattfinden soll …?
„Das Vorgehen zur Beendigung noch nicht abgeschlossener Coronabußgeld und -vollstreckungsverfahren nutzt die in der Antwort zu Frage 5.1 dargestellten rechtlichen Möglichkeiten, wie sie für alle Ordnungswidrigkeitsverfahren zur Verfügung stehen, und steht damit im Einklang mit rechtsstaatlichen Prinzipien. Auch wird damit nicht normverletzendes Verhalten im Nachhinein legitimiert; so beinhalten weder die Einstellung von Bußgeldverfahren nach pflichtgemäßem Ermessen gemäß § 47 OWiG noch die Beendigung von Vollstreckungsverfahren durch Gnadenerweis retrospektive Zugeständnisse hinsichtlich des sanktionierten Verhaltens, sondern stellen vielmehr Reaktionen auf die in der Vorbemerkung aufgeführten, zwischenzeitlich veränderten tatsächlichen und rechtlichen Umstände dar. Es soll angesichts der seit der Coronapandemie vergangenen Zeit ein umfassender Schlussstrich gezogen und so Rechtsfrieden herbeigeführt werden. Die weit überwiegende Mehrheit aller Coronaordnungswidrigkeitsverfahren war zum Zeitpunkt des Ministerratsbeschlusses vom 5.11.2024 bereits vollständig abgeschlossen und ist nicht betroffen.
5.3 Wie lässt sich das Vorgehen mit der Gleichbehandlung von Bürgerinnen und Bürgern in Einklang bringen …?
„Die in der Vorbemerkung genannten Erwägungen zur Beendigung der Bußgeld- und Vollstreckungsverfahren betreffen allein die weitere Verfolgung und Vollstreckung noch nicht abgeschlossener Verfahren. Die bereits erfolgte und abgeschlossene Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten bleibt indes weiterhin sachgerecht. Die von der Staatsregierung ergriffenen Coronaschutzmaßnahmen trugen dazu bei, Leben und Gesundheit der Bevölkerung vor den Gefahren des Coronavirus SARS-CoV-2 zu schützen. Die Bußgeldbewehrung vieler Coronarechtsvorschriften war ein Mittel, um die Einhaltung und Durchsetzung der Coronamaßnahmen zu erreichen.
Eine Vielzahl bereits ergangener gerichtlicher Entscheidungen hat bestätigt, dass der von der Staatsregierung eingeschlagene Weg grundsätzlich ein rechtskonformer war.“
Den vollständigen Beitrag lesen Sie in Die Fundstelle Bayern 16/2025, Rn. 173.