Dem unten vermerkten Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH) vom 26.2.2025 in einem Eilverfahren lag folgender Sachverhalt zu Grunde:
Der Antragsteller begehrt die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen den Widerruf seiner waffenrechtlichen Erlaubnisse. In den Jahren 2016 bis 2019 und erneut 2024 hat er sich gegenüber verschiedenen öffentlichen Stellen in einer Weise geäußert, die die Polizei und schließlich – anlässlich eines Antrags auf Verlängerung seiner sprengstoffrechtlichen Erlaubnis – auch das Landratsamt als zuständige Waffenbehörde zur Annahme veranlasst haben, der Antragsteller sei als „Reichsbürger“ anzusehen.
Mit Schreiben vom 8.7.2022 hat das Landratsamt deshalb den Antragsteller zu einem Beabsichtigten Widerruf der waffenrechtlichen Erlaubnisse angehört.
Am 2.2.2024 wurde der Antragsteller im Rahmen einer turnusmäßigen Überprüfung hinsichtlich seiner etwaigen weiteren Zugehörigkeit zur „Reichsbürgerbewegung“ durch die Kriminalpolizei telefonisch befragt und erneut als „Reichsbürger“ eingestuft. Daraufhin widerrief nach nochmaliger Anhörung das Landratsamt mit Bescheid vom 30.8.2024 die waffenrechtlichen Erlaubnisse des Antragstellers (Nr. 1), lehnte seinen Antrag auf Verlängerung seiner sprengstoffrechtlichen Erlaubnis ab (Nr. 2), verpflichtete ihn, die Waffenbesitzkarten, den Kleinen Waffenschein und die europäischen Feuerwaffenpässe zurückzugeben (Nrn. 3, 4) sowie seine Waffen und die Munition nach näheren Vorgaben dauerhaft unbrauchbar zu machen oder einem Berechtigten zu überlassen (Nr. 5). Des Weiteren wurden die sofortige Vollziehung der Nummern 3 und 5 angeordnet (Nr. 6) und Zwangsgelder angedroht (Nrn. 7, 8). Das Landratsamt begründete seinen Bescheid damit, dass wegen des bisherigen Verhaltens des Antragstellers und seiner Einstufung als „Reichsbürger“ von seiner waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit auszugehen sei.
Der Antragsteller hat hiergegen am 23.9.2024 Klage erhoben und gleichzeitig einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt. Das Verwaltungsgericht (VG) hat diesen Antrag mit Beschluss vom 27.11.2024 wegen fehlender Zuverlässigkeit abgelehnt; beim Antragsteller lägen Umstände vor, die auf eine ideologische Nähe bzw. Zugehörigkeit zur „Reichsbürgerbewegung“ schließen ließen.
Die Beschwerde des Antragstellers beim VGH war erfolglos. Dem Beschluss des VGH entnehmen wir:
1. Berücksichtigung einer „Reichsbürger-Haltung“ im Rahmen der waffenrechtlichen Zuverlässigkeitsprognose
„Nach § 45 Abs. 2 des Waffengesetzes (WaffG)…ist eine Erlaubnis nach diesem Gesetz zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Dies ist nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 i.V.m. § 5WaffG insbesondere der Fall, wenn sich der Antragsteller im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses als unzuverlässig im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2WaffG erweist.
Die Zuverlässigkeitsprüfung ist grundsätzlich prospektiv ausgerichtet und verlangt die Vornahme einer Prognose. Für diese ist insbesondere entscheidend, ob die ermittelten Tatsachen nach aller Lebenserfahrung ein plausibles Risiko dafür begründen, dass der Betroffene künftig das nach § 5 WaffG prognoserelevante Verhalten begehen wird. Es bedarf keiner Gewissheit, sondern nur einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit. Im Rahmen der Prognose ist das Verhalten der Person in der Vergangenheit zu berücksichtigen; daneben ist aber auch jeder andere Umstand, der beurteilungsrelevant sein kann, mit einzubeziehen…
Ist auf Basis von Tatsachen die Annahme gerechtfertigt, dass eine Person ,Reichsbürger‘ bzw. der ,Reichsbürgerszene‘ zuzuordnen ist, so ist grundsätzlich zugleich die Annahme gerechtfertigt, dass diese Person als Erlaubnisinhaber insbesondere i.S.d. § 5 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a WaffG Waffen oder Munition missbräuchlich oder leichtfertig verwenden wird (st.Rspr., vgl. BayVGH, U.v. 11.8.2022 – 24 B 20.1363 – juris Rn. 17 ff.; …; für § 41 Abs. 1 WaffG vgl. BayVGH, U.v. 23.9.2024 – 24 B 23.2139 – juris Rn. 24 f.).
Es kommt hierfür nicht auf eine persönliche und konkrete organisatorische Verbindung des betroffenen Erlaubnisinhabers in eine ,Reichsbürgerszene‘ oder ,Reichsbürgerbewegung‘ hinein an. Mit ,Reichsbürger‘ bzw. der Nähe oder Zuordnung zur so bezeichneten Szene oder Bewegung wird das Vorliegen und Offenbaren von spezifischen Ansichten, Einstellungen und Denkmustern des Erlaubnisinhabers auf den Begriff gebracht, die – als Tatsachen – die Annahme rechtfertigen, dass er mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die einschlägigen waffenrechtlichen Vorschriften namentlich in Situationen nicht einhalten wird, in denen er sich ungerecht oder rechtswidrig behandelt fühlt und gerade mit den staatlichen Autoritäten konfrontiert wird, deren Legitimation er schon dem Grunde nach nicht anerkennt.
Ansichten, Einstellungen und Denkmuster im vorgenannten Sinne liegen typischerweise vor, wenn der Erlaubnisinhaber einen Staatsangehörigkeitsausweis beispielsweise unter Bezugnahme auf einen Bundesstaat des Deutschen Reiches oder des ,RuStAG 1913‘ beantragt, anderweitig die Legitimität und Souveränität der Bundesrepublik Deutschland bezweifelt, indem er etwa meint, Deutschland befinde sich noch immer im Krieg und sei mangels Friedensvertrags nach dem Zweiten Weltkrieg noch immer besetzt, oder der Ansicht ist, dass die Bundesrepublik oder zumindest einzelne Behörden nur jeweils eine Firma seien, bei Streit mit Behörden lediglich privatrechtliche Regelungen gelten würden, oder annimmt, dass das Deutsche Reich der letzte rechtmäßige Staat der Deutschen gewesen sei, dessen Handlungsfähigkeit durch ,Austritt‘ aus der Bundesrepublik oder durch das Erklären ,individueller Souveränität‘ wiederhergestellt werden müsse und könne…
Ob eine Person hiernach eine – ausreichend verfestigte – ,Reichsbürger-Haltung‘ zum Ausdruck gebracht hat und deshalb als waffenrechtlich unzuverlässig angesehen werden kann, ist eine Frage des Einzelfalls. Gerade weil die ,Reichsbürgerbewegung‘ sehr heterogen ist und keine klar organisierte oder hinreichend strukturierte Personengruppe darstellt, kommt es auf eine Gesamtwürdigung aller Umstände, insbesondere der Persönlichkeit des Betroffenen und seiner prozessualen und außerprozessualen Verhaltensweisen und Einlassungen an …“
2. Bedeutung einschlägiger „reichsbürgertypischer“ Äußerungen oder Verhaltensweisen des Erlaubnisinhabers
„Die Prognose nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG muss ausweislich des Wortlauts auf Tatsachen beruhen, von deren Vorliegen die Waffenbehörde überzeugt ist bzw. sein darf. Einschlägige ,reichsbürgertypische‘ Äußerungen oder Verhaltensweisen des Erlaubnisinhabers bilden solche Tatsachen. Ihr Vorliegen muss aber nachgewiesen sein; bloße Gerüchte, Vermutungen oder vage Anhaltspunkte genügen nicht (vgl. SächsOVG, B.v. 19.8.2024 – 6 B 18/24 – juris Rn. 14 a.E.). Das für die Waffenbehörde maßgebliche Beweismaß ist das der Überzeugung. Weder ist absolute Gewissheit erforderlich noch die für eine gedachte strafrechtliche Verurteilung notwendige Überzeugungsgewissheit. Notwendig ist aber, dass die Umstände so erhärtet sind, dass an ihrem Vorliegen vernünftigerweise kein Zweifel besteht (vgl. BayVGH, B.v. 5.11.2024 – 24 CS 24.948 – juris Rn. 20 f. m.w.N.).
Vor diesem Hintergrund genügt eine polizei- oder verfassungsschutzbehördliche Einschätzung, dass ein Erlaubnisinhaber der ,Reichsbürgerbewegung‘ zuzuordnen ist, für sich genommen nicht. Erst wenn nachvollziehbar ist, aufgrund welcher Tatsachen – insbesondere aufgrund welcher schriftlicher oder mündlicher Äußerungen – es zu jener behördlichen Annahme gekommen ist, kann hierin eine Tatsache i.S.v. § 5 Abs. 1 Nr. 2WaffG liegen (vgl. VGH BW, B.v. 19.3.2024 – 6 S 1171/23 – Rn. 10; BayVGH, B.v. 30.1.2024 – 24 CS 23.1872 – juris Rn. 14; für die Aussage eines ,Belastungszeugen‘ BayVGH, B.v. 5.11.2024 – 24 CS 24.948 – juris Rn. 33 ff.).“
3. Berücksichtigung polizeilicher Ermittlungsergebnisse
„Die einschlägigen Aussagen des Antragstellers … sind ausreichend nachgewiesen. Richtigerweise hat sich das VG in Wahrnehmung seiner Pflichten nach § 86 VwGO nicht mit der Einschätzung der Polizei begnügt, sondern die dort vorhandenen Unterlagen angefordert (vgl. zu den Aufklärungspflichten und -möglichkeiten Der Waffenbehörde BayVGH, B.v. 5.11.2024 – 24 CS 24.948 – juris Rn. 35 ff.)… Zweifel an der Richtigkeit der in diesen Unterlagen enthaltenen Aussagen bestehen nicht. Das gilt nicht nur hinsichtlich der persönlichen Schreiben des Antragstellers, dessen Urheberschaft nicht in Frage gestellt wurde, sondern auch hinsichtlich der Vermerke und Formularberichte. Es ist weder ersichtlich noch substantiiert vorgetragen, dass die dort mitgeteilten Beobachtungen unzutreffend sind. Das gilt entgegen der erhobenen Rüge insbesondere auch für den…Polizeivermerk vom Februar [2024], obwohl dieser keinen näheren Aufschluss über den Gesprächsverlauf und die Gesprächsdauer gibt, sondern nur eine knappe Zusammenfassung enthält. Eine ausführlichere Wiedergabe des Gesprächs ist nicht erforderlich, weil es für die Einordnung des Antragstellers als ,Reichsbürger‘ nicht auf einzelne Details seiner Formulierungen ankommt. Es ist ausreichend, wenn im Rahmen einer Gesamtbetrachtung deutlich wird, dass der Antragsteller erneut grundlegende Zweifel an der Geltung wesentlicher Elemente der deutschen Rechtsordnung geäußert und damit zu erkennen gegeben hat, dass seine früheren Äußerungen weiterhin Gültigkeit haben. Dies ist der Fall. Allein, dass die Fragen provokant gewesen sein sollen, genügt – Bei Wahrunterstellung – nicht, um die Aussagekraft des Vermerks zu erschüttern.“
Den vollständigen Beitrag lesen Sie in Die Fundstelle Bayern 16/2025, Rn. 174.