§ 40 VwGO, § 17a GVG (Kein Verwaltungsrechtsweg für Rechtsschutz gegen sogenannten schlichten Parlamentsbeschluss)
Amtliche Leitsätze
- Die Annahme einer nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte entzogenen Streitigkeit verfassungsrechtlicher Art setzt nicht voraus, dass ausschließlich Verfassungsrechtssubjekte beteiligt sind (sogenannte doppelte Verfassungsunmittelbarkeit). Maßgeblich ist vielmehr, ob es im Kern des Rechtsstreits um das staatsorganisationsrechtliche Können, Dürfen oder Müssen eines Verfassungsrechtssubjekts als solches, das heißt gerade um dessen besondere verfassungsrechtliche Funktionen und Kompetenzen geht.
- Begehren Einzelpersonen Rechtsschutz gegen einen schlichten Parlamentsbeschluss, das heißt eine allgemeine politische Willensäußerung des Parlaments ohne rechtliche Verbindlichkeit, handelt es sich generell um eine Streitigkeit verfassungsrechtlicher Art, für die nicht der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, sondern ausschließlich die Verfassungsgerichtsbarkeit zuständig ist.
- Die Prüfungssperre des § 17a Abs. 5 GVG gilt nicht im Verhältnis von Verwaltungs- und Verfassungsgerichtsbarkeit.
BVerwG, Urteil vom 26.03.2025, 6 C 6.23
Zum Sachverhalt
Das Revisionsverfahren betrifft die Frage des für den Rechtsschutz gegen sogenannte schlichte Parlamentsbeschlüsse eröffneten Rechtsweges.
Die Kläger sind in der „Boycott, Divestment and Sanctions”-Bewegung (BDS-Bewegung) aktiv. Die Klägerin zu 1 ist Mitglied und Sprecherin der „Jüdisch-Palästinensischen Dialoggruppe M”. Der Kläger zu 2 ist Sprecher der Gruppe „BDS-Initiative O”. Der Kläger zu 3 ist in der deutsch-palästinensischen Gruppe „Palästina spricht – Koalition für palästinensische Rechte und gegen Rassismus” aktiv. Die drei genannten Organisationen unterstützen die BDS-Kampagne.
Am 17. Mai 2019 fasste der Deutsche Bundestag auf Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einen Beschluss mit dem Titel „Der BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten – Antisemitismus bekämpfen” (BT-Drs. 19/10191). Unter Gliederungspunkt I. des Beschlusses bekennt sich der Deutsche Bundestag zu seinem Versprechen, Antisemitismus in allen seinen Formen zu verurteilen und zu bekämpfen. Laut Arbeitsdefinition der Internationalen Allianz für Holocaust-Gedenken sei Antisemitismus eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken könne. Antisemitismus richte sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen. Darüber hinaus könne auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden werde, Ziel solcher Angriffe sein. Es gebe keine legitime Rechtfertigung für antisemitische Haltungen. Das entschiedene, unbedingte Nein zum Hass auf Jüdinnen und Juden, gleich welcher Staatsangehörigkeit, sei Teil der deutschen Staatsräson. Antisemitismus habe sich in seinen mörderischen Folgen als die verheerendste Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in der Geschichte unseres Landes und in ganz Europa erwiesen und sei heute noch eine Bedrohung sowohl für Menschen jüdischen Glaubens als auch für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung. Durch eine besondere historische Verantwortung sei Deutschland der Sicherheit Israels verpflichtet. Die Sicherheit Israels sei Teil der Staatsräson unseres Landes. Der Bundestag halte an der Zweistaatenlösung fest, wie sie der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in zahlreichen Resolutionen bekräftigt habe: einen jüdischen demokratischen Staat Israel und einen unabhängigen, demokratischen und lebensfähigen palästinensischen Staat.
Weiter wird unter I. des Beschlusses ausgeführt, dass die BDS-Bewegung seit Jahren auch in Deutschland zum Boykott gegen Israel, gegen israelische Waren und Dienstleistungen, israelische Künstler, Wissenschaftler sowie Sportler aufrufe. Der allumfassende Boykottaufruf führe in seiner Radikalität zur Brandmarkung israelischer Staatsbürger jüdischen Glaubens als Ganzes. Dies sei inakzeptabel und scharf zu verurteilen. Die Argumentationsmuster und Methoden der BDS-Bewegung seien antisemitisch. Die Aufrufe der Kampagne zum Boykott israelischer Künstler sowie Aufkleber auf israelischen Handelsgütern, die vom Kauf abhalten sollten, erinnerten zudem an die schrecklichste Phase der deutschen Geschichte. „Don’t Buy”-Aufkleber der BDS-Bewegung auf israelischen Produkten weckten unweigerlich Assoziationen zu der NS-Parole „Kauft nicht bei Juden!” und entsprechenden Schmierereien an Fassaden und Schaufenstern. Der Bundestag verurteile alle antisemitischen Äußerungen und Übergriffe, die als vermeintliche Kritik an der Politik des Staates Israel formuliert würden, tatsächlich aber Ausdruck des Hasses auf jüdische Menschen und ihre Religion seien, und werde ihnen entschlossen entgegentreten.
In dem Abschnitt II. des Beschlusses begrüßt der Deutsche Bundestag, dass zahlreiche Gemeinden bereits beschlossen hätten, der BDS-Bewegung oder Gruppierungen, die die Ziele der Kampagne verfolgten, die finanzielle Unterstützung und die Vergabe von kommunalen Räumen zu verweigern. Unter dem abschließenden Gliederungspunkt III. heißt es, der Deutsche Bundestag beschließe, jeder Form des Antisemitismus schon im Entstehen in aller Konsequenz entschlossen entgegenzutreten und die BDS-Kampagne und den Aufruf zum Boykott von israelischen Waren oder Unternehmen sowie von israelischen Wissenschaftlern, Künstlern oder Sportlern zu verurteilen und Räumlichkeiten sowie Einrichtungen, die unter der Bundestagsverwaltung stehen, keinen Organisationen, die sich antisemitisch äußern oder das Existenzrecht Israels infrage stellen, zur Verfügung zu stellen. Die Bundesregierung wird aufgefordert, keine Veranstaltungen der BDS-Bewegung oder von Gruppierungen, die deren Ziele aktiv verfolgen, zu unterstützen. Der Bundestag werde seine Unterstützung für die Bundesregierung und den Beauftragten für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus sowohl in der Prävention als auch in der entschiedenen Bekämpfung von Antisemitismus und jeglichem Extremismus unvermindert fortsetzen. Er werde keine Organisationen oder Projekte finanziell fördern, die das Existenzrecht Israels infrage stellten, zum Boykott Israels aufriefen oder die BDS-Bewegung aktiv unterstützten. Länder, Städte und Gemeinden und alle öffentlichen Akteure seien dazu aufgerufen, sich dieser Haltung anzuschließen.
Die Kläger haben vor dem Verwaltungsgericht Klage erhoben und beantragt, den Beschluss des Deutschen Bundestages vom 17. Mai 2019 in seiner Gesamtheit, hilfsweise in im Einzelnen bezeichneten Passagen, für mit ihren Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Art. 8 Abs. 1, Art. 9 Abs. 1 GG sowie Art. 10 Abs. 1 und Art. 11 Abs. 1 EMRK unvereinbar und nichtig zu erklären, höchst hilfsweise festzustellen, dass der Beschluss in seiner Gesamtheit, hilfsweise in im Einzelnen bezeichneten Passagen, rechtswidrig ist, sowie der Beklagten bei Vermeidung eines vom Gericht für jede Verletzungshandlung festzusetzenden Ordnungsgelds bis zu 250 000 Euro zu untersagen, wörtlich oder sinngemäß über die Kläger den Inhalt des fraglichen Beschlusses – in seiner Gesamtheit, hilfsweise hinsichtlich im Einzelnen bezeichneter Passagen – zu behaupten, zu verbreiten und/oder behaupten oder verbreiten zu lassen.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zurückgewiesen.
Mit der vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihr Rechtsschutzbegehren weiter.
Beitrag entnommen aus Bayerische Verwaltungsblätter 18/2025, S. 634.

