Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat relativ selten über Verfahren zu entscheiden, in denen sich Gemeinden gegen eine kommunalaufsichtliche Maßnahme zur Wehr setzen. In einem der wenigen Verfahren hat sich der VGH nunmehr im unten vermerkten rechtskräftigen Beschluss vom 16.5.2025 zu den Voraussetzungen eines Ausgleichs von Unterdeckungen gemäß § 8 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 KAG äußern können.
Ein Landratsamt hatte mit Bescheid vom 30.12.2024 u.a. unter Anordnung der sofortigen Vollziehung einen Beschluss des Gemeinderats der antragstellenden Gemeinde vom 11.11.2024 beanstandet, mit dem dieser unter „TOP 7 Kalkulation der Gebührensätze der gesplitteten Abwassergebühr; Neufestsetzung“ einstimmig einen Vorschlag der Verwaltung ablehnte, „bei den kostendeckenden Gebühren die Ergebnisse der Vorjahre einzubeziehen“ (Nr. 1). Den Antrag der Gemeinde auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hatte das Verwaltungsgericht (VG) abgelehnt. Auf die Beschwerde der Gemeinde stellte der VGH die aufschiebende Wirkung der Klage u.a. gegen Nr. 1 des Bescheids des Landratsamts wieder her. Dem Beschluss des VGH entnehmen wir auszugsweise:
1. Die Verpflichtung zum Ausgleich von Unterdeckungen gemäß Art. 8 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 KAG setzt voraus, dass die Gemeinde für den Zeitraum, in dem die Kostenunterdeckung eingetreten ist, eine Kalkulation durchgeführt hat
„Gemeinden, Landkreise und Bezirke können für die Benutzung ihrer öffentlichen Einrichtungen und ihres Eigentums Benutzungsgebühren erheben (Art. 8 Abs. 1 Satz 1 KAG). Diese sollen erhoben werden, wenn und soweit eine Einrichtung überwiegend dem Vorteil einzelner Personen oder Personengruppen dient, sofern nicht ein privatrechtliches Entgelt gefordert wird (Art. 8 Abs. 1 Satz 2 KAG). Das Gebührenaufkommen soll die nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen ansatzfähigen Kosten einschließlich der Kosten für die Ermittlung und Anforderung von einrichtungsbezogenen Abgaben decken (Art. 8 Abs. 2 Satz 1 KAG). Bei der Bemessung der Gebühren kann der kommunale Einrichtungsträger Kosten für einen mehrjährigen Zeitraum berücksichtigen, der jedoch höchstens vier Jahre umfassen soll (Art. 8 Abs. 6 Satz 1 KAG). Kostenüberdeckungen, die sich am Ende des Bemessungszeitraums ergeben, sind innerhalb des folgenden Bemessungszeitraums auszugleichen; Kostenunterdeckungen sollen in diesem Zeitraum ausgeglichen werden (Art. 8 Abs. 6 Satz 2 KAG).
Entgegen der Auffassung des VG setzt die grundsätzliche Verpflichtung zum Ausgleich von Unterdeckungen gem. Art. 8 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 KAG voraus, dass die Gemeinde oder der sonstige kommunale Einrichtungsträger für den Zeitraum, in dem die Kostenunterdeckung eingetreten ist, eine Kalkulation durchgeführt hat.
Das Kommunalabgabengesetz sieht keine Verpflichtung der kommunalen Einrichtungsträger vor, Benutzungsgebühren aufgrund einer Kalkulation zu bemessen (vgl. BayVGH, U.v. 17.6.1998 – 23 B 95.4088 – juris Rn. 41; Wernsmann/Geiß in BeckOK Kommunalabgabenrecht Bayern, Stand 1.2.2025, Art. 8 Rn. 49). Insbesondere ergibt sich eine solche nicht aus Art. 8 Abs. 6 Satz 1 KAG. Diese Vorschrift stellt lediglich klar, dass in dem Fall, dass eine (Vor-)Kalkulation erstellt und der Gebührenbemessung zugrunde gelegt wird, diese einen mehrjährigen, allerdings vier Jahre nicht übersteigenden Zeitraum betreffen kann (LT-Drs. 12/8082 S. 9).
Die sich aus Art. 8 Abs. 6 Satz 2 KAG ergebende Pflicht, Kostenüberdeckungen auszugleichen (Halbsatz 1), und die in der Vorschrift enthaltene Vorgabe, dass Kostenunterdeckungen ausgeglichen werden sollen (Halbsatz 2), besteht nach dem eindeutigen Wortlaut (,die sich am Ende des Bemessungszeitraums ergeben‘) nur, wenn es einen Bemessungszeitraum gibt. Im Hinblick auf die systematische Stellung des Art. 8 Abs. 6 Satz 2 KAG im Anschluss an Art. 8 Abs. 6 Satz 1 KAG ist insoweit ein ein- oder mehrjähriger Zeitraum gemeint, auf den bezogen (voraussichtlich) anfallende Kosten veranschlagt werden. Führt die Gemeinde oder der sonstige Einrichtungsträger keine (Vor-)Kalkulation durch, so gibt es keinen Bemessungszeitraum, an dessen Ende sich eine Über- oder Unterdeckung ergeben könnte (vgl. Wernsmann/Geiß a.a.O. Art. 8 Rn. 113 [,Überdeckung oder Unterdeckung trotz sorgfältiger Kostenveranschlagung‘]; Brüning NVwZ 2020, 563/564 f.; vgl. zu Kostenüberdeckungen bereits BayVGH, U. v. 15.3.2005 – 23 B 04.2579 – juris Rn. 33 [keine Sanktionierung von Kostenüberdeckungen, ,die sich aus einer vom Einrichtungsträger unterlassenen oder den Anforderungen des Art. 8 KAG nicht entsprechenden Gebührenkalkulation ergeben oder die bewusst herbeigeführt wurden‘]; a.A. (wohl) Hölzlwimmer in Thimet, Kommunalabgaben- und Ortsrecht in Bayern, Stand Januar 2025,Art. 8KAGFrage 14 unter 3.). Eine gegebenenfalls auszugleichende Unterdeckung kann dementsprechend nur dann eintreten, wenn die tatsächlichen Kosten von den kalkulierten oder die tatsächliche Inanspruchnahme der Einrichtung von der kalkulierten abgewichen sind (vgl. Brüning a.a.O.; zu Überdeckungen BayVGH a.a.O.).
Für dieses Auslegungsergebnis spricht neben dem Wortlaut auch die Entstehungsgeschichte des Art. 8 Abs. 6 Satz 2 KAG. In dem Gesetzentwurf der Staatsregierung zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes LT-Drs. 12/8082 verwendet diese die Begriffe ,Bemessungszeitraum‘ und ,Kalkulationszeitraum‘ synonym (,Den einmal gewählten Bemessungszeitraum kann die Kommune im allgemeinen nicht nachträglich ändern, ebenso wenig wie die Vorkalkulation selbst. Innerhalb eines solchen Kalkulationszeitraums wird es regelmäßig Schwankungen in der Kostenrechnung geben – ohne dass die Kostendeckung insgesamt vorkalkulatorisch in Frage gestellt ist.‘ [a.a.O. S. 9]).“
2. Dass die Kreditaufnahme durch eine Gemeinde die „letzte Einnahmebeschaffungsmöglichkeit“ darstellt, rechtfertigt keine abweichende Auslegung des Art. 8 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 KAG
„Der vom Landratsamt in seinem Bescheid betonte Aspekt, dass die Kreditaufnahme durch eine Gemeinde die ,letzte Einnahmebeschaffungsmöglichkeit‘ darstellt (vgl. Art. 62 Abs. 3 GO), rechtfertigt keine abweichende Auslegung des Art. 8 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 KAG. Die Vorschrift betrifft zwar die gemeindliche Einnahmebeschaffung, was sich auch aus dem bereits angesprochenen Gesetzentwurf der Staatsregierung ergibt (,wegen Art. 8 Abs. 2 KAG beziehungsweise Art. 62 Abs. 2 GO geboten …, Kostenüberdeckungen beziehungsweise Kostenunterdeckungen innerhalb des folgenden Bemessungszeitraums auszugleichen‘ [a.a.O.]).
Bei ihrer Auslegung ist indes zu berücksichtigten, dass ein Ausgleich nach Art. 8 Abs. 6 Satz 2 Hs. 2 KAG dazu führt, dass für in der Vergangenheit entstandene Kostenunterdeckungen teilweise Gebührenschuldner herangezogen werden, die zum Zeitpunkt des Entstehens der Unterdeckungen noch nicht solche waren (vgl. Stadlöder in Schieder/Happ, KAG, Stand Juni 2023, Art. 8 Rn. 18). Diesem – den Ausgleich einem besonderen Rechtfertigungsdruck aussetzenden – Umstand trägt der Gesetzgeber sowohl durch die zeitliche Begrenzung des Ausgleichs als auch durch die Forderung eines Bemessungs- bzw. Kalkulationszeitraums Rechnung. Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass auch im Fall einer fehlenden Kalkulation ein Ausgleich zumindest möglich sein soll, hätte er einen solchen nicht an die Situation am ,Ende des Bemessungszeitraums‘ anknüpfen dürfen; ob eine solche gesetzliche Regelung (verfassungsrechtlich) zulässig wäre, kann dahingestellt bleiben.
Im Fall der Antragstellerin ist davon ausgehend der Anwendungsbereich des Art. 8 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 KAG nicht eröffnet. Die Antragstellerin hat die Abwassergebühren für den Zeitraum 2021 bis 2024 nicht aufgrund einer diesen betreffenden (Vor-)Kalkulation bemessen, sondern bei der Bemessung auf die zuletzt für die Jahre 2015 bis 2018 kalkulierten Gebührensätze zurückgegriffen und diese lediglich fortgeschrieben …“
3. Politisch gewollte bzw. bewusst in Kauf genommene Unterdeckung
„Ob Art. 8 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 KAG Anwendung findet, wenn bei der Gebührenbemessung, der eine (Vor-)Kalkulation zugrunde lag, eine Unterdeckung ,politisch gewollt‘ war bzw. ,bewusst in Kauf genommen‘ wurde …, bedarf im vorliegenden Verfahren keiner Entscheidung.“
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 16.5.2025 – 4 CS 25.564
Beitrag entnommen aus Die Fundstelle Bayern 18/2025, Rn. 188.

