Rechtsprechung Bayern

Durchsuchung aufgrund pseudonymer Anzeige

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Sachverhalt:

Die Staatsanwaltschaft wandte sich erfolglos dagegen, dass der Ermittlungsrichter beim Amtsgericht Nürnberg den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses abgelehnt hat.

Dem Durchsuchungsantrag lag zugrunde, dass ein Anzeigeerstatter beim Hauptzollamt Nürnberg per E-Mail mitgeteilt hatte, seine – namentlich und mit Angabe der Nürnberger Wohnadresse genannte – Großmutter habe u. a. „einen Revolver im Schrank“. Die Großmutter sei „schwer kriminell in der rumänischen Mafia vertreten“. Nach diesem Revolver sollte gesucht werden.

Polizeiliche Ermittlungen ergaben, dass die Großmutter – die Beschuldigte – 73 Jahre alt ist, in Rumänien geboren wurde, unter der angegebenen Adresse wohnt und dass bei ihr schon 2022 aufgrund einer anonymen Anzeige eine Wohnungsdurchsuchung stattgefunden hat. In der seinerzeitigen Anzeige wurde sie der Impfpassfälschung beschuldigt, wegen der sie zwischenzeitlich auch rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. Eine Schusswaffe wurde bei dieser Durchsuchung nicht aufgefunden.

Die in der aktuellen Anzeige-E-Mail angegebene Telefonnummer des vermeintlichen Anzeigers gehört einer über 60 Jahre alten Frau mit Wohnsitz bei Hannover. Sie hat wegen der missbräuchlichen Verwendung ihrer Daten schon wiederholt Anzeige bei der Polizei erstattet. Der angegebene Name des aktuellen Anzeigeerstatters gehört deren Sohn, der ebenfalls bei Hannover lebt. Der kennt die E-Mail-Adresse nicht, von der aus die Anzeige an den Zoll ging; er vermutet, sein Name sei beim „Zocken im Internet“ von Unbekannten abgegriffen worden. Die Unbekannten würden mit seinen Personalien „verschiedenen Blödsinn“ treiben.

Das Amtsgericht Nürnberg lehnte vor diesem Hintergrund den Erlass des Durchsuchungsbeschlusses bei der Beschuldigten ab. Hiergegen wandte sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Beschwerde. Das Amtsgericht half dieser nicht ab.

StPO – § 102

Als Grundlage für eine Durchsuchung kann eine anonyme Aussage nur genügen, wenn sie von beträchtlicher sachlicher Qualität ist oder mit ihr zusammen schlüssiges Tatsachenmaterial vorgelegt wurde. Landgericht Nürnberg-Fürth (Beschl. v. 15.03.2023 – 12 Qs 23/23 – Verlags-Archiv Nr. 24-01-08)

Aus den Gründen:

[6] Die Beschwerde ist unbegründet. Zu Recht hat es das Amtsgericht abgelehnt, den Durchsuchungsbeschluss zu erlassen. Es fehlt an einem Anfangsverdacht.

[7] Zur Rechtfertigung der Wohnungsdurchsuchung zum Zwecke der Strafverfolgung ist ein auf konkreten Tatsachen beruhender Anfangsverdacht erforderlich. Vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen reichen nicht aus. Angaben anonymer Hinweisgeber sind als Verdachtsquelle zur Aufnahme weiterer Ermittlungen zwar nicht generell ausgeschlossen. Allerdings müssen die Voraussetzungen des § 102 StPO besonders sorgfältig geprüft werden. Als Grundlage für eine Durchsuchung kann eine anonyme Aussage nur genügen, wenn sie von beträchtlicher sachlicher Qualität ist oder mit ihr zusammen schlüssiges Tatsachenmaterial vorgelegt wurde (…).

[8] Daran fehlt es. Die Personalien und die Telefonnummer des Anzeigeerstatters waren nach Lage der Dinge gefälscht; die Beschuldigte ist offensichtlich nicht Großmutter des vermeintlichen Anzeigers. Der vermeintliche Revolver ist nicht als scharfe Waffe identifiziert, eine Scheinwaffe oder ein Schreckschuss- oder Gasrevolver sind nach dem Wortlaut der Anzeige möglich. Die am 07. April 2022 durchgeführte Durchsuchung bei der Beschuldigten wegen der Impfpassfälschung förderte keine Schusswaffe zutage; anders als die jetzige Anzeige erfolgte die damalige nicht unter einer Falschidentität, sondern völlig anonym. Die Beschuldigte ist ausweislich des Berufungsurteils wegen der Impfpassfälschung Rentnerin, bis auf die dort ausgeworfene Geldstrafe nicht vorbestraft und damit beschäftigt, ihren 88-jährigen Ehemann zu pflegen. Der Kammer fehlt nach alldem die Fantasie, die Beschuldigte als „schwer kriminell in der rumänischen Mafia“ einzuordnen. Eine Wohnungsdurchsuchung scheidet auf gegebener Aktengrundlage aus.

Anmerkungen:

Die vorgestellte Entscheidung fügt sich in die obergerichtliche Rechtsprechung ein. Insoweit ist jedenfalls für anonyme Anzeigen – ohne ersichtlichen Anzeigeerstatter – anerkannt, dass die Angaben des nicht offen auftretenden Anzeigeerstatters in besonderer Weise zu überprüfen sind. Insoweit führte das BVerfG (Beschl. v. 23.10.2003 – 2 BvR 1478/03 –, Rn. 8) wie folgt aus:

„Wegen der erhöhten Gefahr und des nur schwer bewertbaren Risikos einer falschen Verdächtigung durch anonyme Anzeigen (…) wäre es gegebenenfalls verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet, wenn die Anzeige ungeprüft zum Anlass des schwer wiegenden Grundrechtseingriffs genommen worden wäre. Das Landgericht hat jedoch darauf abgestellt, dass einzelne Positionen der anonymen Anzeige, welche insgesamt auf ein profundes Sachwissen des Anonymus hinwiesen, einer Überprüfung unterzogen und einzelne Punkte hierbei verifiziert worden seien. Das Landgericht hat die Annahme des Anfangsverdachts auch nicht auf Umstände gestützt, die das Vorliegen einer Straftat für sich genommen nicht begründen könnten. Vielmehr hat das Landgericht erkennbar die verifizierten Umstände gemeinsam mit der anonymen Anzeige einer Würdigung unterzogen. Ob die fachgerichtliche Würdigung die Annahme einer hohen Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Aussage der anonymen Anzeige zutreffend sei, rechtfertigt, kann offen bleiben. Gegen die damit zugleich getroffene Annahme der Möglichkeit verfolgbarer Straftaten ist jedenfalls verfassungsrechtlich nichts zu erinnern.“

Nichts anderes gilt für pseudonyme Anzeigen – solche, die ersichtlich unter falschem Namen erstattet werden. Auch in derartigen Fällen kann der Anzeigeerstatter zumeist nicht als Zeuge namentlich vernommen werden. Dessen Person kann auf ihre Glaubwürdigkeit hin gerade nicht überprüft werden. Mangels Nachfrage- und kritischer Würdigungsmöglichkeit treten insoweit auch deutliche Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Angaben zutage.

Entnommen aus dem Neuen Polizeiarchiv Heft 01/2024, Lz. 508.