Im unten vermerkten, rechtskräftigen Urteil des Verwaltungsgerichts München (VG) vom 28.3.2023 ging es um Folgendes: Nach der vom Antragsgegner (Vergabestelle) anhand der Bewertungskriterien vorgenommenen Bepunktung erzielte die Antragstellerin, die den Zuschlag im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vor dem Verwaltungsgericht erhalten wollte (und erhielt), mit 628,75 Punkten 15 Punkte mehr als die Beigeladene, der die Vergabestelle den Zuschlag erteilen wollte. Gemäß den Bewertungskriterien und der erlangten höheren Punktezahl wäre der Antragstellerin der Zuschlag zu erteilen gewesen. Der Antragsgegner traf seine Entscheidung jedoch nicht ausschließlich nach den in der Vergaberichtlinie festgelegten Bewertungskriterien, sondern stellte tragend auf ein zusätzliches Kriterium der „Zuverlässigkeit“ ab. Das VG führt aus:
„Es bestehen keine Zweifel, dass der Antragsgegner an die von ihm aufgestellten Bewertungskriterien aufgrund der hierdurch eingetretenen Selbstbindung der Verwaltung gebunden war (vgl. NdsOVG, Beschluss vom 17.11.2009 – 7 ME 116/09). Gegen die Einlassung des Antragsgegners, dass es sich hierbei lediglich um rein interne, eine Selbstbindung nicht auslösende Verwaltungsvorschriften handele, spricht schon maßgeblich, dass die Kriterien Grundlage und Bestandteil der Ausschreibung waren.
Zwar darf der Betreiber einer öffentlichen Einrichtung aufgrund seines weiten Spielraums bei Bestimmung und Ausübung seines Gestaltungswillens die Kriterien für die Zulassung grundsätzlich auch während eines Bewerbungsverfahrens ändern, Voraussetzung ist allerdings, dass hierbei die rechtsstaatlichen Grundsätze, namentlich die Willkürfreiheit, eine transparente und einheitliche, an Art. 3 Abs. 1 GG orientierte Verfahrensgestaltung und der Vertrauensschutz beachtet werden (vgl. zu § 70 GewO VGH BW, Beschluss vom 22.11.2016 – 6 S 2207/ 16). Auch der konkrete Auswahlvorgang muss den Erfordernissen der Transparenz und Nachvollziehbarkeit genügen. Eine Vollzugspraxis, in deren Rahmen zu beachtende Auswahlkriterien intern ergänzt oder modifiziert werden, ist mit dem Transparenzverbot unvereinbar (vgl. BayVGH, Beschluss vom 12.8.2013 – 22 CE 13.970) …
Diese Grundsätze hat der Antragsgegner vorliegend nicht beachtet.
Soweit der Antragsgegner die Ablehnung der Antragstellerin maßgeblich mit ihrer (nach seiner Auffassung bestehenden) Unzuverlässigkeit begründet hat, hat er das Bewertungskriterium ,bekannt und bewährt‘ herangezogen, das auch das Element der Zuverlässigkeit beinhaltet. Dieses Merkmal war nicht in der Zulassungsrichtlinie enthalten. Zwar ist die Heranziehung des Merkmals ,bekannt und bewährt‘ als Bestandteil eines sachlich gerechtfertigten Verteilungsmaßstabs grundsätzlich zulässig (vgl. BayVGH, Beschluss vom 27.3.2001 – 4 ZE 01.628 …) und kann daher auch einen tragfähigen und sachlich nachvollziehbaren Grund für die Änderung der Zulassungskriterien darstellen. Vorliegend mangelt es bei der Änderung der Zulassungskriterien im konkreten Einzelfall jedoch an der erforderlichen Transparenz, da es der Antragsgegner versäumt hat, den Bewerbern vor der Auswahlentscheidung die geänderten Zulassungskriterien bekannt zu geben. Hierdurch hatten die Bewerber keine Möglichkeit, auf die geänderten Zulassungsbedingungen zu reagieren und ihre Bewerbung gegebenenfalls entsprechend zu ergänzen.
Dies wiegt vorliegend besonders schwer, weil es sich bei dem Kriterium der Zuverlässigkeit als Teil des Merkmals der ,Bewährung‘ um ein persönlichkeitsbezogenes Merkmal handelt. So konnte sich die – von der Änderung besonders betroffene – Antragstellerin nicht zu dem gegen sie bzw. den Geschäftsführer erhobenen – persönlichen – Vorwurf der fehlenden Zuverlässigkeit äußern …
Es kann weiter nicht ausgeschlossen werden, dass die Auswahlentscheidung anders ausgefallen wäre, wenn die Antragstellerin in Kenntnis der Entscheidungserheblichkeit des Kriteriums ,bekannt und bewährt‘ Angaben zu den im Zusammenhang mit dem Vorwurf ihrer fehlenden Zuverlässigkeit stehenden Vorfällen gemacht hätte, zumal die Antragstellerin schon nach der Vergaberichtlinie einen Vorsprung von 15 Punkten gegenüber der Beigeladenen hatte. Durch die Unterlassung der Bekanntgabe der nachträglichen Erweiterung der Zulässigkeitskriterien um das Merkmal ,bekannt und bewährt‘ dürfte der Antragsgegner daher das Gebot einer fairen und transparenten Verfahrensgestaltung verletzt haben.
Gleiches gilt im Übrigen für die Erwägung, man habe durch die Ausschreibung ,frischen Wind‘ in das … Volksfest bringen wollen. Da diese Intention des Antragsgegners weder dem Vergabebeschluss noch der Vergaberichtlinie entnommen werden konnte, war es der Antragstellerin aufgrund der mangelnden Transparenz von vorneherein nicht möglich, ihre bisherige Durchführung der Veranstaltung gegebenenfalls auf ein neues Veranstaltungskonzept umzustellen. Soweit mit dem Kriterium ,frischer Wind‘ ein ,Wechsel des Festwirts‘ bezweckt werden sollte, würde sich ein solches Kriterium bereits als diskriminierend und unzulässig darstellen, weil damit die Antragstellerin von vorneherein von der Vergabe ausgeschlossen wäre, ohne dass dies an ein sachliches Kriterium anknüpfen würde (vgl. VG München, Beschluss vom 28.6.2021 – M 7 E 21.159).
Darüber hinaus dürfte die Heranziehung des Merkmals ,bekannt und bewährt‘ auch willkürlich erfolgt sein. So ist schon nicht nachvollziehbar, weshalb einzig aufgrund der geringen Anzahl von nur zwei Bewerbungen die aufgestellten Bewertungskriterien keine ,richtige Rolle‘ mehr hätten spielen sollen (vgl. Vergabevermerk vom …). Denn nach der vorgenommenen Bepunktung hatte die Antragstellerin einen Vorsprung von 15 Punkten, sodass ihr nach Abschnitt IV der Vergaberichtlinie eindeutig der Zuschlag hätte erteilt werden müssen. Dass im Rahmen eines Vergabeverfahrens die Anzahl der tatsächlich eingegangenen Bewerbungen unter den Erwartungen liegt, liegt im Bereich des Möglichen … Es liegt in der Natur der Sache einer Bewertung anhand eines Punktesystems, dass auch ein geringer Punktunterschied für die Zulassungsentscheidung ausschlaggebend sein kann … Vielmehr legt der Vergabevermerk nahe, dass (wohl) erst aufgrund des Punktevorsprungs der Antragstellerin das zusätzliche Kriterium ,bekannt und bewährt‘ aufgenommen worden ist, sodass die Vorgehensweise erhebliche Zweifel an der Objektivität des Verfahrens weckt.
Die Antragstellerin dürfte nach summarischer Prüfung auch mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Anspruch auf Zulassung zum Volksfest als Veranstalterin bzw. Festwirtin haben, da das bei Auswahlentscheidungen grundsätzlich bestehende Ermessen des Antragsgegners vorliegend auf Null reduziert gewesen sein dürfte. Wie bereits ausgeführt, war der Antragsgegner an die von ihm in der Ausschreibung aufgestellten Zulassungskriterien gebunden. Hiernach hatte die Antragstellerin gegenüber der Beigeladenen als einziger Konkurrentin einen Vorsprung von 15 Punkten, sodass bei rechtskonformer Anwendung der Vergaberichtlinie der Zuschlag zwingend an die Antragstellerin zu vergeben und jede andere Entscheidung als rechts- und ermessensfehlerhaft anzusehen gewesen wäre …“
Verwaltungsgericht München, Urteil vom 28.3.2023 – 7 E 23.117.
Entnommen aus der Gemeindekasse Bayern Heft 4/2024, Rn. 40.