§ 10 AsylG; §§ 67, 101 VwGO; §§ 14, 41, 43 VwVfG; §§ 7, 8 VwZG (Zustellungsmangel; Zustellung an Bevollmächtigten; Heilung Zustellungsmangel; schriftliche Vollmacht; Übersendung der Vollmacht per Telefax)
Nichtamtliche Leitsätze:
- Für eine wirksame Bevollmächtigung im Sinne von § 7 1 Satz 2 VwZG (Vorlage einer schriftlichen Vollmacht), die die Zustellungspflicht der Behörde gegenüber dem Bevollmächtigten auslöst, genügt es, wenn ein bevollmächtigter Rechtsanwalt die Vollmacht per Fax an die Behörde gesendet hat (a. A. BGH, U.v. 23.06.1995 – 1 IZ 106/92 – juris Rn. 9 ff.; BVerwG, B.v. 03.06.2011 – 6 PB 1.11).
- Ein Zustellungsmangel wird nicht dadurch geheilt, dass einem bevollmächtigten Rechtsanwalt eine Kopie des Bescheids überlassen wird oder dieser vom Bescheid im Rahmen der Akteneinsicht Kenntnis erlangt (a. A. u. a. BVerwG, U.v. 18.04.1997 – 8 C 43.95 – juris Rn. 29).
VG München, Urteil vom 27.07.2023, M 10 K 18.32967 (rechtskräftig)
Zum Sachverhalt:
Der senegalesische Kläger wendet sich gegen die Ablehnung seines Asylantrags als offensichtlich unbegründet.
Der Kläger reiste im März 2014 nach Deutschland ein und stellte am 4. April 2014 einen Asylantrag. Ausweislich des in der Behördenakte befindlichen vom Kläger unterschriebenen Formblatts zur Belehrung für Erstantragsteller über Mitwirkungspflichten und die allgemeinen Verfahrenshinweise wurde der Kläger auf Deutsch und Französisch über den Inhalt des § 10 Asylverfahrensgesetz (AsylG) belehrt.
Mit Bescheid vom 5. Mai 2014 wies die Regierung von O dem Kläger eine (dezentrale) Unterkunft in O zu. Am 4. April 2016 teilte das Landratsamt M die neue Adresse in N (Auf der H 99) mit.
Mit per Fax gesendetem Schreiben vom 25. Juli 2016 zeigte der damalige Bevollmächtigte die Vertretung des Klägers gegenüber der Beklagten an und beantragte die Gewährung von Akteneinsicht. Die Faxsendung ging bei der Beklagten ausweislich des Faxaufdrucks auf dem Schreiben am selben Tag um 13.00 Uhr ein. Diesem Schreiben war eine ebenfalls am selben Tag um 13.00 Uhr per Fax gesendete vom Kläger am 22. Juli 2016 ausgestellte Vollmacht als Anlage beigefügt.
Mit Bescheid vom 28. Juli 2016 lehnte die Beklagte den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Asylanerkennung als offensichtlich unbegründet ab (Nrn. 1 und 2). Der Antrag auf subsidiären Schutz wurde abgelehnt (Nr. 3). Das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG wurde verneint (Nr. 4). Dem Kläger wurde unter Setzung einer Ausreisefrist von einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheids die Abschiebung in den Senegal angedroht, wobei die Abschiebung auch in einen anderen Staat erfolgen könne, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei (Nr. 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG angeordnet und auf 10 Monate ab dem Tag der Ausreise befristet (Nr. 6). Das „gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot“ wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 7).
Der streitgegenständliche Bescheid wurde mit Postzustellungsurkunde (PZU) an den Kläger persönlich adressiert gesendet. Ausweislich der in der Behördenakte befindlichen PZU war der Zustellungsversuch an der Adresse des Klägers in N am 2. August 2016 erfolglos.
Mit per Fax am 10. August 2016 gesendeten Schreiben des damaligen Bevollmächtigten des Klägers teilte der Bevollmächtigte der Beklagten die neue Anschrift des Klägers in U mit.
Mit per Post gesendetem Schreiben vom 10. Januar 2017 des damaligen Bevollmächtigten des Klägers teilte dieser der Beklagten mit, dass er bereits mit Schreiben vom 25. Juli 2016 unter Vollmachtsvorlage die Vertretung des Klägers angezeigt habe und Akteneinsicht beantragt habe. Da er noch keinen Posteingang habe verzeichnen können, forderte er die Beklagte zur unverzüglichen Akteneinsicht auf. Diesem Schreiben vom 10. Januar 2017 waren das Übertragungsprotokoll der Faxsendung vom 25. Juli 2016 sowie das Schreiben vom 25. Juli 2016 mit dem Aufdruck „Kopie“ und die Vollmacht beigefügt.
Mit Schreiben vom 31. Januar 2017 leitete die Beklagte dem damaligen Bevollmächtigen des Klägers einen kompletten Ausdruck der elektronischen Akte zum Verbleib zu.
Der Kläger hat über seinen (neuen) Bevollmächtigten am 30. Juli 2018 Klage gegen den Bescheid vom 28. Juli 2016 erhoben.
Mit Beschluss vom 23. August 2018 hat das Gericht festgestellt, dass der Kläger derzeit nicht ausreisepflichtig sei (VG München, B.v. 23.08.2018 – M 10 S 18.32968 – n.v.).
Nach Hinweis des Gerichts vom 18. Oktober 2022, wonach die Zustellung des Bescheids bereits deshalb fehlerhaft sein dürfte, weil der Bescheid vom 28. Juli 2016 entgegen § 7 Abs. 1 Satz 2 VwZG nicht an den (damaligen) Bevollmächtigten zugestellt worden sei, hat der Bevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 2. November 2022 zuletzt beantragt, festzustel- len, dass der Bescheid des Bundesamts vom 28. Juli 2016 nichtig und damit unwirksam ist.
Entnommen aus den Bayerischen Verwaltungsblättern, Heft 09/204, Seite 316.