Art. 33 Abs. 2 GG, Art. 94 Abs. 2 BV, § 123 Abs. 1 Satz 2, § 146 VwGO
Stellenbesetzung; Konkurrentenstreit; Bewerbungsverfahrensanspruch; Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens; Abbruchvermerk; Darlegungspflicht des Dienstherrn; Behebung (Heilung) gerichtlich beanstandeter Mängel im Auswahlverfahren
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 11.11.2024, Az. 3 CE 24.1481
Orientierungssätze der Landesanwaltschaft Bayern
1. Bricht der Dienstherr nach einer vorausgehenden gerichtlichen Beanstandung seiner Auswahlentscheidung das Auswahlverfahren ab, hat er im Abbruchvermerk zumindest plausibel darzulegen, warum das bisherige Auswahlverfahren nicht mehr zu einer ordnungsgemäßen Auswahlentscheidung führen kann.
2. Zur Erfüllung dieser Darlegungspflicht genügt es, wenn der Dienstherr schlüssig und nachvollziehbar aufzeigt, warum die gerichtlich beanstandeten Mängel des bisherigen Auswahlverfahrens nach seiner Auffassung nicht behebbar sind. Dabei reicht es aus, die maßgeblichen Erwägungen für den Abbruch konkret darzulegen und kurz zu begründen, warum eine Fortführung des ursprünglichen Auswahlverfahrens unter „Heilung“ des beanstandeten Mangels nicht in Betracht kommt.
Bemerkung der Landesanwaltschaft Bayern
In der vorliegenden Entscheidung nutzte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) die Gelegenheit, die Anforderungen an den Abbruch eines Stellenbesetzungsverfahrens instruktiv darzustellen und insbesondere seine Rechtsprechung zu den Darlegungspflichten des Dienstherrn bei einem Abbruch nach vorausgehender gerichtlicher Beanstandung der Auswahlentscheidung zu bekräftigen und zu vertiefen.
1. Im hier entschiedenen Fall wandte sich die Antragstellerin mit einem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegen den Abbruch eines Stellenbesetzungsverfahrens. Sie hatte als nicht ausgewählte Bewerberin in einem vorausgehenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren die Aufhebung der ursprünglichen Auswahlentscheidung erwirkt. Dabei bemängelte das Verwaltungsgericht (unter anderem), dass der Dienstherr in der Ausschreibung – die hier intern und extern erfolgte – nicht festgelegt habe, ob von einem gesonderten Auswahlverfahren für interne Bewerber oder von einem Gesamtauswahlverfahren für interne und externe Bewerber auszugehen sei. Dies nahm der Dienstherr zum Anlass, das Stellenbesetzungsverfahren abzubrechen und den Abbruch unter Bezugnahme auf die (rechtskräftig gewordene) Entscheidung damit zu begründen, dass die Ausschreibung die Verfahrensweise zur Besetzung der Stelle nicht hinreichend deutlich gemacht habe, was einen im aktuellen Auswahlverfahren nicht mehr behebbaren Mangel darstelle, weil sich dadurch potentiell geeignete Bewerber möglicherweise von einer Bewerbung haben abhalten lassen. Es sei eine erneute Ausschreibung vorgesehen.
Nachdem ihr Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO, das Stellenbesetzungsverfahren für die streitgegenständliche Stelle mit dem bisherigen Bewerberfeld fortzusetzen, erstinstanzlich abgelehnt wurde, blieb die Antragstellerin auch mit ihrer Beschwerde vor dem BayVGH erfolglos.
2. Der BayVGH stellt zunächst fest, dass der Antrag hier innerhalb der (richterrechtlich entwickelten) Monatsfrist und damit rechtzeitig gestellt wurde (siehe Rn. 3). Stellt ein Stellenbewerber nicht innerhalb eines Monats nach Zugang der Abbruchmitteilung einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO, so darf der Dienstherr darauf vertrauen, dass der Bewerber den Abbruch des Auswahlverfahrens nicht angreift, sondern sein Begehren im Rahmen der neuen Ausschreibung weiterverfolgt. Nach Ablauf der Monatsfrist ist die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit des Abbruchs des Auswahlverfahrens überprüfen zu lassen, nach ständiger Rechtsprechung verwirkt (vgl. dazu eingehend BayVGH, Beschluss vom 11.09.2024, Az. 3 CE 24.1344, juris Rn. 4 ff. m.w.N.).
Formell setzt die Rechtmäßigkeit des Abbruchs voraus, dass die Bewerber hiervon rechtzeitig und in geeigneter Form Kenntnis erlangen und der wesentliche Abbruchgrund schriftlich dokumentiert wird. Etwas anderes gilt nur dann, wenn sich der sachliche Grund für den Abbruch evident aus dem Vorgang selbst ergibt. Diesen Anforderungen genügte hier die Abbruchmitteilung des Dienstherrn nach Auffassung des BayVGH (siehe Rn. 8 bis 10).
Materiell-rechtlich gilt, dass dem Dienstherrn hinsichtlich der Beendigung eines eingeleiteten Bewerbungs- und Auswahlverfahrens nach der Rechtsprechung zwar ein weites organisations- und verwaltungspolitisches Ermessen zukommt. Dabei ist allerdings dem aus Art. 33 Abs. 2 GG, Art. 94 Abs. 2 BV abgeleiteten Bewerbungsverfahrensanspruch auch bei der Entscheidung über den Abbruch eines laufenden Auswahlverfahrens Rechnung zu tragen. Deshalb erfordert der Abbruch, durch den sich maßgeblich die Zusammensetzung des Bewerberkreises steuern lässt, in materieller Hinsicht die Darlegung eines sachlichen Grundes, wenn der Dienstherr (wie hier) die maßgebliche Stelle mit dem ursprünglichen Zuschnitt weiterhin vergeben will (siehe Rn. 4 bis 6). In der Rechtsprechung sind mehrere sachliche Gründe im vorgenannten Sinn anerkannt. Der Dienstherr kann etwa ein Stellenbesetzungsverfahren abbrechen, wenn kein Bewerber seinen Erwartungen entspricht. Ein sachlicher Grund liegt beispielsweise auch dann vor, wenn sich der Dienstherr entschließt, mit dem Ziel der bestmöglichen Besetzung der Beförderungsstelle einen breiteren Interessentenkreis anzusprechen, weil er den einzigen Bewerber nicht uneingeschränkt für geeignet hält, oder wenn seit der ersten Ausschreibung ein erheblicher Zeitraum verstrichen ist und der Dienstherr den Bewerberkreis aktualisieren und vergrößern will oder wenn der Dienstherr sich entschlossen hat, die Stelle neu zuzuschneiden. Darüber hinaus sind weitere Fallgestaltungen für einen mit personalwirtschaftlichen Argumenten sachlich begründeten Abbruch eines Stellenbesetzungsverfahrens denkbar (siehe Rn. 14 a.E.; zu anerkannten sachlichen Abbruchgründen vgl. auch BVerwG, Urteil vom 29.11.2012, Az. 2 C 6.11, juris Rn. 16 f.; BayVGH, Beschluss vom 04.08.2023, Az. 3 CE 23.978, juris Rn. 6 jeweils m.w.N.).
3. Nach Ansicht des BayVGH liegt ein sachlicher Grund für den Abbruch eines Auswahlverfahrens zwar in der Regel auch dann vor, wenn dem Dienstherrn im Wege einer einstweiligen Anordnung (und erst recht – wie hier – durch Urteil in der Hauptsache) rechtskräftig untersagt wurde, den von ihm Ausgewählten zu ernennen oder ihm einen höherwertigen Dienstposten zu übertragen. Der Dienstherr darf dann grundsätzlich das bisherige Verfahren abbrechen, um in einem neuen Verfahren eine dem Art. 33 Abs. 2 GG genügende Entscheidung zu treffen, solange die Abbruchentscheidung nicht willkürlich und in der Absicht der Benachteiligung oder Bevorzugung eines bestimmten Bewerbers erfolgt (siehe Rn. 12).
Dabei ist jedoch umstritten, ob der Dienstherr bei einer vorausgehenden gerichtlichen Beanstandung einer Auswahlentscheidung im Abbruchvermerk zumindest plausibel darzulegen hat, warum das bisherige Auswahlverfahren nicht mehr zu einer ordnungsgemäßen Auswahlentscheidung führen kann oder es in dieser Fallkonstellation grundsätzlich nicht darauf ankommt, ob der gerichtlich festgestellte Rechtsfehler im laufenden Auswahlverfahren behoben werden kann (vgl. zum Streitstand die Zitate in Rn. 13).
4. Der (für das Recht der Landesbeamten zuständige) 3. Senat des BayVGH vertrat zwar schon bisher die Auffassung, dass es in diesen Fällen auf die Frage der Heilbarkeit des Rechtsfehlers ankommt und deswegen eine Darlegungspflicht des Dienstherrn im vorgenannten Sinn besteht (vgl. BayVGH, Beschluss vom 05.02.2019, Az. 3 CE 18.2608, juris Rn. 27; Beschluss vom 04.08.2023, Az. 3 CE 23.978, juris Rn. 6 a.E.). Er begründet diese Auffassung aber in der vorliegenden Entscheidung (Rn. 14) deutlich ausführlicher als in den vorzitierten Beschlüssen (wenn auch im Wege eines obiter dictum, da es auf die vorgenannte Streitfrage hier nicht entscheidungserheblich ankam, weil der Dienstherr in seiner Abbruchmitteilung eine Darlegung im vorgenannten Sinn geleistet hatte [siehe Rn. 15 bis 17]).
Nach Auffassung des BayVGH wird ein Erfordernis des Dienstherrn zur Darlegung der Nichtheilbarkeit des gerichtlich beanstandeten Rechtsfehlers dem verfassungsrechtlich abgestützten subjektiven Bewerbungsverfahrensanspruch des einzelnen Beamten am besten gerecht und verhindert zugleich, die Stelle im Nachfassen nach anderen als den von Art. 33 Abs. 2 GG vorgegebenen Kriterien zu besetzen. Zwar gewähre Art. 33 Abs. 2 GG keinen Schutz vor der Erweiterung des Bewerberkreises. Der Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens ohne plausible Darlegung eines nicht behebbaren Mangels würde jedoch den im Auswahlverfahren unterlegenen, im Eilverfahren aber erfolgreichen Bewerber ohne Grund benachteiligen, obwohl die Erwägungen des Gerichts eine Behebung des Mangels im bisherigen Auswahlverfahren ermöglichen würden. Der Dienstherr könne das Auswahlverfahren abbrechen, wenn das bisherige Verfahren nach seiner Einschätzung an nicht behebbaren Mängeln mit der Folge leidet, dass eine den Anforderungen des Art. 33 Abs. 2 GG gerecht werdende Auswahlentscheidung allein in einem weiteren Auswahlverfahren denkbar erscheint (unter Bezugnahme auf BVerwG, Beschluss vom 10.12.2018, Az. 2 VR 4.18, juris Rn. 18). Aus Sicht des BayVGH gilt dies nicht nur, wenn die Auswahlbehörde selbst einen solchen Mangel erkennt und das Verfahren abbricht, sondern auch dann, wenn ein Verwaltungsgericht eine Beanstandung ausgesprochen und die Stellenbesetzung untersagt hat. Einen gravierenden Unterschied beider Fallgruppen vermag der BayVGH nicht zu erkennen.
Bei Zugrundelegung der Gegenauffassung, die einem Abbruch des Besetzungsverfahrens nach verwaltungsgerichtlicher Beanstandung des Auswahlverfahrens im Wesentlichen nur für den Fall eine Grenze setzt, dass der Abbruch allein der Benachteiligung oder Bevorzugung eines Bewerbers dient, könnte dieser Gefahr nach Auffassung des BayVGH nur unzureichend entgegengewirkt werden. Denn es wäre dann jeweils zu belegen, dass der Abbruch allein der Benachteiligung oder Bevorzugung eines Bewerbers dient, was für den betreffenden Bewerber jedoch regelmäßig mit nicht unerheblichen Schwierigkeiten verbunden wäre. Zur Sicherstellung der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung habe der Dienstherr (aber auch die Bewerber) ein legitimes Interesse an einer möglichst zügigen Stellenbesetzung. Durch Behebung des Fehlers während des Stellenbesetzungsverfahrens, etwa durch eine neue rechtmäßige Auswahlentscheidung ohne neue Stellenausschreibung, könne dieses Ziel in aller Regel am schnellsten erreicht werden.
Die Fortführung des Stellenbesetzungsverfahrens sei dem Dienstherrn vor dem Hintergrund möglicher weiterer von der Rechtsprechung anerkannter Abbruchgründe auch zumutbar (siehe Rn. 14).
5. Mit diesen Maßgaben schafft der BayVGH nicht nur mehr Rechtssicherheit für eine bei Stellenbesetzungsverfahren praxisrelevante Konstellation, sondern stellt dabei auch praxisgerechte Anforderungen an die Auswahlbehörde. Denn zur Darlegung genügt es, dass der Dienstherr in seiner Abbruchmitteilung plausibel aufzeigt, warum die gerichtlich beanstandeten Mängel des bisherigen Auswahlverfahrens nach seiner Auffassung nicht behebbar sind und daher eine den Anforderungen des Art. 33 Abs. 2 GG gerecht werdende Auswahlentscheidung nur in einem weiteren Auswahlverfahren möglich erscheint. Dabei reicht es aus, wenn der Dienstherr (wie hier) die für seine Einschätzung maßgebliche Erwägung in konkreter Art und Weise unter Beachtung der Aussagen der (für ihn negativen) gerichtlichen Entscheidung offenlegt. Damit wird ihm auch keine – möglicherweise komplexe – Prüfung abverlangt, ob und wie die gerichtlich beanstandeten Mängel im bisherigen Auswahlverfahren beseitigt werden können, zumal die verwaltungsgerichtlichen Judikate (mangels Entscheidungserheblichkeit) zumeist keine Aussagen zur Heilbarkeit der von ihnen beanstandeten Mängel treffen (siehe Rn. 15 bis 17). Auch durch die Anknüpfung des zur Darlegung Erforderlichen an die Dokumentationspflicht des Dienstherrn (siehe Rn. 15) soll wohl zum Ausdruck gebracht werden, dass die Darlegungsanforderungen an die Abbruchentscheidung in diesen Fällen aus Sicht des BayVGH nicht überspannt werden dürfen. Die (Mindest-)Anforderung für das im Abbruchvermerk zu Leistende dürfte daher in der sachlich-inhaltlichen und rechtlichen Nachvollziehbarkeit der für die Nichtheilbarkeit des gerichtlich beanstandeten Mangels angeführten Begründung liegen (siehe auch Rn. 17).
Oberlandesanwalt Dr. Magnus Riedl ist bei der Landesanwaltschaft Bayern Ständiger Vertreter des Generallandesanwalts.
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