BGH, Urteil vom 24.10.2024, III ZR 48/23
§ 839 BGB; Art. 34 GG; Art. 68 BayBO; Art. 29 ff. GO
Angemessene Bearbeitungszeit eines Bauantrags; Kollegialgerichtsrichtlinie; enteignungsgleicher Eingriff
Amtliche Leitsätze:
1. Zur Frage der amtspflichtwidrigen Verzögerung der Entscheidung über einen Bauantrag, die nach Art. 32 Abs. 2 Satz 1 der Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern in Verbindung mit kommunalem Ortsrecht einem beschließenden Ausschuss übertragen ist.
2. Die Gemeinde ist nicht unmittelbar im Zeitpunkt der Entscheidungsreife verpflichtet, über den Bauantrag zu entscheiden. Eine solche Entscheidungspflicht ergibt sich vielmehr erst nach Ablauf eines ihr zuzubilligenden Bearbeitungs- und Prüfungszeitraums, innerhalb dessen die ordnungsgemäße, ermessensfehlerfreie und zügige Bearbeitung des (entscheidungsreifen) Baugesuchs abgeschlossen sein muss. Innerhalb eines solchen Zeitraums ist die Gemeinde nicht gehindert, gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 BauGB einen Aufstellungsbeschluss für eine dem Vorhaben entgegenstehende geänderte Planung zu fassen und etwa eine Veränderungssperre zu beschließen (Fortführung von Senat, B.v. 23.01.1992 – III ZR 191/90 – NVwZ 1993, 299).
Zum Sachverhalt:
Die Klägerin nimmt die beklagte Stadt unter dem Vorwurf der amtspflichtwidrigen Behandlung eines Bauantrags auf Schadensersatz in Anspruch.
Die Klägerin ist Eigentümerin eines auf dem Gebiet der Beklagten gelegenen Grundstücks, das mit einem siebengeschossigen Gebäude bebaut ist. Am 23. Dezember 2015 beantragte sie die Erteilung einer Baugenehmigung für einen Umbau und eine Nutzungsänderung des Gebäudes dahingehend, dass aus den vorhandenen Büroräumen im Erdgeschoss und im ersten Obergeschoss ein Hotel mit 66 Betten und aus darüber liegenden Mietwohnungen sogenannte „Stadtappartements” werden sollten.
Zu diesem Zeitpunkt existierte für das betreffende Gebiet noch kein Bebauungsplan, sondern nur ein 2013 vom Stadtplanungsamt erarbeiteter „Städtebaulich-denkmalpflegerischer Rahmenplan”, nach dem ein Bebauungsplan aufgestellt und ein Rückbau des der Klägerin gehörenden Hochhauses auf ein stadtbild- und denkmalverträgliches Maß angestrebt werden sollte.
Mit Stellungnahme vom 4. Mai 2016 wies das Stadtplanungsamt auf den Rahmenplan sowie das Erfordernis einer Beteiligung des Bau- und Werksenats der Beklagten hin und führte aus, dass zwar unklar sei, ob es sich bei den geplanten „Stadtappartements” um Ferienwohnungen handele, aber in dem vorhandenen Allgemeinen Wohngebiet gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO auch eine Nutzung als Beherbergungsbetrieb ausnahmsweise zulässig sei. Mit Schreiben vom 7. Juli 2016 teilte das Bauordnungsamt der Klägerin mit, dass für die weitere Bearbeitung des Bauantrags Umplanungen und Ergänzungen sowie die Einholung eines schallschutztechnischen Gutachtens erforderlich seien.
Am 17. Oktober 2016 schloss die Klägerin für das Erdgeschoss und das erste Obergeschoss einen Mietvertrag mit einer örtlichen Hotelbetreiberin ab.
Der Bauantrag der Klägerin sollte in der Sitzung des Bau- und Werksenats am 9. November 2016 behandelt werden. Die vom Bauordnungsamt erstellte Sitzungsvorlage vom 27. Oktober 2016 enthielt den Vermerk, dass der Antrag am 19. Oktober 2016 vollständig vorgelegen habe, und den Beschlussvorschlag, der baurechtlichen Genehmigung zuzustimmen.
Am 7. und 9. November 2016 beantragten zwei Stadtratsfraktionen, für das Gebiet, in dem das Grundstück der Klägerin liegt, ein Bebauungsplanverfahren durchzuführen und zu dessen Sicherung eine Veränderungssperre zu erlassen. Daraufhin beschied der Bau- und Werksenat den Bauantrag nicht, sondern beauftragte die Verwaltung mit der Vorbereitung eines Bebauungsplans und einer Veränderungssperre.
Am 6. Dezember 2016 beschloss der Bau- und Werksenat für das betreffende Gebiet die Aufstellung des Bebauungsplans Nr. 124 F und die Satzung über die Veränderungssperre. Am 23. Dezember 2016 wurden der Planaufstellungsbeschluss und die Veränderungssperre, die am selben Tag in Kraft trat, bekanntgemacht.
Im Dezember 2018 trat der ein Allgemeines Wohngebiet ausweisende Bebauungsplan Nr. 124 F in Kraft. Nach seinen textlichen Festsetzungen sollten die dort ausnahmsweise zulässigen Nutzungen unter anderem durch Betriebe des Beherbergungsgewerbes nicht Planbestandteil und neben Ferienwohnungen im Sinne des § 13a BauNVO auch „ähnliche Nutzungen” unzulässig sein. Bezüglich des Grundstücks der Klägerin sah der Bebauungsplan ein – nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BauGB durch einen vorherigen Rückbau des rückwärtigen Bestandsgebäudes auf vier Geschosse bedingtes – Baurecht für einen straßenseitigen Neubau mit drei Geschossen vor.
Mit Urteil vom 28. September 2017 wies das Verwaltungsgericht die Klage auf Erteilung der Baugenehmigung für die beabsichtigte Hotelnutzung des Erdgeschosses und des ersten Obergeschosses wegen der von ihm für wirksam gehaltenen Veränderungssperre ab. Zugleich verpflichtete es die Beklagte, der Klägerin eine Baugenehmigung zur geänderten Nutzung des zweiten bis sechsten Obergeschosses als voll ausgestattete „Stadtappartements” zur befristeten Kurzzeitvermietung an Berufstätige zu erteilen, da es sich dabei um eine nach § 33 Abs. 1 Nr. 2 BauGB den künftigen Festsetzungen des zum damaligen Zeitpunkt noch in Aufstellung befindlichen Bebauungsplans nicht entgegenstehende und deshalb von der Veränderungssperre ausgenommene Wohnnutzung handele. Der dagegen gerichtete Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung wurde mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 9. Juni 2022 abgelehnt.
Auf einen Normenkontrollantrag der Klägerin stellte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 1. Oktober 2019 fest, dass die Satzung über die Veränderungssperre wegen eines Ausfertigungsmangels formell unwirksam war. In einem weiteren von der Klägerin angestrengten Verfahren nach § 47 VwGO erklärte er mit Urteil vom 11. Oktober 2021 unter Ablehnung des Antrags im Übrigen den Bebauungsplan Nr. 124 F lediglich in Bezug auf den Ausschluss (Ferienwohnungs-)„ähnlicher Nutzungen” für unwirksam. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision wurde durch Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. März 2022 zurückgewiesen.
Das Landgericht hat die Klage in Kammerbesetzung wegen Fehlens einer Amtspflichtverletzung abgewiesen.
Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht das erstinstanzliche Urteil teilweise aufgehoben, die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt, die Verpflichtung der Beklagten festgestellt, der Klägerin sämtliche weiteren Schäden zu ersetzen, die aus der Nichtverbescheidung des Baugesuchs entstanden sind und noch entstehen werden (Antrag II 7), und die Berufung hinsichtlich eines von ihm für unzulässig erachteten weiteren Feststellungsantrags (Antrag II 3) zurückgewiesen. Außerdem hat es die im Berufungsrechtszug auf die Zahlung von Zinsen für verauslagte Gerichtskosten „nach Maßgabe der Kostenquote” erweiterte Klage (Antrag II 8) abgewiesen und den Rechtsstreit zur Entscheidung über die Höhe des Anspruchs, über einen die Freistellung von Schadensersatzansprüchen aus dem Mietvertrag betreffenden Feststellungsantrag (Antrag II 4) und über die Kosten des Berufungsverfahrens an das Landgericht zurückverwiesen. Ferner hat es die Revision zugelassen, „soweit die Klage im Antrag Ziffer II 8 abgewiesen wurde”, und sie „im Übrigen […] nicht zugelassen”.
Die Beklagte verfolgt mit ihrer Revision, die der Senat auf ihre vorsorglich erhobene Nichtzulassungsbeschwerde zugelassen hat, die Wiederherstellung des die Klage vollumfänglich abweisenden landgerichtlichen Urteils.
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