Nach alter, bis 31.12.2017 geltender Rechtslage (Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG a.F.) sollten die Gemeinden Beiträge für die Erneuerung oder Verbesserung ihrer Ortsstraßen erheben. Seit dem 1.1.2018 ist ihnen das verboten (Art. 5 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 1 KAG; FStBay Randnummer 236/2018). Da es für die bis zum Stichtag erlassenen Straßenausbaubeitragsbescheide bei der alten Rechtslage verbleibt (vgl. Art. 19 Abs. 7 KAG), ergehen weiterhin Gerichtsentscheidungen zu dieser Thematik. Der unten vermerkte Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH) vom 22.7.2024 beschäftigt sich mit der weiterhin praxisrelevanten Frage, wie Ortsstraße und Gemeindeverbindungsstraße voneinander abzugrenzen sind. Ihm entnehmen wir:
Straßenrechtliche Beurteilung
Allgemein führt der VGH aus:
„Der beitragsrechtliche Begriff ,Ortsstraße‘ folgt dem straßenrechtlichen, in Art. 46 Nr. 2 BayStrWG definierten Begriff (BayVGH, U.v. 13.12.20161) – 6 B 16.978 – juris Rn. 14; B.v. 28.3.2019 – 6 ZB 19.60 – juris Rn. 9). Dabei kommt es maßgeblich auf die materiellen Kriterien an, nicht auf die Widmung als Ortsstraße (BayVGH, B.v. 28.4.2022 – 6 ZB 21.7392) – juris Rn. 9 f.). Danach sind Ortsstraßen – soweit hier von Interesse – Straßen, die dem Verkehr innerhalb der geschlossenen Ortslage dienen. Unter geschlossener Ortslage ist dabei der Teil des Gemeindegebietes zu verstehen, der in geschlossener oder offener Bauweise zusammenhängend bebaut ist, wobei einzelne unbebaute Grundstücke, zur Bebauung ungeeignetes oder ihr entzogenes Gelände oder einseitige Bebauung diesen Zusammenhang nicht unterbrechen (vgl. Art. 4 Abs. 1 Satz 2 und 3 BayStrWG).
Die straßenrechtliche Beurteilung muss – anders als im Rahmen des § 34 Abs. 1 BauGB – von der Straße her ansetzen und die sich in der Nähe befindliche Bebauung in den Blick nehmen; dabei ist ein weitläufiger Betrachtungsrahmen zugrunde zu legen. Zu einer Ortsstraße im Sinn des Art. 46 Nr. 2 BayStrWG gehören daher auch Straßen und Strecken im baurechtlichen Außenbereich, solange sie innerhalb der geschlossenen Ortslage liegen.
Die Feststellung des erforderlichen Bebauungszusammenhangs als Merkmal einer geschlossenen Ortslage ergibt sich danach im Allgemeinen schon aus der einfachen Gegenüberstellung des örtlichen Bereichs baulicher oder gewerblicher Nutzung und des davon freien, zumeist der land- und forstwirtschaftlichen Nutzung dienenden Geländes. Innerhalb der geschlossenen Ortslage verläuft eine Straße auch dann, wenn sie in einem weitläufigeren Rahmen von der örtlichen Bebauung umschlossen wird, sofern nur der Unterschied zum Verlauf im freien unbebauten Gelände deutlich wird. Die Grenzen einer geschlossenen Ortslage sind nach den gröberen Umrissen des örtlichen Bebauungsbereichs, wo er sich gegenüber dem freien Gelände absetzt, zu bestimmen (vgl. BVerwG, U.v. 3.4.1981 – IV C 41.77 – juris Rn. 20; U.v. 18.3.1983 – 4 C 10.80 – juris Rn. 14 zu § 5 Abs. 4 FStrG; ThürOVG, U.v. 11.6.2007 – 4 N 1359/98 – juris Rn. 56; BayVGH, B.v. 28.3.2019 – 6 ZB 19.60 – juris Rn. 9; B.v. 6.4.2020 – 6 ZB 19.2002 – Rn. 7). Herrscht am fraglichen Standort der Eindruck vor, sich im freien Gelände zu befinden, ist keine geschlossene Ortslage anzunehmen (BayVGH, B.v. 28.3.2019 – 6 ZB 19.60 – juris Rn. 9; vgl. auch SächsOVG, B.v. 1.7.2016 – 5 A 435/14 – juris Rn. 8; NdsOVG, U.v. 30.1.2017 – 9 LB 194/16 – juris Rn. 33).“
Ende der geschlossenen Ortslage
Bei Umsetzung auf den konkreten Fall kann der VGH keine ernstlichen Zweifel an der erstinstanzlichen Entscheidung erkennen; er lehnt daher den Antrag der beklagten Kommune auf Zulassung der Berufung hiergegen ab:
„Das Verwaltungsgericht hat diese Maßstäbe seiner Entscheidung zugrunde gelegt … und ist anhand der in der Gerichtsakte enthaltenen Unterlagen und allgemein zugänglichen Luftbildaufnahmen (z.B. Bayernatlas) zu dem überzeugenden Ergebnis gelangt, dass der Straßenzug U./M. Straße von Osten her aus dem Ortskern kommend spätestens dort aus der geschlossenen Ortslage herausführt (und damit die Eigenschaft als beitragsfähige Ortsstraße verliert), wo er auch auf der nördlich gelegenen Straßenseite – nach dem bebauten Anliegergrundstück … – in den Außenbereich führt; südlich der Straße beginnt der Außenbereich nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts bereits etwa 150 m früher mit dem an die Straße grenzenden … Stadtweiher.
Folglich muss eine Beitragspflicht für das im Miteigentum des Klägers stehende (Hinterlieger-)Grundstück ausscheiden, weil es als Teil einer im Außenbereich gelegenen Splittersiedlung erst etwa 50 m nach dem Verlassen der geschlossenen Ortslage von Süden her an die M. Straße angebunden ist. Die mit dem Zulassungsantrag hiergegen vorgebrachten Einwände begründen keine ernstlichen Zweifel.“
a) einzelne bebaute Grundstücke unerheblich
„Die von der Beklagten ins Feld geführte Bebauung auf den Grundstücken südlich sowie nördlich der M. Straße westlich des Stadtweihers hat auch das Verwaltungsgericht in seine Beurteilung einbezogen. Es ist aber zu einer anderen Bewertung gelangt, indem es nahezu den gesamten Bereich, insbesondere die Bebauung im Bereich des klägerischen Grundstücks im Süden der M. Straße sowie die gegenüber auf der anderen Straßenseite liegenden Grundstücke … dem baurechtlichen Außenbereich zugeordnet und insoweit eine geschlossene Ortslage verneint hat.
Der Zulassungsantrag setzt dem lediglich entgegen, dass trotz der Baulücken ein Bebauungszusammenhang bestehe, der den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittle, ohne näher darzulegen, aus welchen Gründen der vom Gericht anhand der Lagepläne und Luftbilder gewonnene gegenteilige Eindruck unzutreffend sein soll. Auch mit der – naheliegenden – Argumentation des Verwaltungsgerichts, dass bezogen auf die Bebauung im Bereich des klägerischen Grundstücks mangels hinreichenden Gewichts der vorhandenen Bebauung (fünf Wohnhäuser und ein Vereinsheim) kein Ortsteil, sondern nur eine Splittersiedlung im Außenbereich vorliege …, setzt er sich nicht auseinander.“
b) keine beidseitige Bebauung erforderlich
„Soweit die Beklagte (sinngemäß) rügt, das Verwaltungsgericht sei von einem falschen rechtlichen Maßstab ausgegangen, weil es eine beidseitige Bebauung gefordert habe, obwohl grundsätzlich eine jeweils einseitige Bebauung genüge – und zwar ungeachtet des Umstandes, dass diese hier im Verlauf die Straßenseite wechsle – so trifft dies nicht zu. Das Gericht hat für die Annahme einer geschlossenen Ortslage keine beidseitige Bebauung gefordert, sondern lediglich festgestellt, dass eine Konstellation, wie sie der Senat in seinem Urteil vom 10.7.2002 – 6 N 97.21483) – als Beispiel dafür angeführt hat, dass auch Wohngrundstücken im Außenbereich Sondervorteile im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG a.F. zufließen und sie daher der Straßenausbaubeitragspflicht unterliegen können, nicht vorliegt.
Abgesehen davon, dass in dem in Bezug genommenen Normenkontrollverfahren nicht die (vorgelagerte) Frage nach dem Vorhandensein einer beitragsfähigen Ortsstraße inmitten stand, sondern die Frage, wie der Kreis der beitragspflichtigen Grundstückseigentümer und Erbbauberechtigten zu bestimmen ist, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer solchen Ortstraße einen besonderen Vorteil im Sinn des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG bringt (vgl. BayVGH, U.v. 10.7.2002 – 6 N 97.2148 – juris Rn. 26 ff.), findet sich in dem Urteil lediglich die Aussage, für die Erschließungsfunktion (einer Ortsstraße) genüge die einseitige Anbaubarkeit, d.h. die Lage der Straße entlang des Randes von Innenbereich oder beplantem Baugebiet. Sei auf der gegenüberliegenden, dem Außenbereich zugewandten Straßenseite ein Grundstück mit einem Wohnhaus bebaut, könne der Eigentümer zwar nicht zu einem Erschließungsbeitrag für die erstmalige Herstellung der Straße herangezogen werden, müsse aber in den Kreis der (Straßenausbau-) Beitragspflichtigen einbezogen werden, weil aus der Erweiterung oder Verbesserung der Ortstraße seinem Grundstück dieselben vorteilsrelevanten Möglichkeiten der Inanspruchnahme zufließen wie den im Plangebiet oder Innenbereich gelegenen Grundstücken.
Eine solche Sachlage hat das Verwaltungsgericht hier mit überzeugenden Gründen verneint. Es hat nicht etwa eine beidseitige Bebauung verlangt, sondern nur nicht ausreichen lassen, dass – anders als in dem vom Senat gebildeten Fallbeispiel – nördlich wie südlich der M. Straße… nur vereinzelt Bebauung vorhanden ist, die – abgesehen von dem kleinräumigen Bebauungsplangebiet ,An der K.-straße‘ – vollumfänglich dem Außenbereich zuzuordnen ist.“
c) Vorliegen eines Sondervorteils unerheblich
„Die Beklagte rügt weiter, das Grundstück des Klägers wie auch das benachbarte Grundstück … seien geradezu typische Beispiele für vorteilziehende Grundstücke in Bezug auf die M. Straße. Insoweit sei der Ansatz des Verwaltungsgerichts, das den Vorteilsbezug verneint habe, in Zweifel zu ziehen. Neben einer spezifischen Nähe des klägerischen Grundstücks zur Ortsstraße liege eine durch den Ausbau vermittelte verbesserte Möglichkeit des Anliegergebrauchs vor.
Auch mit diesem Einwand vermag die Beklagte ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Ausgangsentscheidung nicht zu begründen. Die Frage des Vorliegens eines Sondervorteils war nicht entscheidungserheblich. Das Verwaltungsgericht hat zwar ausdrücklich auf das Urteil des Senats vom 10.7.2002 (6 N 97.2148) Bezug genommen …, in dem sich dieser – wie bereits ausgeführt – im Rahmen eines gegen eine Straßenausbaubeitragssatzung gerichteten Normenkontrollverfahrens zum Begriff des besonderen Vorteils im Sinn des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG a.F. geäußert hat.
Das Verwaltungsgericht hat die Heranziehung des Klägers zu einem Straßenausbaubeitrag aber nicht deshalb abgelehnt, weil diesem die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Straße keinen besonderen Vorteil bietet, sondern deshalb, weil die abgerechnete Straße im Bereich des klägerischen Grundstücks nicht dem Verkehr innerhalb einer geschlossenen Ortslage dient (,Es fehlt insoweit an einer geschlossenen Ortslage i.S.d. Art. 4 Abs. 1 Satz 2 Bay- StrWG.‘). Damit hat es die vorrangige Frage nach einer beitragsfähigen Ortsstraße verneint, weshalb sich die Frage nach einem beitragsrelevanten Sondervorteil nicht mehr stellt.“
Anmerkung:
Zum bayerischen Kommunalabgabenrecht sei auf die dreibändige Leitsatzsammlung von Bedane/Apfelbeck hingewiesen. Näheres unter www.boorberg.de. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 22.7.2024 – 6 ZB 23.1244
Beitrag entnommen aus Gemeindekasse Bayern 09/2025, Rn. 75.