Rechtsprechung Bayern

Straßenrecht: Widmung

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat sich in dem unten vermerkten Beschluss vom 2.12.2024 erneut zur Reichweite der Widmung eines öffentlichen Wegs geäußert. Im Bestandsverzeichnis der Gemeinde fehlte die Eintragung der Flurnummer eines Grundstücks des Klägers, über das der gewidmete Flur- und Waldweg streckenweise verlief. Die vom Kläger begehrte gerichtliche Feststellung, dass sein Grundstück keine öffentliche Wegefläche sei, lehnte das Verwaltungsgericht (VG) ab. Es gelangte zu dem Schluss, der Verlauf und der Umfang des Wegs seien auch ohne Benennung der „vergessenen“ Flurnummer durch die Beschreibung von Anfangs- und Endpunkt, Wegelänge und Baulastträger im Bestandsverzeichnis hinreichend bestimmt. Der gegen das erstinstanzliche Urteil gerichtete Antrag auf Zulassung der Berufung blieb ohne Erfolg.

1. Grundsatz: Flurnummer ist in der Widmung zu benennen

Der VGH hält an seiner ständigen Rechtsprechung fest:

„Die Rechtsprechung des Senats geht von dem Grundsatz aus, dass die Widmungsfiktion nach Art. 67 Abs. 4 i.V.m. Art. 6 Abs. 3 BayStrWG bei der Erstanlegung eines Bestandsverzeichnisses regelmäßig nur für solche Grundstücke eintritt, deren Flurnummern in der Eintragsverfügung genannt sind (vgl. BayVGH, U.v. 26.4.2022 – 8 B 20.1655 – NVwZ-RR 2022, 657 = juris Rn. 39; B.v. 15.3.2017 – 8 ZB 15.1610 – juris Rn. 11, jeweils m.w.N.).“

2. Die „vergessene“ Flurnummer

Zur möglichen Ausnahme vom o.g. Grundsatz führt das Gericht aus:

„Dies gilt aber nicht ausnahmslos. So kann ein ,vergessenes‘ Grundstück ausnahmsweise von der Eintragung umfasst sein, wenn im Einzelfall hinreichende Anhaltspunkte vorliegen, die eindeutig zu dem Schluss führen, dass die Eintragung auch die nicht genannte Flurnummer beinhaltet (vgl. BayVGH, U.v. 1.8.1991 – 8 B 89.1929 – BayVBl 1992, 562; Sauthoff, Öffentliche Straßen, 3. Aufl. 2020, Rn. 100). Der Verlauf und der Umfang des Wegs müssen aber eindeutig festliegen, etwa durch den Beschrieb im Bestandsverzeichnis oder auch durch die Darstellung in einem Lageplan oder in einer Karte …“

3. Eindeutige Bestimmung von Verlauf und Umfang des Wegs

Der VGH stellt zu dem konkreten Fall fest:

„Das VG hat das Vorliegen eines solchen Ausnahmefalls im Einzelnen begründet … Der Zulassungsantrag greift dies ohne Erfolg an.“

a) Anfangs- und Endpunkt

Dazu erläutert der VGH für den konkreten Einzelfall:

„Der im Bestandsverzeichnis bezeichnete Anfangspunkt … beschreibt eindeutig den Beginn des ,G. Wegs‘ an der östlichen Grenze des Wegegrundstücks … und nicht erst ca. 130 m westlich am nordöstlichen Ende des Wegegrundstücks…Die Bezeichnung der im Zeitpunkt der Eintragung wie auch zum jetzigen Zeitpunkt vorhandenen Gebäude … lässt als markantes topografisches Merkmal eine eindeutige Bestimmung des Anfangspunkts des ,G. Wegs‘ zu … Das Zulassungsvorbringen, die Bezeichnung ,bei Haus Nr. …‘ bestimme keinen Anfangspunkt des Wegs, sondern konkretisiere lediglich einen von mehreren Ortsausgängen, kann die Richtigkeit der Entscheidung nicht infrage stellen. Eine Auswahl zwischen mehreren Ortsausgängen bestand vorliegend nicht, weil der Weg auf FlNr. x nur zu dem Ortsausgang im Südwesten A … s führt. Im Übrigen widerspricht die klägerische Interpretation der eindeutigen Handlungsanweisung in § 6 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung über die Straßen- und Bestandsverzeichnisse (VerzVO); hiernach sind als Bezeichnung für den Anfangs- und Endpunkt die Orte zu wählen, die der Straßenzug verbindet.

Mit seinem Vorbringen, die Lagebezeichnungen der am Ortsausgang gelegenen Grundstücke im Grundbuch … sprächen für den Beginn des Wegs bei Grund stück FlNr. x, kann der Kläger nicht durchdringen. Maßgeblich für die Bestimmung des Umfangs einer Widmungsfiktion bei der Erstanlegung der Bestandsverzeichnisse nach Art. 67 Abs. 4 i.V.m. Art. 6 Abs. 3 BayStrWG ist nicht der Inhalt des Grundbuchs, sondern die Eintragung im Bestandsverzeichnis … Dem Bestandsverzeichnis kommt eine Registerfunktion hinsichtlich des öffentlichen Straßennetzes zu, die derjenigen des Grundbuchs für private Rechtsverhältnisse ähnlich ist … Ob die Eintragung mit dem Inhalt des Grundbuchs übereinstimmt, ist für ihre öffentlich-rechtliche Beurteilung hingegen nicht maßgeblich …“

b) Benennung der Straßenbaulastträger

Der VGH kommt im vorliegenden Einzelfall zu dem Schluss, dass auch die in dem Bestandsverzeichnis für öffentliche Feld- und Waldwege benannten Straßenbaulastträger (vgl. Art. 2 Abs. 2 i.V.m. Anlage 5 VerzVO) auf eine Widmung des „vergessenen“ Grundstücks hindeuten:

„Die Benennung der jeweiligen Eigentümer des früheren Grundstücks … und des Grundstücks … als Baulastträger spricht eher dafür, dass der ,G. Weg‘ auf FlNr. … und nicht erst auf FlNr. … beginnt. Die Tatsache, dass andere Grundstücke entlang des Grundstücks FlNr. … nicht als Baulastträgergrundstücke benannt wurden …, steht dem nicht entgegen. Träger der Straßenbaulast für den öffentlichen Feld- und Waldweg waren diejenigen, deren Grundstücke über den Weg bewirtschaftet wurden (Beteiligte, vgl. die Legaldefinition in Art. 54 Abs. 1 Satz 2 BayStrWG, die Art. 54 Abs. 1 Satz 1 BayStrWG i.d.F. vom 11.7.1958 entspricht). Dies erfordert eine tatsächliche Benutzung des Wegs zur Bewirtschaftung; die bloße Möglichkeit dazu genügt nicht … Potenzielle Baulastträger sind damit Anlieger und Hinterlieger mit rechtlich gesicherter Feldzufahrt (vgl. auch LT-Drs. 3, 2832 S. 45). Grundstückseigentümer, deren Anwesen an dem Weg liegen, gehören allenfalls ausnahmsweise dazu. Die Verwendung des Begriffs ,bewirtschaftet‘ – im Gegensatz zu ,erschlossen‘ – zeigt, dass nach dem Willen des Gesetzgebers auf die Zufahrt zu Ackerflächen und Waldgrundstücken, evtl. auch zu Gehöften, grundsätzlich aber nicht zu Wohnanwesen, abzustellen ist (vgl. BayVGH, B.v. 17.3.2004 – 8 ZB 03.1456 – juris Rn. 10).

Ausgehend von diesen Maßstäben sind sichere Rückschlüsse auf den Wegeverlauf alleine aus der (Nicht-)Eintragung als Baulastträger regelmäßig – wie auch hier – nicht zu ziehen. Gleichwohl lässt sich der Eintragung vom 2.3.1962 entnehmen, dass die Grundstücke … und …, die am Grundstück … und nicht am Grundstück … liegen, seinerzeit über den ,G. Weg‘ bewirtschaftet wurden. Dass die Bewirtschaftung nicht – was naheliegt – als Anlieger des Wegestücks FlNr. …, sondern als Hinterlieger des Grundstücks FlNr. … erfolgt sein könnte, zeigt der Zulassungsantrag nicht auf. Der Vorhalt, im nördlichen Bereich des ,G. Wegs‘ auf FlNr. … seien – anders als bei dem Grundstück FlNr. … – alle an den Weg angrenzenden Grundstücke und einige Hinterlieger als Baulastträger eingetragen, überzeugt nicht. Außerhalb des Ortsbereichs liegen naturgemäß mehr Acker- und Waldflächen, auf die Art. 54 Abs. 1 BayStrWG abstellt …“

c) Wegelänge

„Zutreffend ist das VG auch davon ausgegangen, dass die eingetragene Wegelänge von 1.100 m zusätzliche Klarheit zugunsten des Verlaufs des ,G. Wegs‘ auch auf FlNr. … bringt … Ohne dieses Teilstück wäre der Weg nur ca. 920 m lang. Der Zulassungsantrag erkennt dies an. Soweit der Kläger geltend macht, aus der Länge des Wegs lasse sich dessen Verlauf und Umfang nicht eindeutig entnehmen, verkennt er, dass das ,vergessene‘ Wegegrundstück auf FlNr. …/2 abgemarkt und im Bestand unstrittig ist … Der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich insofern von Fällen, bei denen ein Weg über nicht abgemarkte Teilflächen eines größeren Grundstücks verläuft …“

d) Karte als Wegbeschreibung?

Hierzu thematisiert der VGH insbesondere die Publizitätsanforderungen bei der Erstanlegung der Bestandsverzeichnisse:

„Ob der Verlauf des Wegs auf Grundstück FlNr. … zudem auf die Karte … gestützt werden kann, die nach der – von der Klägerseite angezweifelten – Aussage einer Mitarbeiterin der Beklagten vor dem VG an der Karteikarte (§ 2 VerzVO) angeheftet war …, kann dahinstehen. Das VG hat seine Wertung, der ,G. Weg‘ verlaufe eindeutig auch auf FlNr. …, nur ergänzend auf die Karte gestützt … Das Ersturteil verhält sich nicht dazu, ob diese Karte im Rahmen des Verfahrens zur Erstanlegung der Bestandsverzeichnisse ausgelegt … oder in Bezug genommen wurde, was zur Folge hätte, dass die jeweiligen Eigentümer und Straßenbaulastträger hieraus ihre Betroffenheit erkennen konnten …; andernfalls wäre die gemeindliche Karte als reines Verwaltungsinternum einzuordnen … Materiell beweisbelastet ist diesbezüglich die Gemeinde, die das Bestandsverzeichnis in ihrem Herrschafts- und Risikobereich führt …“

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 2.12.2024 – 8 ZB 23.1189

Beitrag entnommen aus Die Fundstelle Bayern 10/2025, Rn. 109.