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Unterhalt für Asylsuchende

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Das unten vermerkte Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH) vom 19.11.2024 betrifft Fragen im Zusammenhang mit einer Verpflichtungserklärung für die Unterhaltskosten einer Ausländerin.

Der Kläger verpflichtete sich am 25.1.2018 gegenüber der Ausländerbehörde seines Wohnsitzes mit schriftlicher Erklärung nach § 68 AufenthG, die Kosten für den Lebensunterhalt und nach §§ 66, 67 AufenthG die Kosten für die Ausreise seiner im Iran lebenden Schwester zu tragen. Für die Verpflichtungserklärung wurde der bundeseinheitliche Vordruck verwendet. Betreffend „Dauer der Verpflichtung“ war vorgedruckt „vom Tag der voraussichtlichen Einreise am [eingefügt: ,13.07.2018’] bis zur Beendigung des Aufenthalts des o.g. Ausländers/ in oder bis zur Erteilung eines Aufenthaltstitels zu einem anderen Aufenthaltszweck“. Am Ende der Urkunde war unter „Bemerkungen“ unter anderem eingetragen: „Voraussichtliche Dauer des Aufenthalts: 2 Monate“ sowie „Zweck des Aufenthalts: Besuch“.

Die Schwester des Klägers erhielt am 27.6.2018 von der deutschen Botschaft in Teheran ein vom 13.7.2018 bis zum 12.7.2019 gültiges Visum für einen kurzfristigen Aufenthalt (Schengen-C) mit einer Dauer des erlaubten Aufenthalts von 90 Tagen und mehrere Einreisen. Im Visumantrag hatte sie als Reisezweck „Besuch von Familie oder Freunden“ genannt, als Dauer des geplanten Aufenthalts „63 Tage“ bei einem geplanten Ankunftsdatum vom „13.07.2018“ und einem geplanten Abreisedatum vom „13.09.2018“. Am 18.7.2018 reiste die Schwester in das Bundesgebiet ein und am 15.9.2018 auf dem Luftweg wieder aus. Am 3.6.2019 reiste die Schwester des Klägers erneut in das Bundesgebiet ein und stellte am 14.10.2019 einen Asylantrag. Ihr wurden vom Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Asylbewerberleistungsgesetz von zunächst 9.215,36 Euro bewilligt.

Nach Anhörung verpflichtete die Ausländerbehörde den Kläger mit Bescheid vom 3.8.2021, die erbrachten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz für seine Schwester im Zeitraum 3.6.2020 bis 31.12.2020 in Höhe von 9.215,36 Euro zu erstatten. Ferner wurde der Kläger verpflichtet, die in Zukunft vom Beklagten zu erbringenden Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz für seine Schwester ab dem 1.1.2021 bis zur Beendigung der Leistungserbringung, längstens jedoch bis zum 6.6.2024, zu erstatten.

Zur Begründung der hiergegen erhobenen Klage trug der Kläger vor, er habe bei der Abgabe der Verpflichtungserklärung eindeutig und ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese nur für einen Besuch von einer geplanten Länge von zwei Monaten gelten solle. Dies sei in der Erklärung auch korrekt zum Ausdruck gekommen, diese sei nicht zu Lasten des Klägers auszulegen. Er habe auch nicht gewusst, dass die deutsche Auslandsvertretung ein Visum nicht für einen einzigen Besuch, sondern für mehrfache Einreisen erteile. Die Schwester habe den einmaligen Besuch ordnungsgemäß beendet und sei in den Iran zurückgekehrt; dadurch sei der Besuch beendet worden und die Verpflichtung des Klägers entfallen.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 2.3.2022 abgewiesen. Auf die zugelassene Berufung des Klägers hin änderte der VGH das Urteil ab und hob den Bescheid der Ausländerbehörde auf. Zur Begründung führte der Senat im Wesentlichen aus, die Auslegung der Verpflichtungserklärung ergebe nicht, dass der Kläger sich für die Unterhaltskosten im Falle einer erneuten Einreise seiner Schwester verpflichtet habe.

1. Voraussetzungen und Folgen einer Verpflichtungserklärung

„Rechtsgrundlage für die Inanspruchnahme aus einer Verpflichtungserklärung ist § 68 Abs. 1 AufenthG. Danach hat derjenige, der sich der Ausländerbehörde oder einer Auslandsvertretung gegenüber verpflichtet hat, die Kosten für den Lebensunterhalt eines Ausländers zu tragen, für einen Zeitraum von fünf Jahren sämtliche öffentliche Mittel zu erstatten, die für den Lebensunterhalt des Ausländers einschließlich der Versorgung mit Wohnraum sowie der Versorgung im Krankheitsfalle und bei Pflegebedürftigkeit aufgewendet werden, auch soweit die Aufwendungen auf einem gesetzlichen Anspruch des Ausländers beruhen.

Aufwendungen, die auf einer Beitragsleistung beruhen, sind nicht zu erstatten. Der Zeitraum von fünf Jahren beginnt mit der durch die Verpflichtungserklärung ermöglichten Einreise des Ausländers. Die Verpflichtungserklärung erlischt vor Ablauf des Zeitraums von fünf Jahren ab Einreise des Ausländers nicht durch Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Abschnitt 5 des Kapitels 2 oder durch Anerkennung nach § 3 oder § 4 des Asylgesetzes. Nach § 68 Abs. 2 Satz 3 AufenthG steht der Erstattungsanspruch der öffentlichen Stelle zu, die die öffentlichen Mittel aufgewendet hat. Diese ist befugt, den Anspruch im Wege des Verwaltungsakts (Leistungsbescheid) geltend zu machen …“

2. Grundsätzlich keine Haftung aus einer Verpflichtungserklärung im Falle der erneuten Einreise

„Die im streitgegenständlichen Leistungsbescheid geltend gemachten Kosten werden jedoch im vorliegenden Fall von der vom Kläger abgegebenen Verpflichtungserklärung nicht erfasst. … Dies ergibt sich schon aus dem Zweck der Verpflichtungserklärung, dem begünstigten Ausländer den Nachweis der Sicherung des Lebensunterhalts (§ 5 Abs. 1 Nr. 1, § 2 Abs. 3 AufenthG) und damit die Erteilung eines Visums zur Einreise und nachfolgendem Aufenthalt zu ermöglichen …, nicht aber für weitere beliebige Aufenthalte der begünstigten Person (innerhalb von fünf Jahren). Die Haftung endet damit mit der Ausreise des begünstigten Ausländers ,automatisch‘ …

Der Senat folgt nicht der Ansicht, dass sich eine Verpflichtungserklärung auch auf innerhalb des Fünfjahreszeitraums entstandene Kosten für den Lebensunterhalt der begünstigten Person, die nach einer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland mit Besuchervisum wieder in einen anderen Staat ausgereist und dann wieder in das Bundesgebiet eingereist ist, erstreckt … Nach dieser Ansicht verlange der Wortlaut des § 68 Abs. 1 Satz 1 AufenthG keinen ununterbrochenen Aufenthalt der begünstigten Person im Bundesgebiet. Dass allein eine Ausreise die Haftung aus der Verpflichtungserklärung beende, sei dem Gesetz ebenso nicht zu entnehmen. Der Verpflichtungsgeber hafte nach dem Wortlaut der Norm unabhängig davon, ob der begünstigte Ausländer das Bundesgebiet innerhalb des Fünfjahreszeitraums verlasse, sich – wie im entschiedenen Fall – in einem der Schengen-Staaten (§ 2 Abs. 5 AufenthG) aufhalte und zur Durchführung eines Asylverfahrens wieder einreise. Entscheidend sei nur, dass sich der begünstigte Ausländer in dem Zeitraum der Haftung des Verpflichtungsgebers im Bundesgebiet aufhalte und hierdurch Kosten für seinen Lebensunterhalt entstünden …

Die hier aufscheinende ,extensive‘ Ausdehnung des Haftungszeitraums ergibt sich jedoch nicht aus der gesetzlichen Regelung. Abgesehen von dem Umstand, dass wie in dem dort zu Grunde liegenden Fall in einer Ausreise in einen anderen Schengen-Staat nicht ohne weiteres eine Erfüllung der Ausreisepflicht liegt (siehe § 50 Abs. 2 u. Abs. 3 Satz 1 AufenthG), ist hier zu berücksichtigen, dass die Schwester des Klägers nach dem vorgesehenen Aufenthalt im Bundesgebiet wieder in ihr Herkunftsland zurückgekehrt ist und erst etwa achteinhalb Monate später wieder in das Bundesgebiet eingereist ist. § 68 Abs. 1 AufenthG ist nicht zu entnehmen, dass die eingegangene Verpflichtung auch für zwar innerhalb des Fünfjahreszeitraums, aber doch ,irgendwann‘ in der Zukunft liegende weitere Aufenthalte der begünstigten Person im Bundesgebiet gelten sollte. Der Haftungszeitraum beginnt nach dem Wortlaut von § 68 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 3 AufenthG mit einer Einreise und erstreckt sich auf die nachfolgende Aufenthaltszeit, jedoch höchstens auf einen Zeitraum von fünf Jahren. Eine kraft Gesetzes stets auf alle Aufenthalte in einem Zeitraum von fünf Jahren ab erstmaliger Einreise erstreckte Haftung wäre auch nicht damit vereinbar, dass sie auf einer freiwillig eingegangenen Verpflichtung beruht; es hängt vom Inhalt der jeweiligen Verpflichtungserklärung ab, auf welche Aufenthalte sie sich bezieht.“

3. Auslegung der abgegebenen Verpflichtungserklärung

Schließlich findet der Senat auch keine Rechtfertigung für eine Haftung aufgrund der Auslegung der streitgegenständlichen Verpflichtungserklärung und gibt abschließend wichtige praktische Hinweise für Ausländerbehörden:

„Auch aus einer Auslegung der vom Kläger abgegebenen Verpflichtungserklärung ergibt sich nichts Anderes.

Die Verpflichtungserklärung gemäß § 68 Abs. 1 AufenthG ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung; ihr Inhalt und ihre Reichweite, insbesondere für welchen Aufenthaltszweck und für welche Dauer sie gelten soll, sind durch Auslegung in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB anhand der objektiv erkennbaren Umstände zum Zeitpunkt der Unterzeichnung zu ermitteln. Maßgebend ist grundsätzlich der erklärte Wille, wie ihn der Empfänger der Erklärung bei objektiver Würdigung verstehen musste. Dieser Auslegungshorizont gilt auch für den Fall, dass die Verpflichtungserklärung durch Unterzeichnung eines von der Ausländerbehörde verwendeten Vordrucks mit vorformulierten Erklärungen und Erläuterungen und gegebenenfalls maßgeblich von der Ausländerbehörde vorgenommenen Änderungen oder Ergänzungen abgegeben wird. In diesem Fall ist allerdings maßgeblich, wie der Erklärende den vorformulierten Text bei objektiver Würdigung verstehen durfte. Verbleiben insoweit Unklarheiten, gehen diese zu Lasten der den Vordruck verwendenden Ausländerbehörde …

Im vorliegenden Fall ist in dem auch hier verwendeten bundeseinheitlichen Vordruck der Verpflichtungserklärung unter ,Dauer der Verpflichtung‘ vorgedruckt ,vom Tag der voraussichtlichen Einreise am …‘ – hier ist eingefügt ,13.07.2018‘ – ,bis zur Beendigung des Aufenthalts des o.g. Ausländers/in oder bis zur Erteilung eines Aufenthaltstitels zu einem anderen Aufenthaltszweck‘. Auf der Rückseite der Erklärung finden sich in der Rubrik ,Bemerkungen‘ noch unter ,Voraussichtliche Dauer des Aufenthalts‘ die Eintragung ,2 Monate‘ und unter ,Zweck des Aufenthalts‘ die Eintragung ,Besuch‘.

Dem vorgedruckten Inhalt der Verpflichtungserklärung im Zusammenhang mit den vorgenommenen Eintragungen ist damit zu entnehmen, dass die Haftung aus der Verpflichtungserklärung mit der ,Beendigung des Aufenthalts‘, mithin also mit der Ausreise der Schwester des Klägers und deren Rückreise in ihr Herkunftsland, enden sollte. Auch wenn man die Eintragungen auf der Rückseite nur als ,informatorisch‘ ansehen will …, bestätigen sie doch das Auslegungsergebnis, dass sich die Haftung des Klägers nicht über die Ausreise seiner Schwester hinaus auf einen Zeitraum nach einer erneuten Einreise ,irgendwann‘ später erstrecken sollte. Zwar kommt der Geltungsdauer des Visums grundsätzlich keine Bedeutung über den Umfang der Verpflichtungserklärung zu, und die Haftung kann auch über die Geltungsdauer des Visums hinaus fortwirken, doch kommt es auch hier entscheidend darauf an, wie der Erklärende die Eintragungen in dem von ihm unterzeichneten Formular verstehen durfte … Das gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass der Erklärende letztlich nicht wissen kann und auch keinen Einfluss darauf hat, für welchen Zeitraum und für wie viele mögliche Einreisen die jeweilige Auslandsvertretung das Visum erteilen wird, zumal die Erteilung eines Visums für mehrfache Einreisen aufgrund der zusätzlichen Voraussetzungen (vgl. Art. 24 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 810/2009 über einen Visacodex der Gemeinschaft – Visacodex) nicht der Regel-, sondern der Ausnahmefall ist.

Bei natürlicher Betrachtung wird sich der Erklärende nicht für eine für ihn nicht absehbare Vielzahl von potentiellen Einreisen des begünstigten Ausländers verpflichten wollen, da damit das Risiko einer eigenen Inpflichtnahme erheblich steigen würde. Für eine andere Auslegung im Einzelfall bedürfte es eines ausdrücklichen Hinweises durch die Ausländerbehörde. Der von § 68 AufenthG verfolgte Zweck, die öffentlichen Haushalte vor vermeidbaren Belastungen zu schützen, erfordert kein anderes Ergebnis. Ist der Erklärende nicht bereit, sich für mehrere Einreisen zu verpflichten, kann die Ausländerbehörde ihrerseits darauf hinwirken, dass lediglich ein Visum für eine einmalige Einreise erteilt wird (Art. 24 Abs. 1 Satz 2 Visacodex).“

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 19.11.2024 – 10 B 23.483

Beitrag entnommen aus Die Fundstelle Bayern 13/2025, Rn. 143.