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Reform des Richterrechts in Bayern auf dem Weg zu einer Selbstverwaltung der Justiz

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Logo_BRV1. Errichtung der Judikative als Dritte Staatsgewalt im Staatsaufbau

Die rechtsprechende Gewalt ist – im Gegensatz zu den anderen Staatsgewalten – organisatorisch nicht im Staatsaufbau abgebildet. Sie wird von der Exekutive verwaltet und ist in einem derart starken Ausmaß von dieser abhängig, dass dies ihrer Rolle als dritter Staatsgewalt nicht gerecht wird. Durch eine chronische Unterfinanzierung ist ihre Funktionsfähigkeit beeinträchtigt.

Deshalb und weil die Verwaltung der rechtsprechenden Gewalt durch die Exekutive nicht mehr europäischem Standard entspricht, fordert der Bayerische Richterverein e.V. im Einklang mit dem Deutschen Richterbund die Selbstverwaltung der Justiz. Er hat hierzu ein Diskussionspapier entwickelt, dessen aktueller Stand als Anlage beigefügt ist.

2. Zwischenschritte auf einfachgesetzlicher Ebene

Bis zur Verwirklichung der Selbstverwaltung und der hierzu erforderlichen Verfassungsänderung sind Zwischenschritte auf einfachgesetzlicher Ebene möglich und geboten.

Das Bayerischen Richtergesetz ist insbesondere hinsichtlich der Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte sowie dem Besetzungsverfahren bei Spitzenämtern im Vergleich zu anderen deutschen Richtergesetzen rückständig und dringend reformbedürftig.

2.1 Reform des Richtergesetzes

Der Bayerische Richterverein e.V. fordert, das Bayerische Richtergesetz dem Standard moderner Richtergesetze anzupassen, wozu u.a. gehört:

  • Die autonome Regelung des Richterdienstrechts ohne Verweisung auf die Beamtengesetze,
  • die Einführung eines Mitbestimmungsrechts bei allen personellen, sozialen, organisatorischen und sonstigen innerdienstlichen Maßnahmen, die die Richter bzw. Staatsanwälte betreffen oder sich auf sie auswirken und
  • eine Reform des Besetzungsverfahrens von Spitzenämtern insbesondere durch Ausschreibung der zu besetzenden Stellen, Einführung eines echten Mitwirkungsverfahrens und Ausschluss der Mitwirkung gesetzlich nicht vorgesehener Gremien.

2.2. Einführung eines Justizrats

Ein Justizrat, wie im Selbstverwaltungsmodell des BRV vorgesehen, kann und soll als Pendant zum Justizminister als Gremium zur Beilegung von Divergenzen jetzt schon auf einfachgesetzlicher Ebene eingeführt werden.

Quelle: Bayerischer Richterverein e.V.

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Anlage

Selbstverwaltungsmodell des Bayerischen Richtervereins e.V.

I. Aufbau und Organe der Selbstverwaltung

Die Judikative wird als Dritte Säule des demokratischen Rechtsstaats im Staatsaufbau eingerichtet. Sie ist von der Exekutive unabhängig. Die demokratische Legitimation ist gewahrt.

Die Selbstverwaltung der Gerichte und Staatsanwaltschaften beruht auf drei Elementen, dem Justizpräsidenten, einem Justizrat und der Mitbestimmung der dort tätigen Menschen.

1. Der Justizpräsident

Die Spitze der Gerichtsbarkeit und der Staatsanwaltschaft sowie deren Verwaltung ist der Justizpräsident/die Justizpräsidentin. (Ausschließlich zur leichteren Lesbarkeit wird im Folgenden nur die männliche Form verwendet).

Er wird vom Parlament für die Dauer der Legislaturperiode mit qualifizierter Mehrheit gewählt (2/3). Die Wiederwahl ist zulässig. Der Justizpräsident muss die Befähigung zum Richteramt besitzen und das 40. Lebensjahr vollendet haben.

Der Justizpräsident verantwortet die Tätigkeit der Gerichte und Staatsanwaltschaften gegenüber dem Parlament. Ein Weisungsrecht gegenüber der Staatsanwaltschaft im Einzelfall besteht nicht.

Der Justizpräsident erstellt den Haushaltsvoranschlag, meldet den vom Justizrat beschlossenen Haushaltsvoranschlag bei dem Staatsministerium der Finanzen an, verteidigt diesen und hat im Plenum des Bayerischen Landtags sowie dessen Ausschüssen, ein Rederecht.

2. Der Justizrat

Der Justizrat besteht aus sechs vom Landtag gewählten Parlamentariern und sechs unmittelbar gewählten Vertretern der Richter, Staatsanwälte und Angehörigen des nichtrichterlichen Dienstes.

Er beschließt über den vom Justizpräsidenten vorgelegten Haushaltsvoranschlag.

Er entscheidet des Weiteren im Konfliktfall zwischen Justizpräsident und Mitbestimmungsgremium.

Während die Besetzung der „Parlamentarierbank“ gleich bleibt, wird die „Justizbank“ in Abhängigkeit vom Thema, mit dem der Justizrat befasst wird, besetzt.

In Angelegenheiten von allgemeiner Bedeutung, insbesondere der Aufstellung und dem Vollzug des Haushalts, ist dies ein Gemeinsamer Mitbestimmungsrat. In Angelegenheiten der Richter und Staatsanwälte (z. B. bei Beförderungen) besteht die „Justizbank“ aus sechs Mitgliedern des Präsidial- oder Hauptstaatsanwaltsrats. In Angelegenheiten der Beamten und Angestellten wird sie mit sechs Mitgliedern aus dem Hauptpersonalrat besetzt.

3. Die Mitbestimmungsgremien

Die Mitbestimmungsgremien entscheiden mit dem Justizpräsidenten insbesondere über Ansatz und Vollzug des Haushalts sowie über Einstellungen und Beförderungen.

Die bisherigen Mitwirkungsgremien der Richter in der ordentlichen Gerichtsbarkeit und in der Fachgerichtsbarkeit, sowie der Staatsanwälte (Hauptrichterrat, Präsidialrat und Hauptstaatsanwaltsrat) bleiben erhalten und werden, wie auch die Stufenvertretungen, zu Mitbestimmungsgremien weiterentwickelt.

Die bestehenden Mitwirkungsrechte der Richter und Staatsanwälte werden durch ein Mitbestimmungsrecht bei allen personellen, sozialen, organisatorischen und sonstigen innerdienstlichen Maßnahmen, die die Richter bzw. Staatsanwälte betreffen oder sich auf sie auswirken, ersetzt.

In Angelegenheiten von allgemeiner Bedeutung, insbesondere der Aufstellung und dem Vollzug des Haushalts, ist Mitbestimmungsgremium ein Gemeinsamer Mitbestimmungsrat. Dieser besteht aus drei Richtern, wobei zwei der ordentlichen Gerichtsbarkeit und einer der Fachgerichtsbarkeit angehören, einem Staatsanwalt sowie zwei Vertretern des nichtrichterlichen Dienstes. Sie werden aus dem jeweiligen Mitbestimmungsgremium in den Gemeinsamen Mitbestimmungsrat entsandt.

Der Hauptpersonalrat ist das Mitbestimmungsgremium in Angelegenheiten des nichtrichterlichen Dienstes.

II. Der Haushalt der Gerichte und Staatsanwaltschaften

1. Die Aufstellung des Voranschlags

Der Justizpräsident erstellt den Haushaltsvoranschlag. Er leitet diesen dem Gemeinsamen Mitbestimmungsrat zu.

1.1 Gegenvorschläge des Gemeinsamen Mitbestimmungsrats

Macht der Gemeinsame Mitbestimmungsrat Gegenvorschläge, denen der Justizpräsident nicht folgt, teilt er die Gründe hierfür dem Gemeinsamen Mitbestimmungsrat innerhalb von zwei Wochen seit Eingang des Gegenvorschlags mit; innerhalb einer Frist von weiteren zwei Wochen gewährt er diesem auf Verlangen eine Aussprache.

Führt die Aussprache zu keiner Einigung, so legt der Justizpräsident dem Justizrat den Haushaltsvoranschlag sowie etwaige Gegenvorschläge des Gemeinsamen Mitbestimmungsrats hierzu vor.

Der Justizrat entscheidet mit einfacher Mehrheit. Bei Stimmengleichheit ist der Gegenvorschlag abgelehnt.

1.2 Verfahren im Justizrat

Stimmt der Gemeinsame Mitbestimmungsrat dem Haushaltsvoranschlag des Justizpräsidenten zu, legt der Justizpräsident diesen dem Justizrat zur Beschlussfassung zu.

Weicht der vom Justizrat beschlossene Haushaltsvoranschlag von dem des Justizpräsidenten ab und wird keine Einigung erzielt, meldet der Justizpräsident den vom Justizrat beschlossenen Haushaltsvoranschlag bei dem Staatsministerium der Finanzen an. Es sind dabei die Teile besonders kenntlich zu machen, über die kein Einvernehmen erzielt worden ist.

2. Beschluss der Staatsregierung über den Entwurf des Haushaltsplans

Der Entwurf des Haushaltsgesetzes wird mit dem Entwurf des Haushaltsplans von der Staatsregierung beschlossen.

Weicht der von der Staatsregierung beschlossene Entwurf des Haushaltsplans vom Voranschlag des Justizpräsidenten, so sind die Teile besonders kenntlich zu machen, über die kein Einvernehmen erzielt worden ist. Der Voranschlag des Justizpräsidenten ist unverändert dem Entwurf des Staatshaushalts beizufügen (analog Art. 29 Abs. 3 BayHO beim Haushalt des Landtags und dem des Obersten Rechnungshofs).

3. Vollzug des Haushaltes

Der Haushalt wird vom Justizpräsidenten vollzogen.

Entstehen beim Vollzug des Haushaltes Differenzen zwischen dem Justizpräsidenten und dem Gemeinsamen Mitbestimmungsrat, kann dieser Gegenvorschläge unterbreiten, über die wie unter 1.1 dargestellt entschieden wird.

III. Zusammenwirken von Justizpräsident, Justizrat und Mitbestimmungsgremien am Beispiel von Personalentscheidungen

Personalentscheidungen sind insbesondere Neueinstellung, Beförderung, Abordnung, Versetzung und Entlassung.

Die Ausgestaltung der Mitbestimmung wird im Weiteren beispielhaft an der Beförderung dargestellt:

Der Justizpräsident teilt dem Präsidialrat, bei Staatsanwälten dem Hauptstaatsanwaltsrat, mit, wem er das Beförderungsamt zu übertragen beabsichtigt. Er übersendet dem Präsidialrat das Bewerbungsgesuch, den Personalbogen und die dienstliche Beurteilung des Ausgewählten sowie die Bewerbungsgesuche – auf Verlangen des Präsidialrats auch die Personalbogen und die dienstlichen Beurteilungen – der anderen Bewerber. Gegebenenfalls übermittelt er auch den vom zuständigen Gerichtspräsidenten vorgelegten in der Regel drei Namen enthaltenden Besetzungsvorschlag (Dreiervorschlag). Personalakten dürfen dem Präsidialrat nur mit Zustimmung des Betroffenen zugeleitet werden. (Wie bisher Art. 43 Abs. 2, 50 BayRiG)

Der Präsidialrat/Hauptstaatsanwaltsrat nimmt zur persönlichen und fachlichen Eignung des Vorgeschlagenen Stellung. Er kann sich auch zu der persönlichen und fachlichen Eignung der anderen Bewerber äußern und im Rahmen der Bewerbungen oder des Besetzungsvorschlags Gegenvorschläge machen. Folgt der Justizpräsident dem Gegenvorschlag nicht, so teilt er die Gründe hierfür dem Präsidialrat/Hauptstaatsanwaltsrat innerhalb von zwei Wochen seit Eingang des Gegenvorschlags mit; innerhalb einer Frist von weiteren zwei Wochen gewährt der Justizpräsident dem Präsidialrat bzw. dem Hauptstaatsanwaltsrat auf Verlangen eine Aussprache. (Wie bisher Art. 43 Abs. 4, 50 BayRiG)

Führt die Aussprache zu keiner Einigung, so entscheidet über die Beförderung der Justizpräsident gemeinsam mit dem Justizrat. (Analog § 44 Abs. 5 LRiG [Ba.-Wü.])

Für die zu treffende Entscheidung hat der Justizpräsident das Vorschlagsrecht. Er legt dem Justizrat die Personalunterlagen des Vorgeschlagenen und die weiteren Unterlagen, die zu seinem Vorschlag geführt haben, einschließlich der Personalunterlagen der Mitbewerber und der zu allen Bewerbungen abgegebenen Stellungnahmen, sowie etwaige Gegenvorschläge des Präsidialrats bzw. Hauptstaatsanwaltsrats mit einem Bericht vor. Personalakten dürfen nur mit Zustimmung des Bewerbers vorgelegt werden. Der Justizrat hat zu prüfen, ob der Vorgeschlagene überhaupt, und unter den Bewerbern die besten, fachlichen und persönlichen Voraussetzungen für dieses Amt besitzt. Erhält der Vorgeschlagene nicht die erforderliche Mehrheit, so kann der Justizrat einen der anderen Bewerber wählen. (Analog § 58 Abs. 1 und 2 LRiG [Ba.-Wü.])

Stimmt der Justizrat der Entscheidung des Justizpräsidenten zu, so trifft er die weiteren Maßnahmen. Erreicht kein Bewerber im Justizrat die für die Wahl erforderliche Mehrheit, oder stimmt der Justizpräsident der Entscheidung des Justizrats nicht zu, so kann der Justizpräsident dem Präsidialrat bzw. dem Hauptstaatsanwaltsrat erneut einen Bewerber vorschlagen oder die Stelle neu ausschreiben. (Analog § 60 LRiG [Ba.-Wü.])

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Redaktionelle Hinweise

Vorstehendes Positionspapier gibt die aktuelle Position des Bayerischen Richtervereins e.V. wieder wie sie auf der Landesvertreterversammlung vom Mai 2014 beschlossen wurde.

Das Positionspapier ist zuerst erschienen auf der Website des Bayerischen Richtervereins e.V. – herzlichen Dank dem BRV für die Möglichkeit, es hier zu publizieren.

Die im Originaldokument der Anlage enthaltenen sieben Fußnoten wurden durch Klammerzusatz in den Text eingepflegt und sind durch Unterstreichung kenntlich gemacht.

Das Landesrichtergesetz Baden-Württemberg (LRiG), auf das sich einige Verweise beziehen, wurde zwischenzeitlich mehrfach geändert und durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Landesrichtergesetzes v. 16.04.2013 (GBl. Nr. 5/2013 v. 06.05.2013, S. 77) in Landesrichter- und -staatsanwaltsgesetz (LRiStAG) umbenannt. Im Zuge dieser Gesetzesänderung wurde die Mitbestimmung von Richterinnen und Richtern sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälten in Personalangelegenheiten gestärkt.

Ass. iur. Klaus Kohnen

 

Net-Dokument BayRVR2014090801