Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) vertritt ein auf die Beseitigung der bestehenden freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtetes politisches Konzept. Sie will die bestehende Verfassungsordnung durch einen an der ethnisch definierten „Volksgemeinschaft“ ausgerichteten autoritären Nationalstaat ersetzen. Ihr politisches Konzept missachtet die Menschenwürde und ist mit dem Demokratieprinzip unvereinbar. Die NPD arbeitet auch planvoll und mit hinreichender Intensität auf die Erreichung ihrer gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Ziele hin. Allerdings fehlt es (derzeit) an konkreten Anhaltspunkten von Gewicht, die es möglich erscheinen lassen, dass dieses Handeln zum Erfolg führt, weshalb der Zweite Senat des BVerfG den zulässigen Antrag des Bundesrats auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit und Auflösung der NPD und ihrer Unterorganisationen (Art. 21 Abs. 2 GG) mit heute verkündetem Urteil einstimmig als unbegründet zurückgewiesen hat.
Wesentliche Erwägungen des Senats
1. Der Verbotsantrag ist zulässig. Der Durchführung des Verfahrens steht weder ein Verstoß gegen das Gebot strikter Staatsfreiheit noch eine Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens entgegen. Der Antragsteller hat zur Überzeugung des Gerichts dargetan, dass alle V-Leute auf den Führungsebenen der NPD spätestens zum Zeitpunkt des Bekanntmachens der Absicht, einen Verbotsantrag zu stellen, abgeschaltet waren und eine informationsgewinnende Nachsorge unterblieben ist. Auch ist davon auszugehen, dass die Prozessstrategie der NPD nicht mit nachrichtendienstlichen Mitteln ausgespäht wurde und hinreichende Vorkehrungen getroffen worden sind, um im Rahmen der Beobachtung der NPD hierüber zufällig erlangte Erkenntnisse nicht zu deren Lasten zu verwenden.
2. Der Antragsteller begehrt gem. Art. 21 Abs. 2 GG i.V.m. §§ 43 ff. BVerfGG die Feststellung, dass die NPD verfassungswidrig ist, weil sie nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgeht, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen. Dem sind folgende Maßstäbe zugrunde zu legen:
a) Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 GG beinhaltet die zentralen Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind. Ihren Ausgangspunkt findet die freiheitliche demokratische Grundordnung in der Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG). Die Garantie der Menschenwürde umfasst insbesondere die Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität sowie die elementare Rechtsgleichheit. Auf rassistische Diskriminierung zielende Konzepte sind damit nicht vereinbar. Daneben sind im Rahmen des Demokratieprinzips die Möglichkeit gleichberechtigter Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger am Prozess der politischen Willensbildung und die Rückbindung der Ausübung aller Staatsgewalt an das Volk (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG) konstitutive Bestandteile der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Hinsichtlich des Rechtsstaatsprinzips gilt dies für die Rechtsbindung der öffentlichen Gewalt, die Kontrolle dieser Bindung durch unabhängige Gerichte und das staatliche Gewaltmonopol.
b) Der Begriff des Beseitigens im Sinne des Art. 21 Abs. 2 GG bezeichnet die Abschaffung zumindest eines der Wesenselemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder deren Ersetzung durch eine andere Verfassungsordnung oder ein anderes Regierungssystem. Von einem Beeinträchtigen ist auszugehen, wenn eine Partei nach ihrem politischen Konzept mit hinreichender Intensität eine spürbare Gefährdung eines der Wesenselemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bewirkt.
c) Dass eine Partei die Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung anstrebt, muss sich aus den Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger ergeben. Die Ziele einer Partei sind der Inbegriff dessen, was eine Partei (offen oder verdeckt) politisch anstrebt. Anhänger sind alle Personen, die sich für eine Partei einsetzen und sich zu ihr bekennen, auch wenn sie nicht Mitglied der Partei sind. Zuzurechnen sind einer Partei grundsätzlich die Tätigkeit der Parteiführung, leitender Funktionäre (auch von Teilorganisationen) und Äußerungen in Publikationsorganen der Partei. Bei Äußerungen oder Handlungen einfacher Mitglieder oder von Anhängern, die nicht der Partei angehören, ist entscheidend, dass in deren Verhalten der politische Wille der Partei erkennbar zum Ausdruck kommt. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn das Verhalten eine in der Partei vorhandene Grundtendenz widerspiegelt oder die Partei sich dieses Verhalten ausdrücklich zu Eigen gemacht hat.
d) Das Parteiverbot erfordert ein „Ausgehen“ auf die Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Es ist kein Gesinnungs- oder Weltanschauungsverbot. Vielmehr muss die Partei über das Bekennen ihrer verfassungsfeindlichen Ziele hinaus die Grenze zum Bekämpfen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung überschreiten. Dies setzt voraus, dass sie sich durch aktives und planvolles Handeln für ihre Ziele einsetzt und auf die Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung hinwirkt. Nicht erforderlich ist, dass das Handeln der Partei zu einer konkreten Gefahr für die Schutzgüter des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG führt. Es müssen jedoch konkrete Anhaltspunkte von Gewicht vorliegen, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass das Handeln der Partei erfolgreich sein kann (Potentialität). Lässt das Handeln einer Partei dagegen noch nicht einmal auf die Möglichkeit eines Erreichens ihrer verfassungsfeindlichen Ziele schließen, bedarf es des präventiven Schutzes der Verfassung durch ein Parteiverbot nicht. An der abweichenden Definition im KPD-Urteil, nach der es einem Parteiverbot nicht entgegenstehe, wenn für die Partei nach menschlichem Ermessen keine Aussicht darauf besteht, dass sie ihre verfassungswidrige Absicht in absehbarer Zukunft werde verwirklichen können (BVerfG 5, 85 <143>), hält der Senat nicht fest.
e) Für die Annahme weiterer (ungeschriebener) Tatbestandsmerkmale ist im Rahmen des Art. 21 Abs. 2 GG kein Raum. Weder findet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Parteiverbotsverfahren Anwendung, noch kommt der Wesensverwandtschaft einer Partei mit dem Nationalsozialismus eine die Tatbestandsmerkmale des Art. 21 Abs. 2 GG ersetzende Funktion zu. Allerdings kann die Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus indizielle Bedeutung hinsichtlich der Verfolgung verfassungsfeindlicher Ziele einer Partei entfalten.
3. Nach diesen Maßstäben ist der Verbotsantrag unbegründet.
a) Das politische Konzept der NPD ist auf die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtet.
aa) Der von der NPD vertretene Volksbegriff verletzt die Menschenwürde. Er negiert den sich hieraus ergebenden Achtungsanspruch der Person und führt zur Verweigerung elementarer Rechtsgleichheit für alle, die nicht der ethnisch definierten „Volksgemeinschaft“ in ihrem Sinne angehören. Das Politikkonzept der NPD ist auf die Ausgrenzung, Verächtlichmachung und weitgehende Rechtlosstellung von gesellschaftlichen Gruppen (Ausländern, Migranten, religiösen und sonstigen Minderheiten) gerichtet.
bb) Darüber hinaus missachtet die NPD die freiheitliche demokratische Grundordnung auch mit Blick auf das Demokratieprinzip. In einem durch die „Einheit von Volk und Staat“ geprägten Nationalstaat im Sinne der NPD ist für eine Beteiligung ethnischer Nichtdeutscher an der politischen Willensbildung grundsätzlich kein Raum. Dieses Konzept widerspricht dem im menschenrechtlichen Kern des Demokratieprinzips wurzelnden Anspruch auf gleichberechtigte Teilhabe aller Staatsangehörigen an der politischen Willensbildung. Außerdem tritt die NPD für die Abschaffung des bestehenden parlamentarisch-repräsentativen Systems und seine Ersetzung durch einen am Prinzip der „Volksgemeinschaft“ orientierten Nationalstaat ein.
cc) Die NPD weist eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus auf. Das Konzept der „Volksgemeinschaft“, die antisemitische Grundhaltung und die Verächtlichmachung der bestehenden demokratischen Ordnung lassen deutliche Parallelen zum Nationalsozialismus erkennen. Hinzu kommen das Bekenntnis zu Führungspersönlichkeiten der NSDAP, der punktuelle Rückgriff auf Vokabular, Texte, Liedgut und Symbolik des Nationalsozialismus sowie geschichtsrevisionistische Äußerungen, die eine Verbundenheit zumindest relevanter Teile der NPD mit der Vorstellungswelt des Nationalsozialismus dokumentieren. Die Wesensverwandtschaft der NPD mit dem Nationalsozialismus bestätigt deren Missachtung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung.
b) Einem Verbot der NPD steht aber entgegen, dass das Tatbestandsmerkmal des „Darauf Ausgehens“ im Sinne von Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG nicht erfüllt ist. Die NPD bekennt sich zwar zu ihren gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Zielen und arbeitet planvoll auf deren Erreichung hin, so dass sich ihr Handeln als qualifizierte Vorbereitung der von ihr angestrebten Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung darstellt. Es fehlt jedoch an konkreten Anhaltspunkten von Gewicht, die eine Durchsetzung der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Ziele möglich erscheinen lassen. Weder steht eine erfolgreiche Durchsetzung dieser Ziele im Rahmen der Beteiligung am Prozess der politischen Willensbildung in Aussicht (aa), noch ist der Versuch einer Erreichung dieser Ziele durch eine der NPD zurechenbare Beeinträchtigung der Freiheit der politischen Willensbildung in hinreichendem Umfang feststellbar (bb).
aa) Ein Erreichen der verfassungswidrigen Ziele der NPD mit parlamentarischen oder außerparlamentarischen demokratischen Mitteln erscheint ausgeschlossen.
(1) Im parlamentarischen Bereich verfügt die NPD weder über die Aussicht, bei Wahlen eigene Mehrheiten zu gewinnen, noch über die Option, sich durch die Beteiligung an Koalitionen eigene Gestaltungsspielräume zu verschaffen. Auf überregionaler Ebene ist sie gegenwärtig lediglich mit einem Abgeordneten im Europäischen Parlament vertreten. Die Wahlergebnisse bei Europa- und Bundestagswahlen stagnieren auf niedrigem Niveau. Die NPD hat es in den mehr als fünf Jahrzehnten ihres Bestehens nicht vermocht, dauerhaft in einem Landesparlament vertreten zu sein. Anhaltspunkte für eine künftige Veränderung dieser Entwicklung fehlen. Hinzu kommt, dass die sonstigen in den Parlamenten auf Bundes- und Landesebene vertretenen Parteien zu Koalitionen oder auch nur punktuellen Kooperationen mit der NPD bisher nicht bereit sind. Trotz ihrer Präsenz in den Kommunalparlamenten ist ein bestimmender Einfluss auf die politische Willensbildung auch in den kommunalen Vertretungskörperschaften weder gegeben noch zukünftig zu erwarten.
(2) Auch durch die Beteiligung am Prozess der politischen Willensbildung mit demokratischen Mitteln außerhalb des parlamentarischen Handelns hat die NPD in absehbarer Zeit keine Möglichkeit ihre verfassungsfeindlichen Ziele erfolgreich zu verfolgen. Vielmehr stehen einer nachhaltigen Beeinflussung der außerparlamentarischen politischen Willensbildung durch die NPD deren niedriger und tendenziell rückläufiger Organisationsgrad sowie ihre eingeschränkte Kampagnenfähigkeit und geringe Wirkkraft in die Gesellschaft entgegen. Eine Gesamtzahl von weniger als 6.000 Mitgliedern führt zu einer erheblichen Beschränkung der Aktionsmöglichkeiten der NPD. Es ist nicht ersichtlich, dass sie ihre strukturellen Defizite und ihre geringe Wirkkraft durch ihre Öffentlichkeitsarbeit oder die Umsetzung der „Kümmerer-Strategie“ im Wege „national-revolutionärer Graswurzelarbeit“ kompensieren könnte. Auch fehlen Belege, dass es der NPD gelingt, mit ihren asyl- und ausländerpolitischen Aktivitäten zusätzliche Unterstützung für ihre verfassungsfeindlichen Absichten in relevantem Umfang zu gewinnen. Ebenso hat sie es nicht vermocht ‑ abgesehen von punktuellen Kooperationen ‑ ihre Wirkkraft in die Gesellschaft durch die Schaffung rechtsextremer Netzwerke unter ihrer Führung zu erhöhen.
bb) Konkrete Anhaltspunkte von Gewicht, die darauf hindeuten, dass die NPD die Grenzen des zulässigen politischen Meinungskampfes in einer das Tatbestandsmerkmal des „Darauf Ausgehens“ erfüllenden Weise überschreitet, liegen ebenfalls nicht vor. Sie vermag Dominanzansprüche in abgegrenzten Sozialräumen nicht in relevantem Umfang zu verwirklichen. Der Kleinstort Jamel stellt einen Sonderfall dar, der nicht verallgemeinerungsfähig ist. Sonstige Beispiele erfolgreicher Umsetzung räumlicher Dominanzansprüche sind nicht ersichtlich. Eine Grundtendenz der NPD zur Durchsetzung ihrer verfassungsfeindlichen Absichten mit Gewalt oder durch die Begehung von Straftaten kann den im Verfahren geschilderten Einzelfällen (noch) nicht entnommen werden. Schließlich fehlen hinreichende Anhaltspunkte für die Schaffung einer Atmosphäre der Angst, die zu einer spürbaren Beeinträchtigung der Freiheit des Prozesses der politischen Willensbildung führt oder führen könnte. Der Umstand, dass die NPD durch einschüchterndes oder kriminelles Verhalten von Mitgliedern und Anhängern punktuell eine nachvollziehbare Besorgnis um die Freiheit des politischen Prozesses oder gar Angst vor gewalttätigen Übergriffen auszulösen vermag, ist nicht zu verkennen, erreicht aber die durch Art. 21 Abs. 2 GG markierte Schwelle nicht. Auf Einschüchterung und Bedrohung sowie den Aufbau von Gewaltpotentialen muss mit den Mitteln des präventiven Polizeirechts und des repressiven Strafrechts rechtzeitig und umfassend reagiert werden, um die Freiheit des politischen Prozesses ebenso wie einzelne vom Verhalten der NPD Betroffene wirkungsvoll zu schützen.
BVerfG, Pressemitteilung v. 17.01.2017 zum Urt. v. 17.01.2017 – 2 BvB 1/13
Redaktionelle Hinweise
Das Gericht hat bereits den Volltext veröffentlicht und folgende Leitsätze formuliert:
1. Das Parteiverbot nach Art. 21 Abs. 2 GG stellt die schärfste und überdies zweischneidige Waffe des demokratischen Rechtsstaats gegen seine organisierten Feinde dar. Es soll den Risiken begegnen, die von der Existenz einer Partei mit verfassungsfeindlicher Grundtendenz und ihren typischen verbandsmäßigen Wirkungsmöglichkeiten ausgehen.
2. Das Gebot der Staatsfreiheit politischer Parteien und der Grundsatz des fairen Verfahrens sind für die Durchführung des Verbotsverfahrens unabdingbar.
a) Die Tätigkeit von V-Leuten und Verdeckten Ermittlern auf den Führungsebenen einer Partei während eines gegen diese laufenden Verbotsverfahrens ist mit dem Gebot strikter Staatsfreiheit nicht vereinbar.
b) Gleiches gilt, soweit die Begründung eines Verbotsantrages auf Beweismaterialien gestützt wird, deren Entstehung zumindest teilweise auf das Wirken von V-Leuten oder Verdeckten Ermittlern zurückzuführen ist.
c) Der Grundsatz des fairen Verfahrens gebietet, dass die Beobachtung einer Partei während eines laufenden Verbotsverfahrens durch den Verfassungsschutz nicht dem Ausspähen ihrer Prozessstrategie dient und dass im Rahmen der Beobachtung erlangte Informationen über die Prozessstrategie im Verfahren nicht zulasten der Partei verwendet werden.
d) Ein zur Verfahrenseinstellung führendes Hindernis kommt lediglich als ultima ratio möglicher Rechtsfolgen von Verfassungsverstößen in Betracht. Zur Feststellung des Vorliegens eines unbehebbaren Verfahrenshindernisses bedarf es einer Abwägung zwischen den rechtsstaatlichen Verfahrensanforderungen einerseits und dem Präventionszweck dieses Verfahrens andererseits.
3. Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 GG umfasst nur jene zentralen Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind.
a) Ihren Ausgangspunkt findet die freiheitliche demokratische Grundordnung in der Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG). Die Garantie der Menschenwürde umfasst insbesondere die Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität sowie die elementare Rechtsgleichheit.
b) Ferner ist das Demokratieprinzip konstitutiver Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Unverzichtbar für ein demokratisches System sind die Möglichkeit gleichberechtigter Teilnahme aller Bürgerinnen und Bürger am Prozess der politischen Willensbildung und die Rückbindung der Ausübung der Staatsgewalt an das Volk (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG).
c) Für den Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sind schließlich die im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde Rechtsbindung der öffentlichen Gewalt (Art. 20 Abs. 3 GG) und die Kontrolle dieser Bindung durch unabhängige Gerichte bestimmend. Zugleich erfordert die verfassungsrechtlich garantierte Freiheit des Einzelnen, dass die Anwendung physischer Gewalt den gebundenen und gerichtlicher Kontrolle unterliegenden staatlichen Organen vorbehalten ist.
4. Der Begriff des Beseitigens der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bezeichnet die Abschaffung zumindest eines ihrer Wesenselemente oder deren Ersetzung durch eine andere Verfassungsordnung oder ein anderes Regierungssystem. Von einem Beeinträchtigen ist auszugehen, wenn eine Partei nach ihrem politischen Konzept mit hinreichender Intensität eine spürbare Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bewirkt.
5. Dass eine Partei die Beseitigung oder Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung anstrebt, muss sich aus ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger ergeben.
a) Die Ziele einer Partei sind der Inbegriff dessen, was eine Partei politisch anstrebt.
b) Anhänger sind alle Personen, die sich für eine Partei einsetzen und sich zu ihr bekennen, auch wenn sie nicht Mitglied der Partei sind.
c) Zuzurechnen ist einer Partei zunächst einmal die Tätigkeit ihrer Organe, besonders der Parteiführung und leitender Funktionäre. Bei Äußerungen oder Handlungen einfacher Mitglieder ist eine Zurechnung nur möglich, wenn diese in einem politischen Kontext stehen und die Partei sie gebilligt oder geduldet hat. Bei Anhängern, die nicht der Partei angehören, ist grundsätzlich eine Beeinflussung oder Billigung ihres Verhaltens durch die Partei notwendige Bedingung für die Zurechenbarkeit. Eine pauschale Zurechnung von Straf- und Gewalttaten ohne konkreten Zurechnungszusammenhang kommt nicht in Betracht. Der Grundsatz der Indemnität schließt eine Zurechnung parlamentarischer Äußerung nicht aus.
6. Eine gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Zielsetzung einer Partei reicht für die Anordnung eines Parteiverbots nicht aus. Vielmehr muss die Partei auf die Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung „ausgehen“.
a) Ein solches „Ausgehen“ setzt begrifflich ein aktives Handeln voraus. Das Parteiverbot ist kein Gesinnungs- oder Weltanschauungsverbot. Notwendig ist ein Überschreiten der Schwelle zur Bekämpfung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung durch die Partei.
b) Es muss ein planvolles Vorgehen gegeben sein, das im Sinne einer qualifizierten Vorbereitungshandlung auf die Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder auf die Gefährdung des Bestandes der Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist.
c) Dass dadurch eine konkrete Gefahr für die durch Art. 21 Abs. 2 GG geschützten Rechtsgüter begründet wird, ist nicht erforderlich. Allerdings bedarf es konkreter Anhaltspunkte von Gewicht, die einen Erfolg des gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland gerichteten Handelns zumindest möglich erscheinen lassen.
d) Die Anwendung von Gewalt ist bereits für sich genommen hinreichend gewichtig, um die Annahme der Möglichkeit erfolgreichen Agierens gegen die Schutzgüter des Art. 21 Abs. 2 GG zu rechtfertigen. Gleiches gilt, wenn eine Partei in regional begrenzten Räumen eine „Atmosphäre der Angst“ herbeiführt, die geeignet ist, die freie und gleichberechtigte Beteiligung aller am Prozess der politischen Willensbildung nachhaltig zu beeinträchtigen.
7. Für die Annahme ungeschriebener Tatbestandsmerkmale ist im Rahmen des Art. 21 Abs. 2 GG kein Raum.
a) Die Wesensverwandtschaft einer Partei mit dem Nationalsozialismus rechtfertigt für sich genommen die Anordnung eines Parteiverbots nicht. Allerdings kommt ihr erhebliche indizielle Bedeutung hinsichtlich der Verfolgung verfassungsfeindlicher Ziele zu.
b) Einer gesonderten Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bedarf es nicht.
8. Die dargelegten Anforderungen an die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei sind mit den Vorgaben, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Rechtsprechung zu Parteiverboten aus der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) abgeleitet hat, vereinbar.
9. Nach diesen Maßstäben ist der Verbotsantrag unbegründet:
a) Die Antragsgegnerin strebt nach ihren Zielen und dem Verhalten ihrer Anhänger die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung an. Sie zielt auf eine Ersetzung der bestehenden Verfassungsordnung durch einen an der ethnischen „Volksgemeinschaft“ ausgerichteten autoritären „Nationalstaat“. Dieses politische Konzept missachtet die Menschenwürde aller, die der ethnischen Volksgemeinschaft nicht angehören, und ist mit dem grundgesetzlichen Demokratieprinzip unvereinbar.
b) Die Antragsgegnerin arbeitet planvoll und qualifiziert auf die Erreichung ihrer gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Ziele hin.
c) Es fehlt jedoch an konkreten Anhaltspunkten von Gewicht, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass dieses Handeln zum Erfolg führt.