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Rezension: Burgi/Dreher (Hrsg.), Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1: GWB 4. Teil (C.H. Beck, 3. Auflage 2017)

von Rechtsanwalt Dr. Philipp Kraus, München

Vergabepraktiker sind – wie gemeinhin bekannt – leidgeprüft. Denn das Vergaberecht unterliegt einem stetigen Wandel. So gibt es wohl nur wenige Rechtsgebiete, die derart häufig Gegenstand von Novellen oder Reformen sind. Und jede Novelle und Reform schafft für die Vergabepraxis neue Unsicherheiten bei der Anwendung des Vergaberechts.

Die aktuelle Reform, die mit Wirkung zum 16.04.2016 in Kraft getreten ist, sorgt beim Rechtsanwender gleichwohl für eine besondere Qualität neuen Leidens. Denn die Änderungen, die auf Grund des neuen europäischen Rechtsrahmens erforderlich wurden, sind tiefgreifend und in ihrer Quantität und Qualität einmalig in der bisherigen Gesetzeshistorie seit der Einführung der vergaberechtlichen Bestimmungen im GWB. Insbesondere sieht sich der Rechtsanwender mit einer grundlegend geänderten Systematik und zahlreichen neuen Vorschriften konfrontiert, die er gleichwohl alle sofort rechtssicher beherrschen muss.

Die rechtssichere Anwendung dieser Bestimmungen ist jedoch problematisch, wenn naturgemäß Rechtsprechung zu den neuen Vorschriften noch weitgehend fehlt. Der Rechtsanwender hat – neben dem Gesetzestext und den Gesetzesmaterialien  – dann nur die Literatur zur Hand, um die neuen Bestimmungen zutreffend auszulegen und anzuwenden. Ärgerlich ist deshalb, dass gerade Kommentarliteratur zu den reformierten Bestimmungen des Vergaberechts bislang nur sehr verzögert erscheint. Die Neuauflagen mehrerer Standardwerke sind, auch wenn das neue Vergaberecht nun schon seit über eineinhalb Jahren anzuwenden ist, immer noch in Bearbeitung.

So ist als primärer Verdienst des Burgi/Dreher zu nennen, dass er diese Lücke in der Kommentarliteratur als einer der ersten Publikationen schließt. Dem Anspruch an Aktualität ist es u.a. geschuldet, dass der Kommentar, der in der 2. Auflage von 2013 (unter den Herausgebern Dreher/Motzke) noch als einbändiges Werk erschienen ist, nunmehr in zwei Bänden aufgelegt wird. Der erste Band, der hier besprochen wird und die vergaberechtlichen Bestimmungen im vierten Teil des GWB zum Gegenstand hat, konnte so zeitnah zum Inkrafttreten des neuen Rechts veröffentlicht werden. Der zweite Band, der das neue Recht auf Ebene der Verordnungen (VgV, SektVO, VSVgV, KonzVgV) und der VOB/A behandelt, ist hingegen aktuell noch in Arbeit und für das erste Quartal 2018 angekündigt.

Aktualität ist jedoch nicht der einzige Vorzug dieses Kommentars. Auch die Qualität der einzelnen Kommentierung ist ganz überwiegend sehr hoch. Der hohe wissenschaftliche Anspruch des Burgi/Dreher lässt sich bereits mit einem Blick in das Autorenverzeichnis erahnen. Wissenschaft und Lehre sind dort durch eine Vielzahl renommierter Universitätsprofessoren stark vertreten. So sind etwa die beiden Herausgeber und Mitautoren Burgi und Dreher zwei in der Vergabewelt hochgeschätzte Universitätsprofessoren. Aber auch die Praxis in Rechtsprechung, Verwaltung und Anwaltschaft findet sich unter den Autoren des Burgi/Dreher sehr namhaft repräsentiert.

Dieser erste gute Eindruck wird, wenn man sich einzelne Kommentierungen näher ansieht, tatsächlich bestätigt. Exemplarisch und sozusagen als Stichproben können insoweit zwei Kommentierungen hervorgehoben werden, die sich – für die Vergabepraxis aus besagten Gründen besonders interessant – mit Bestimmungen befassen, die im Wege der aktuellen Reform neu in das GWB eingeführt wurden:

Eine wesentliche Neuerung der aktuellen Vergaberechtsreform ist die Normierung eines allgemeinen Konzessionsvergaberechts, das – im Gegensatz zum bisherigen Recht – nunmehr auch die Dienstleistungskonzession umfasst. Die zentrale Vorschrift des neuen Konzessionsvergaberechts in § 105 GWB wird durch Wollenschläger in vorzüglicher Weise kommentiert. Insbesondere der Konzessionsbegriff, der trotz der umfangreichen einschlägigen Rechtsprechung des EuGH sowie der nationalen Gerichte immer noch schwer zu greifen ist, wird durch den Autor mit bestechender Klarheit und Stringenz analysiert und verständlich gemacht. Dabei bringt Wollenschläger die bislang nur isoliert existierenden Begriffe der Bau- und der Dienstleistungskonzession in ein stimmiges Gesamtbild und kommentiert diese einheitlich. Damit schafft Wollenschläger gegenüber der redundanten Regelungssystematik in § 105 GWB  einen konsistenteren und eingängigeren Zugang zu dem schwierigen Konzessionsbegriff. Daneben überzeugt die Kommentierung von Wollenschläger mit einer eingehenden, aber nicht ausufernden Darstellung der Gesetzeshistorie, des europäischen Rechtsrahmens und der Gesetzessystematik. Abgerundet wird die Kommentierung durch eine umfangreich, aber straff dargelegte Kasuistik, die leider im Fließtext etwas untergeht.

Eine weitere nennenswerte Neuerung der aktuellen Reform ist die Einführung eines neuen Sonderregimes für soziale und andere besondere Dienstleistungen, das das bisherige System der sog. A- und B-Dienstleistungen ablöst. Der Begriff der sozialen und anderen besonderen Dienstleistungen wird dabei im GWB nicht abstrakt definiert, sondern durch eine Bezugnahme auf den Katalog im Anhang XIV der Richtlinie 2014/24/EU bestimmt. Dieser Katalog enthält eine Aufzählung der betreffenden Dienstleistungen anhand der jeweils einschlägigen CPV-Codes und unterteilt diese Dienstleistungen in zahlreiche Kategorien. Die Definition der sozialen und andere besondere Dienstleistungen anhand von CPV-Codes ermöglicht allerdings nur vermeintlich eine trennscharfe Bestimmung dieses Begriffs. Tatsächlich wird vielmehr durch die Vielzahl und unübersichtliche Zuordnung der aufgenommenen Codes und deren unklare Abgrenzung untereinander eine eindeutige Zuordnung erschwert. Mit anderen Worten: Die Anwendung des Sonderregimes für soziale und andere besondere Dienstleistungen steht für den Rechtsanwender unter dem Vorbehalt der Lösung einer oft unlösbaren Aufgabe. Er hat nämlich die Frage zu beantworten, ob die jeweiligen Leistungen überhaupt unter den Begriff der sozialen und anderen besonderen Dienstleistungen fallen. Für eine ausschreibende Stelle kann, wenn sie hier auf das falsche Pferd einer Anwendbarkeit dieses Sonderregimes setzt, ein solcher Irrtum fatale Folge haben. Denn ein Vergabeverfahren unter Anwendung des falschen Rechtsregimes ist zwangsläufig nur durch Aufhebung und Neubekanntmachung reparabel.

Vor diesem Hintergrund erscheint die Kommentierung der betreffenden Bestimmungen durch Rixen besonders verdienstvoll. Denn dem Rechtsanwender wird in der Kommentierung zum neuen § 130 GWB der Begriff der sozialen und anderen besonderen Dienstleistungen mustergültig erläutert. Dabei werden dem Leser nicht nur allgemeine Leitlinien für die Auslegung der CPV-Codes an die Hand gegeben. Vielmehr unternimmt Rixen in mühevoller Kleinarbeit den Versuch, die einzelnen Kategorien und zahllosen Codes genau zu erläutern und so für den Anwender greifbar zu machen. Dass am Ende dieser Bemühungen immer noch kein gänzlich klares Bild des Begriffs der sozialen und anderen besonderen Dienstleistungen steht, kann allein dem Richtliniengeber und keinesfalls dem Kommentator angelastet werden.

Bemerkenswert an der Kommentierung zu § 130 GWB ist schließlich noch die eingehende Behandlung des öffentlichen Auftrags (bzw. der Dienstleistungskonzession) im Sozial- und Gesundheitswesen. Hier legt Rixen den Zusammenhang zwischen Haushalts-, Sozial- und Vergaberecht dar und behandelt die vieldiskutierten Themen des sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses und der vergaberechtlichen Relevanz der Zulassung von Dienstleistungserbringern.

Fazit: Beide Stichproben belegen die besondere Tiefe, mit der die vergaberechtlichen Bestimmungen des GWB im Burgi/Dreher kommentiert werden. Eine solch tiefe Auseinandersetzung, die anderenorts (etwa in einem der zahlreichen vergaberechtlichen Kurzkommentare) schon aus Platzgründen nicht geleistet werden kann, ist aber gerade auf Grund der weitgreifenden Neuerungen der aktuellen Vergaberechtsreform und der damit verbundenen Zweifelsfragen vielfach auch für Vergabepraktiker unerlässlich. So mögen bspw. die oben angesprochenen Begriffe der Konzession oder der sozialen und anderen besonderen Dienstleistungen zwar für die Wissenschaft besonders interessant sein. Für den Rechtsanwender ist indes die sichere Handhabe dieser Begriffe und der damit verbundenen Weichenstellungen von keiner geringeren Bedeutung. Deshalb kann auch den eingangs erwähnten leidgeprüften Vergabepraktikern der Burgi/Dreher nur wärmsten empfohlen werden.

Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1: Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen – GWB – 4. Teil, 3. Auflage 2017; XXXIV, 1762 S., Hardcover, Leinen; ISBN 978-3-406-69951-1; € 219,00

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Anmerkung der Redaktion

Dr. Philipp Kraus ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht. Er ist Partner bei Kraus Donhauser in München.

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