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EuGH: Dublin III – Überstellungsentscheidung erst, nachdem der ersuchte Mitgliedstaat der Wiederaufnahme stillschweigend oder ausdrücklich zugestimmt hat

Begibt sich eine Person in einen Mitgliedstaat, nachdem sie in einem anderen Mitgliedstaat internationalen Schutz beantragt hat, darf der erste Mitgliedstaat sie nicht in den zweiten Mitgliedstaat überstellen, bevor der zweite Mitgliedstaat dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben hat

Nachdem Herr A.H., ein irakischer Staatsangehöriger, in Deutschland internationalen Schutz beantragt hatte, begab er sich nach Frankreich, wo er vorläufig festgenommen wurde. Daraufhin ersuchten die französischen Behörden die deutschen Behörden um Wiederaufnahme von Herrn H. und beschlossen am selben Tag, ihn nach Deutschland zu überstellen. Die französischen Behörden waren nämlich der Ansicht, dass nach der Dublin-III-Verordnung[1] Deutschland für die Bearbeitung des Antrags von Herrn H. auf internationalen Schutz zuständig sei, da er dort einen solchen Antrag gestellt habe. Herr H. hat die Anordnung seiner Überstellung nach Deutschland vor einem französischen Gericht angefochten. Er macht insbesondere geltend, diese Entscheidung verstoße gegen die Dublin-III-Verordnung, da sie erlassen und ihm zugestellt worden sei, bevor der ersuchte Mitgliedstaat (Deutschland) ausdrücklich oder stillschweigend auf das Gesuch der französischen Behörden um seine Wiederaufnahme geantwortet habe.

Das mit dieser Rechtssache befasste Tribunal administratif de Lille (Verwaltungsgericht Lille, Frankreich) möchte vom Gerichtshof wissen, ob in diesem Kontext die französischen Behörden eine Überstellungsentscheidung gegenüber Herrn H. erlassen und ihm zustellen durften, bevor Deutschland diesem Wiederaufnahmegesuch ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat.

Mit seinem heutigen Urteil stellt der Gerichtshof fest, dass sich aus dem Wortlaut, der Entstehungsgeschichte und dem Ziel der Dublin-III-Verordnung eindeutig ergibt, dass eine Überstellungsentscheidung erst erlassen und dem Betroffenen zugestellt werden darf, nachdem der ersuchte Mitgliedstaat seiner Wiederaufnahme stillschweigend oder ausdrücklich zugestimmt hat.

Der Gerichtshof weist insbesondere darauf hin, dass eine Person wie Herr H. gezwungen sein könnte, einen Rechtsbehelf gegen die Überstellungsentscheidung einzulegen, noch bevor der ersuchte Mitgliedstaat auf das Wiederaufnahmegesuch geantwortet hat, obwohl ein solcher Rechtsbehelf nur dann zum Tragen kommen kann, wenn der ersuchte Mitgliedstaat dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben hat. Zudem könnte das Recht des Betroffenen auf einen wirksamen Rechtsbehelf in seiner Tragweite eingeschränkt sein, da die Überstellungsentscheidung nur auf die vom ersuchenden Mitgliedstaat (hier: Frankreich) gesammelten Beweise und Indizien gestützt wäre. Dürften der Erlass und die Zustellung einer Überstellungsentscheidung vor der Antwort des ersuchten Mitgliedstaats stattfinden, liefe dies in den Mitgliedstaaten, die keine Aussetzung dieser Entscheidung vor der Antwort des ersuchten  Mitgliedstaats vorsehen, darauf hinaus, dass die betroffene Person dem Risiko ausgesetzt wäre, an den ersuchten Mitgliedstaat überstellt zu werden, bevor dieser der Überstellung grundsätzlich zugestimmt hat.

Pressemitteilung des EuGH Nr. 76 v. 31.05.2018 zum Urt. v. 31.05.2018 – C-647/16

Red. Hinweis: Die Überschrift wurde redaktionell formuliert.


[1] Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. 2013, L 180, S. 31).