Rechtsprechung Bayern

Verteilung von Ausschusssitzen – Grundsatz der Spiegelbildlichkeit

© Roland W. Waniek

Der unten vermerkte Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH) vom 9.1.2023 betraf einen Rechtsstreit um die Sitzvergabe in den Stadtratsausschüssen der Beklagten und in den Aufsichtsräten der städtischen Beteiligungsunternehmen.

Die Mehrheit des Stadtrats hatte sich entgegen einer in früheren Wahlperioden geübten Praxis für das – die größeren Fraktionen begünstigende – d’Hondtsche Verteilungsverfahren entschieden und bei der Benennung der Aufsichtsratsvertreter keine von mehreren Fraktionen gebildeten sog. Entsendegemeinschaften mehr zugelassen. Dadurch hatte die Klägerin, eine der kleineren Stadtratsfraktionen, weniger Vertreter in die Ausschüsse entsenden können, als dies bei Anwendung der Verfahren nach Sainte- Laguë/Schepers oder Hare/Niemeyer der Fall gewesen wäre; bei der Entsendung von Vertretern in die Aufsichtsräte der kommunalen Unternehmen war sie leer ausgegangen. Ihre gegen das Vorgehen der Ratsmehrheit gerichtete Klage zum Verwaltungsgericht hatte keinen Erfolg. Den dagegen gerichteten Antrag auf Zulassung der Berufung begründete die Klägerin insbesondere mit dem Gebot des Minderheitenschutzes, dem Willkürverbot und dem Gleichbehandlungsgrundsatz. Der VGH bestätigte das erstinstanzliche Urteil und erläuterte unter Bezugnahme auf frühere Entscheidungen den Gestaltungsspielraum, der den Gemeinden bei der Vergabe der Sitze in den Ausschüssen und in den Aufsichtsräten der kommunalen Beteiligungsunternehmen zukommt:

  1. Zulässigkeit der Wahl des Verfahrens nach d’Hondt

„Wie der Senat im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 8.8.1994 – 2 BvR 1484/94 – NVwZ-RR 1995, 213), des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs (Entscheidung vom 10.6.1994 – Vf. 11- VII-94 – VerfGHE 47, 154/156) und des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 10.12.2003 – 8 C 18.03 – BVerwGE 119, 305/311) wiederholt dargelegt hat, besteht bei der Besetzung der Ausschüsse der kommunalen Volksvertretungen keine Verpflichtung zur Wahl eines bestimmten Verteilungsverfahrens und auch kein Verbot der Verwendung des d’Hondtschen Höchstzahlverfahrens.

Der bayerische Landesgesetzgeber hat zu dieser Frage keine Vorgaben gemacht und insbesondere bei der Ausschussbesetzung nicht das für die Kommunalwahlen geltende Divisorverfahren nach Sainte-Laguë/Schepers (vgl. Art. 35 Abs. 2 GLKrWG) verbindlich vorgeschrieben. Die kommunalen Gremien haben daher in Ausübung ihrer Geschäftsordnungsautonomie (Art. 32, Art. 45 GO) grundsätzlich die Auswahl unter den anerkannten Berechnungsverfahren, die den aus dem Prinzip der repräsentativen Demokratie und aus dem Gebot der Wahlgleichheit folgenden ungeschriebenen Anforderungen gerecht werden (BayVGH, Beschluss vom 21.10.2021 – 4 ZB 21.1776 – BayVBl 2022, 674 Rn. 16; Urteil vom 17.3.2004 – 4 BV 03.1159 – VGH n.F. 57, 49/51 = BayVBl 2004, 429 m.w.N.). Zu den verfassungsrechtlich zulässigen Verfahren gehört nach einhelliger Rechtsprechung auch das Höchstzahlverfahren nach d‘Hondt (BayVGH, Urteil vom 17.3.2004 a.a.O., m.w.N.), das im Vergleich zu anderen Verfahren die größeren Parteien und Wählergruppen tendenziell begünstigt und die Erfolgswertgleichheit nicht in gleichem Maße erfüllt wie etwa das Verfahren nach Sainte-Laguë/Schepers (vgl. BayVGH, Beschluss vom 15.12.2020 – 4 CE 20.2166 – juris Rn. 21 m.w.N.). Eine Verpflichtung zur Anwendung des letztgenannten – aus mathematischer Sicht wohl vorzugswürdigen – Verfahrens besteht nicht. Der Kommunalgesetzgeber hat, nachdem sich mit keinem der Verfahren eine exakte Spiegelbildlichkeit der Sitzverteilung erreichen lässt, ebenso wie der Verfassungsgeber auf Bundes- und Landesebene darauf verzichtet, die örtlichen Volksvertretungen auf die Wahl des jeweils ,bestmöglichen‘ Verfahrens festzulegen …

Ein anderes Ergebnis lässt sich entgegen dem Vortrag der Klägerin nicht aus dem verfassungsrechtlich vorgegebenen und in Art. 33 Abs. 1 Satz 2 GO ausdrücklich normierten Gebot der Spiegelbildlichkeit bei der Ausschussbesetzung ableiten. Der darin zum Ausdruck kommende Gedanke einer gleichen Repräsentation der im Rat vertretenen Fraktionen und Gruppen umfasst zwar auch den Schutz der jeweiligen Minderheit (vgl. dazu BayVGH, Urteil vom 19.10.2022 – 4 BV 22.871 – juris Rn. 33 m.w.N.). Diesem Verfassungsgebot wird aber bereits dadurch hinreichend Rechnung getragen, dass den kleineren Gruppierungen kraft Gesetzes ein ihrer Größe entsprechender Anspruch auf Teilhabe an der Ausschussarbeit zusteht. Darüber hinaus folgt aus dem allgemeinen Prinzip des Minderheitenschutzes keine zwingende Verpflichtung, das für die Minderheit(-en) jeweils günstigste Verfahren bei der Ausschussbesetzung zu wählen oder dafür zu sorgen, dass jede Gruppierung in den von der Volksvertretung gebildeten Unterorganen vertreten ist (BayVGH, Beschluss vom 20.3.2017 – 4 ZB 16.1815 – BayVBl 2018, 173 Rn. 12 m.w.N.; …).“

  1. Von einer früheren, für die kleineren Fraktionen günstigeren Praxis der Sitzvergabe darf die Ratsmehrheit auch aus eigennützigen Motiven abrücken

„Wie das Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt hat, kann die Mehrheit der (neugewählten) örtlichen Volksvertretung bei der Wahl des Ausschussbesetzungsverfahrens auch von früheren Präferenzen abweichen und sich für ein anderes als das bisherige Verfahren entscheiden. Dass der Stadtrat der Beklagten seit der Wahlperiode 1984-1990 das Sitzzuteilungsverfahren Hare-/Niemeyer angewandt hat, steht daher der Wahl des d’Hondtschen Verfahrens für die laufende Wahlperiode nicht entgegen; eine Bindung an die in früheren Geschäftsordnungen festgelegte bisherige Praxis besteht nicht (BayVGH, Beschluss vom 12.10.2010 – 4 ZB 10.1246 – BayVBl 2011, 269; Beschluss vom 15.12.2020, a.a.O., Rn. 23). Da die Geschäftsordnungen, in denen Detailregelungen zu den Ausschüssen festgelegt sind, nicht über das Ende der jeweiligen Wahlzeit hinaus fortgelten (sog. Diskontinuität der Geschäftsordnung, vgl. BayVGH, Beschluss vom 10.12.2020 – 4 CE 20.2271 – BayVBl 2021, 273 Rn. 20 m.w.N.;…), kann sich selbst aus einer (wie hier) jahrzehntelang einvernehmlich fortgeführten Verwaltungspraxis kein die aktuelle Volksvertretung bindendes Gewohnheitsrecht ergeben, zumal die frühere Handhabung auf den damals geltenden Geschäftsordnungen und nicht auf der Anwendung einer ungeschriebenen Rechtsregel beruhte.

Welche Beweggründe für die Wahl eines bestimmten Verteilungsverfahrens aus Sicht der Gemeinde- bzw. Stadtratsmehrheit maßgeblich gewesen sind, ist grundsätzlich unerheblich, da das Gesetz insoweit keine besonderen Anforderungen stellt. Zulässig sind daher nicht nur gemeinwohlbezogene Erwägungen wie etwa das Bestreben, eine im Plenum bestehende Mehrheit in den Ausschüssen abzubilden oder möglichst vielen Parteien und Wählergruppen die Mitarbeit in den Ausschüssen zu ermöglichen. Als legitim sind auch eigennützige Gründe anzusehen wie z.B. die Wahl desjenigen Verfahrens, das der eigenen Fraktion oder (kommunal-)politisch nahestehenden Gruppierungen eine größere Zahl an Ausschusssitzen einbringt (vgl. BayVGH, Beschluss vom15.12.2020, a.a.O., Rn. 22).Als rechtsmissbräuchlich und damit als Verstoß gegen das rechtsstaatliche Willkürverbot (Art. 20 Abs. 3 GG) kann die Wahl eines bestimmten Verfahrens zur Ausschussbesetzung erst dann beanstandet werden, wenn sich diese Entscheidung nach den Umständen gezielt gegen eine bestimmte politische Gruppierung richtet und das alleinige oder vorrangige Ziel verfolgt, deren Tätigkeit zu beeinträchtigen oder sie als unerwünschte politische Kraft auszuschalten (BayVGH, a.a.O., Rn. 26; Beschluss vom7.8.2020 – 4CE 20.1442 – BayVBl 2020, 743 Rn. 23 m.w.N.). Dass es sich hier um einen solchen Extremfall handeln könnte, ist aber nicht ersichtlich und wird auch von der Klägerin nicht behauptet; sie beanstandet vielmehr lediglich, dass die Mehrheitsfraktionen bewusst die aus deren Sicht günstigste Lösung gewählt hätten. Selbst wenn dies – entgegen dem Vortrag der Beklagten in der Klageerwiderung – das nachweislich einzige Motiv für die Wahl des d’Hondtschen Verfahrens gewesen sein sollte, ergäbe sich daraus für die Klägerin noch kein Anspruch auf erneute Entscheidung über die Ausschussbesetzung.“

  1. Das verfassungsrechtliche Spiegelbildlichkeitsprinzip gilt nicht für die mit Gemeindevertretern besetzten Organe der kommunalen Unternehmen

„Die vorstehenden Erwägungen gelten ebenso für die Benennung und Entsendung von Stadtratsmitgliedern in die Aufsichtsräte der städtischen Beteiligungsunternehmen. Insoweit ist der Spielraum des Plenums bei der Festlegung des Besetzungsverfahrens sogar noch erheblich weiter als im Falle der Ausschussbesetzung, da das in Art. 33 Abs. 1 Satz 2 GO normierte Spiegelbildlichkeitsgebot auf die Organe der gemäß Art. 92 GO in Privatrechtsform geführten Unternehmen weder unmittelbar noch analog anwendbar ist (vgl. BayVGH, Urteil vom 2.8.1962 – 105 IV 61 – VGH n.F. 15, 82/88; Urteil vom 2.2.2000 – 4 B 99.1377 – VGH n.F. 45/47 f.; Urteil vom 8.3.2001 – 4 B 98.2073 – VGH n.F. 54, 46/47 f.; …; Lohner/ Zieglmeier, BayVBl 2007, 581/584).

Die Aufsichtsräte der genannten Unternehmen bestehen nicht ausschließlich aus Mitgliedern des Stadtrats der Beklagten, sondern auch aus sonstigen Mitgliedern. Als Organe einer selbständigen juristischen Person (§ 13 GmbHG) haben die Aufsichtsräte ihre Rechtsgrundlage nicht in der Geschäftsordnung des Gemeinde- bzw. Stadtrats, sondern in den Vorschriften des GmbH-Gesetzes und im jeweiligen Gesellschaftsvertrag. Aufgrund dieser von der örtlichen Volksvertretung unabhängigen Rechtsstellung können die Vorschriften über die Zusammensetzung der Ausschüsse, die ein verkleinertes Abbild des Plenums darstellen sollen, weder auf die Aufsichtsräte der Beteiligungsunternehmen in ihrer Gesamtheit noch auf die Gruppe der dorthin von der Kommune entsandten Vertreter übertragen werden. Der aus dem Repräsentationsgedanken des Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG folgende Spiegelbildlichkeitsgrundsatz gilt nicht für sämtliche kommunalen Gremien und Verwaltungseinheiten, sondern nur für die aus der Gemeindevertretung abgeleiteten Teil- und Hilfsorgane, die an der Erfüllung der dem Plenum zugewiesenen Aufgaben als Vertretung des Gemeindevolks mitwirken …

Entschließt sich eine Gemeinde in Ausübung ihres Organisationsermessens, in die Aufsichtsräte der Kommunalunternehmen als ihre Vertreter nicht (nur) eigene Bedienstete oder fachkundige Dritte (dazu Lohner/Zieglmeier, a.a.O., 582 f.), sondern (auch) gewählte Ratsmitglieder zu entsenden, so üben diese insoweit nicht ihr freies Mandat als Mitglied der örtlichen Volksvertretung aus. Sie sollen in dieser Funktion nicht die im Rat vorhandene Pluralität der Meinungen widerspiegeln (vgl. OVG SH, Urteil vom 6.12.2017 – 3 LB 11/17 – juris Rn. 55), sondern dafür sorgen, dass ,die Gemeinde‘ im Sinne von Art. 92 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 GO als beteiligte Gebietskörperschaft einen angemessenen Einfluss auf die Unternehmensführung ausüben kann. Wegen des bei der Erfüllung von Verwaltungsaufgaben in Privatrechtsform ebenfalls notwendigen demokratischen Legitimationszusammenhangs (Art. 20 Abs. 2, Art. 28 Abs. 1 GG) sind auch die in die Aufsichtsräte entsandten Mandatsträger nach Art. 93 Abs. 2 Satz 3 GO – soweit dies mit der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht zum Unternehmen vereinbar ist – an die jeweiligen (Mehrheits-)Beschlüsse des Gemeinderats bzw. im Falle laufender Angelegenheiten (Art. 37 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GO) an die Weisungen des ersten Bürgermeisters gebunden (BVerwG, Urteil vom 31.8.2011 – 8 C 16.10 – BVerwGE 140, 300 Rn. 29; …).“

Entnommen aus der FstBay Heft 14/2023. Rn .157