Um den richterlichen Entschluss, drei in Erziehungsmisstände geratene Kinder an einen Ergänzungspfleger zu geben, durchzusetzen, wurde zur Öffnung der betreffenden Wohnung polizeiliche Hilfe eingesetzt. Gegen diese Maßnahme wurde von den vormals Erziehungsberechtigten vor dem Verwaltungsgericht geklagt.
Sachverhalt
Die Kläger begehren die Feststellung der Rechtswidrigkeit unterstützender polizeilicher Maßnahmen beim Öffnen und Betreten einer Wohnung zur Vollstreckung eines familiengerichtlichen Beschlusses, mit dem das Familiengericht die Herausgabe von drei Kindern der Kläger an einen Ergänzungspfleger angeordnet hatte. Mit Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – wurde den Klägern das Recht zur Aufenthaltsbestimmung, das Recht zur Regelung der ärztlichen Versorgung und das Recht zur Beantragung von Jugendhilfemaßnahmen nach §§ 27 ff. SGB VIII für drei ihrer Kinder vorläufig entzogen. Soweit den Klägern diese Rechte entzogen wurden, wurden die Ergänzungspflegschaft und die Herausgabe der Kinder an den Ergänzungspfleger angeordnet.
Zur Vollstreckung der Herausgabe der Kinder an den Ergänzungspfleger wurde vorsorglich unmittelbarer Zwang, „ausgeführt durch das Jugendamt oder den Ergänzungspfleger unter Zuhilfenahme der Polizei“, angeordnet. In den Beschlussgründen knüpfte das Amtsgericht die „Inobhutnahme“ (sic) der Kinder ausdrücklich an die Bedingung der Feststellung das Kindeswohl gefährdender Umstände. Eine Wohnungsdurchsuchung wurde weder im Beschlusstenor angeordnet noch in den Beschlussgründen ausdrücklich thematisiert. Zur Durchsetzung des Beschlusses des Amtsgerichts begaben sich Mitarbeiter des Kreisjugendamtes, der bestellte Ergänzungspfleger und Polizeivollzugsbeamte zur Wohnung der Kläger.
Nachdem es außerhalb der Wohnung zu verbalen Auseinandersetzungen mit den Klägern gekommen war, wurden beide Kläger jeweils getrennt voneinander in Gewahrsam genommen und zu einer Polizeidienststelle gebracht. Im Anschluss öffneten Polizeibeamte auf Bitten der Mitarbeiter des Jugendamtes die Haustüre mithilfe eines herbeigerufenen Schlüsseldienstes. Nach der Öffnung der Tür betraten die Polizeibeamten den Eingangsbereich der Wohnung, während die Mitarbeiter des Jugendamtes in der gesamten Wohnung nach mindestens einem Kind und Anhaltspunkten für eine konkrete Kindswohlgefährdung suchten. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kläger hatte Erfolg.
BayPAG – Art. 2 Abs. 4, Art. 11 ff., Art. 23 Abs. 1, Art. 24, Art. 67 Abs. 1, Art. 69, Art. 75 ff.
Die polizeiliche Unterstützung einer Wohnungsdurchsuchung durch gerichtliche Zwangsvollstreckungsorgane ist nur dann rechtmäßig, wenn die Wohnungsdurchsuchung von einem Gericht angeordnet oder ausnahmsweise wegen Gefahr im Verzug ohne gerichtliche Entscheidung zulässig ist.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschl. v. 10.10.2022 – 10 B 22.798
Aus den Gründen
Für die Klage ist der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 VwGO und nicht der Rechtsweg zu den Familiengerichten eröffnet. Die Polizei wird durch das Unterstützungsersuchen der gerichtlichen Zwangsvollstreckungsorgane nicht selbst zu einem Organ der Zwangsvollstreckung. Ihre Maßnahmen sind vielmehr grundsätzlich am Maßstab polizeirechtlicher Vorschriften zu prüfen. Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig. Insbesondere können sich die Kläger auf ein hierfür erforderliches (Fortsetzungs-)Feststellungsinteresse im Sinne von § 113 Abs. 1 Satz 4 analog berufen. Das Fortsetzungsfeststellungsinteresse der Kläger ergibt sich daraus, dass die angegriffenen Maßnahmen mit einem tiefgreifenden Grundrechtseingriff, der sich typischerweise kurzfristig erledigt, verbunden waren. Die Klage ist auch begründet.
Die angegriffenen Maßnahmen der Polizei waren im maßgeblichen Zeitpunkt ihrer Erledigung rechtswidrig und verletzten die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO analog). Dabei kann letztlich dahinstehen, ob die polizeilichen Maßnahmen – wie der Beklagte und das Verwaltungsgericht meinen – als Vollzugshilfe auf Art. 2 Abs. 3 PAG i. V. m. Art. 67 Abs. 1 PAG i. V. m. Art. 75 ff. PAG oder als selbständige (Unterstützungs-) Tätigkeit auf Art. 2 Abs. 4 PAG i. V. m. § 87 Abs. 3 Satz 1 FamFG i. V. m. Art. 11 PAG und Art. 75 ff. PAG gestützt werden konnten.
Die streitgegenständlichen Maßnahmen der Polizeibeamten waren rechtswidrig, weil sie eine Wohnungsdurchsuchung unterstützten, die gegen den Richtervorbehalt des Art. 13 Abs. 2 GG verstieß. Der Senat kann dahinstehen lassen, ob Vollzugshilfe zur Durchsetzung gerichtlicher Entscheidungen auf Art. 67 Abs. 1 PAG gestützt werden kann. Nach Art. 67 Abs. 1 PAG leistet die Polizei anderen Behörden auf Ersuchen Vollzugshilfe, wenn unmittelbarer Zwang anzuwenden ist, die anderen Behörden nicht über die hierzu erforderlichen Dienstkräfte verfügen und ihre Maßnahme nicht auf andere Weise selbst durchsetzen können. Bereits aus dem Wortlaut der Norm, der ein Ersuchen einer anderen „Behörde“ voraussetzt, weshalb die Norm regelmäßig als Rechtsgrundlage zur Durchsetzung eines Verwaltungsaktes einer anderen Behörde durch die Polizei unter Anwendung unmittelbaren Zwangs verstanden wird, ergeben sich erhebliche Zweifel daran, dass Art. 67 Abs. 1 PAG für Fälle der Durchsetzung gerichtlicher Entscheidungen einschlägig ist.
Art. 67 Abs. 1 PAG knüpft nämlich an den funktionalen Behördenbegriff in Art. 1 Abs. 2 BayVwVfG bzw. § 1 Abs. 4 VwVfG an. Auch systematische Erwägungen, insbesondere der Vergleich von Art. 67 Abs. 1 und Abs. 2 PAG sprechen dafür, dass Art. 67 Abs. 1 PAG nicht Vollzugshilfe für Gerichte umfasst. Wären Gerichte bereits von Art. 67 Abs. 1 PAG erfasst und die Vollzugshilfe für Gerichte damit lediglich ein Unterfall der allgemeinen Vollzugshilfe, wäre Art. 67 Abs. 2 PAG, der bestimmte Formen der Vollzughilfe für Gerichte nennt, überflüssig.
Die Judikative unterfällt dem Behördenbegriff des Art. 67 Abs. 1 PAG daher wohl nur, wenn und soweit sie materielle Verwaltungsaufgaben wahrnimmt. Daran dürfte auch die vom Beklagten angestellte Erwägung, in Konstellationen wie der vorliegenden unterstütze die Polizei unmittelbar nur die vom Gericht mit der Vollstreckung beauftragten Vollstreckungsorgane, nichts ändern. Denn Vollstreckungsorgane der Gerichte, insbesondere Gerichtsvollzieher, dürften, jedenfalls soweit sie gerichtliche Entscheidungen vollstrecken, keine Behörden im Sinne von Art. 1 Abs. 2 BayVwVfG bzw. § 1 Abs. 4 VwVfG, sondern selbständige Organe der Rechtspflege sein. Leisten die Polizeibehörden – wie hier – Unterstützung bei der Vollstreckung familiengerichtlicher Entscheidungen aufgrund eines Unterstützungsersuchens der Vollstreckungsorgane (§ 87 Abs. 3 Satz 1 FamFG in der hier maßgeblichen, bis zum 31.12.2021 gültigen Fassung; vgl. weiter den zum 01.01.2022 in Kraft getretenen § 757a ZPO), spricht daher manches dafür, dass es sich dabei um eine polizeiliche Aufgabe aufgrund einer Aufgabenzuweisung durch andere Rechtsvorschriften (Art. 2 Abs. 4 PAG) handelt, auf die weder die Regelungen über die Vollzugshilfe noch die der Amtshilfe unmittelbar anwendbar sind (vgl. auch Nr. 50.2 VollzBek zu Art. 50 a. F., wo die Unterstützung des Gerichtsvollziehers auf der Grundlage eines Unterstützungsersuchens nach § 758 Abs. 3 ZPO als Fall der „Vollzugshilfe nach besonderen Rechtsvorschriften“ bezeichnet wird; a. A. offenbar Schmidbauer in Steiner/Schmidbauer, PAG/POG, 5. Aufl. 2020, Art. 67 PAG Rn. 31, 70, der die Anwendung unmittelbaren Zwangs zur Unterstützung der Vollstreckungshandlungen des Gerichtsvollziehers als speziellen Fall der Justizhilfe von Art. 67 Abs. 2 PAG einordnet).
Nach diesem Verständnis ergriffe die Polizei selbständig eigene Maßnahmen nach Art. 11 ff. PAG und ggf. Art. 75 ff. PAG, um Vollstreckungsorgane der Gerichte an Leib und Leben zu schützen und die Durchführung ihrer Vollstreckungshandlungen zu ermöglichen (Schmidbauer in Steiner/Schmidbauer, PAG/POG, 5. Aufl. 2020, Art. 67 PAG Rn. 23 für den persönlichen Schutz bei Vollstreckungshandlungen anderer Behörden). Die Reichweite zulässiger polizeilicher Maßnahmen bestimmte sich dann anhand des konkreten Unterstützungsersuchens des gerichtlichen Vollstreckungsorgans.
(…)
Den vollständigen Beitrag lesen Sie im Neuen Polizeiarchiv 7/2023, Lz. 715.