Rechtsprechung Bayern

Bestattungswesen: Übergang der „Verfügungsgewalt“ auf den Friedhofsträger

Das unten vermerkte Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH) vom 3.3.2023 betraf eine gegen einen Friedhofsträger gerichtete Klage auf Herausgabe eines Grabsteins. Die Großmutter des Klägers hatte 1977 auf dem von den beklagten Kirchengemeinden gemeinsam unterhaltenen denkmalgeschützten S.-Friedhof eine Familiengrabstätte mit einem liegenden Grabstein errichtet. Nachdem sie und danach auch die Mutter des Klägers verstorben waren, wurde das Grabnutzungsrecht 1995 auf den Kläger als Alleinerben der Mutter umgeschrieben. Dieser verzichtete auf Anfrage der Friedhofsverwaltung Ende 2014 auf eine mögliche Verlängerung, sodass das Grabnutzungsrecht im Februar 2015 endete. Der Grabstein wurde in der Folgezeit auf dem Friedhof belassen.

Die Friedhofsverwaltung vergab das Nutzungsrecht an der Grabstelle im August 2015 erneut und stellte dem nunmehrigen Inhaber eine Übernahmegebühr für den Grabstein in Rechnung. Nachdem der Kläger bei einem Spaziergang auf dem Friedhof im November 2017 den Grabstein auf dem früheren Grab seiner Mutter mit einer neuen Tafel vorgefunden hatte, verlangte er die Herausgabe des Grabsteins zum Zweck der Weiterveräußerung.

Da die Friedhofsverwaltung dies ablehnte, erhob er gegen den Friedhofsträger in Gestalt der Kirchengemeinden eine entsprechende Klage beim Amtsgericht, die von dort an das Verwaltungsgericht verwiesen wurde. Die gegen dessen klageabweisendes Urteil eingelegte Berufung wies der VGH aus folgenden Gründen zurück:

1. Grabsteine stellen bloße Scheinbestandteile des Friedhofsgrundstücks dar und gehen daher nicht in das Eigentum des Friedhofsträgers über

Zunächst stellt das Gericht die zivilrechtliche Ausgangslage dar:

„Ein Herausgabeanspruch aufgrund des Eigentums an dem Grabstein steht dem Kläger nicht zu. Zwar kann unter den gegebenen Umständen angenommen werden, dass seine Großmutter als ursprüngliche Eigentümerin bei der Errichtung des Familiengrabmals im Jahr 1977 das Eigentumsrecht an dem liegenden Grabstein nicht verloren hat…Der Stein wurde mit der Einbringung in die Grabstätte auf dem S.-Friedhof nicht zu einem wesentlichen Bestandteil des Friedhofsgrundstücks mit der Folge, dass sich nach § 946 BGB das Grundstückseigentum des Friedhofsträgers darauf erstreckt hätte. Die auf dem Grab liegend aufgebrachte Steinplatte war, wie ihre Wiederverwendung durch den jetzigen Grabinhaber erkennen lässt, ersichtlich nicht im Sinne von § 94 Abs. 1 Satz 1 BGB so fest mit dem Boden verbunden, dass sie durch eine Trennung zerstört oder in ihrem Wesen verändert worden wäre (§ 93 BGB) oder dass es dazu eines übermäßigen technischen bzw. finanziellen Aufwands bedurft hätte … Selbst wenn dies aber der Fall gewesen sein sollte, gehörte der Grabstein jedenfalls als sog. Scheinbestandteil nach § 95 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht zu den Bestandteilen des Friedhofsgrundstücks, da er nur in Ausübung eines zeitlich begrenzten Grabnutzungsrechts mit dem Grund und Boden verbunden wurde … Auch der spezielle Umstand, dass die auf dem Grab liegende Steinplatte gestalterisch an das unter Ensembleschutz stehende Erscheinungsbild des S.-Friedhofs angepasst war und damit von Anfang an ebenfalls einer denkmalschutzrechtlichen Bindung unterlag, ließ sie nicht zu einem wesentlichen Grundstücksbestandteil werden, da aus den Vorschriften des Denkmalschutzrechts kein absolutes Veränderungs- oder Trennungsverbot folgt…“

2. Nach Beendigung des Grabnutzungsrechts bleibt der bisherige Inhaber grundsätzlich auch dann Eigentümer des Grabsteins, wenn er diesen ohne weitere Erklärung auf dem Friedhof belässt

Die entsprechenden Einwände des Friedhofsträgers, der von seinem eigenen Eigentumserwerb ausging, greifen aus Sicht des VGH nicht durch:

„Der Kläger hat sein im Erbgang erworbenes Eigentum auch später nicht verloren …Die jahrelange Untätigkeit des Klägers nach Ablauf des Grabnutzungsrechts hat nach den gegebenen Umständen nicht zum Verlust des Eigentums geführt. Eine wirksame Eigentumsübertragung auf den Friedhofsträger scheitert schon am Fehlen der dafür erforderlichen dinglichen Einigung. Zeigt nach der Auflösung eines Grabs der bisherige Inhaber kein Interesse an dem dort verbliebenen Grabstein, kann sein Schweigen allenfalls dann als konkludente Einigungserklärung nach § 929 Satz 2 BGB gedeutet werden, wenn die Friedhofsverwaltung ihn zuvor um entsprechende Äußerung gebeten oder zur Beseitigung aufgefordert hat…; beides war hier unstreitig nicht der Fall. Es fehlte zudem an einer korrespondierenden Willenserklärung des Friedhofsträgers, mit dem dieser das Angebot zum rechtsgeschäftlichen Erwerb des Grabsteins gegenüber dem Kläger angenommen haben könnte.

Auch eine einseitige Aufgabe des Eigentums, durch die der Grabstein herrenlos würde, kann hier nicht ohne weiteres angenommen werden. Der bloße Umstand, dass der Grabnutzungsberechtigte die abgelaufene Ruhezeit kennt und sich nicht um die Räumung der Grabstätte kümmert, stellt noch keine Eigentumsaufgabe dar … Die Dereliktion einer beweglichen Sache setzt nach § 959 BGB voraus, dass der Eigentümer in der Absicht, auf das Eigentum zu verzichten, den Besitz der Sache aufgibt. Zwar ist der bisherige Grabinhaber, dem der auf dem Friedhof verbliebene Grabstein gehört, weiterhin dessen mittelbarer Besitzer, so dass er durch eine Besitzaufgabe auf das Eigentum daran verzichten kann. Die Aufgabe des Besitzwillens muss aber nach außen hin kundgemacht werden. Soll ein bloß mittelbarer Besitz aufgegeben werden, bedarf es daher in der Regel einer gegenüber dem unmittelbaren Besitzer abzugebenden Verzichtserklärung, die das bestehende Besitzmittlungsverhältnis beendet (BGH, Urteil vom 9.3.2017 – IX ZR 177/15 – NJW-RR 2017, 553 Rn. 11; Schermaier in BeckOGK, BGB, Stand 1.12.2022, § 959 Rn. 33 ff. m.w.N.). Das Vorliegen einer solchen Erklärung kann nicht ohne besondere Anhaltspunkte unterstellt werden.“

3. Friedhofsträger können in ihren Satzungen die bestehenden Grabnutzungsrechte nachträglich modifizieren

Für kirchliche Träger gelten insoweit die gleichen Grundsätze wie für kommunale Träger:

„Auch wenn der Kläger somit weiterhin als Eigentümer des Grabsteins anzusehen ist, kann er sich nicht auf einen Herausgabeanspruch aus § 985 BGB oder aus dem früheren Benutzungsverhältnis berufen. Nach den zum Zeitpunkt der Beendigung des Nutzungsrechts geltenden Satzungsbestimmungen ist die Verfügungsbefugnis über den Stein auf den Friedhofsträger übergegangen, so dass diesem mittlerweile ein Recht zum Besitz nach § 986 Abs. 1 Satz 1 BGB zusteht. Die von den Beklagten erlassene Satzung vom 8.10.2012 (Friedhofsatzung) sah in § 19 Abs. 4 vor, dass nach Erlöschen des Grabrechts die Grabberechtigten das Grabmal innerhalb einer Frist von zwei Monaten vollständig zu entfernen hatten (Satz 1). Hierzu bedurfte es eines vorherigen Erlaubnisscheins durch die Friedhofsverwaltung bzw. – im historischen Teil (s. § 10 der Anlage 2 – Grabmalordnung) sowie generell bei liegenden Grabsteinen (Abs. 4a Satz 1) – zusätzlich einer Genehmigung der Stadt … (Satz 2). War das Grabmal nach Fristablauf nicht vom Friedhof entfernt, fiel es entschädigungslos in die Verfügungsgewalt des Friedhofsträgers (Satz 3). Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser letztgenannten Bestimmung lagen bei dem streitgegenständlichen Grabstein unstreitig vor, da er sich zwei Monate nach Beendigung des Nutzungsrechts weiterhin an der bisherigen Stelle auf dem Friedhof befand.

Die Anwendbarkeit des damaligen § 19 Abs. 4 Satz 3 der Friedhofsatzung unterliegt keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Kirchengemeinden als Träger kirchlicher Friedhöfe haben kraft ihrer verfassungsrechtlich gewährleisteten Autonomie (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV) das Recht, ihre Rechtsbeziehungen zu den privaten Nutzern der Einrichtung aufgrund einer kirchenrechtlichen Ermächtigung in Form von Satzungen öffentlich-rechtlich zu regeln (Gaedke/Barthel, a.a.O., Kap. 3 Rn. 42; Hense, WiVerw 2019, 40/44). Grundsätzlich können Friedhofsträger ihre Satzungsbestimmungen auch jederzeit für die Zukunft ändern und damit die bestehenden Grabnutzungsrechte inhaltlich modifizieren (Gaedke/Barthel, a.a.O., Kap. 3 Rn. 51 m.w.N.). Der Umstand, dass bei Errichtung der Familiengrabstätte durch die Großmutter des Klägers im Jahr 1977 noch kein entschädigungsloser Übergang des Verfügungsrechts über zurückgelassene liegende Grabsteine in der Satzung vorgesehen war, steht daher der Wirksamkeit der im Jahr 2015 geltenden Regelung nicht entgegen. Im Übrigen muss bei jeder Verlängerung eines Grabrechts ohnehin die jeweils aktuelle Fassung der Satzung zugrunde gelegt werden.“

[…]

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 3.3.2023 – 4 B 22.819

Den vollständigen Beitrag lesen Sie in der Fundstelle Bayern 17/2023, Rn. 193.