Rechtsprechung Bayern

Verstöße gegen Verfassungstreue führten zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis

© studio v-zwoelf – stock.adobe.com

Einer staatlichen Lehrkraft wurde zur Last gelegt, Merkmale der sogenannten „Reichsbürger und Selbstverwalter“ aufzuweisen sowie an einer versuchten Erpressung beteiligt gewesen zu sein. Gegen sie wurde eine Disziplinarklage auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis eingereicht. Das Verwaltungsgericht München hatte in diesem Fall zu entscheiden.

Dem unten vermerkten rechtskräftigen Urteil des Verwaltungsgerichts München (VG) vom 25.10.2022 lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die 1959 geborene Beklagte ist seit 1991 als Grundschullehrerin beim Freistaat Bayern Beamtin auf Lebenszeit. Mit Ausnahme der im Disziplinarverfahren gegenständlichen Vorwürfe ist die Beklagte strafrechtlich und disziplinarrechtlich bislang nicht vorbelastet.

Am 13.6.2022 hat der Freistaat Bayern als Kläger gegen die Beklagte Disziplinarklage erhoben und in der mündlichen Verhandlung beantragt, die Beklagte aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. Ihr wird zunächst ein rechtskräftiger Strafbefehl wegen versuchter Erpressung zur Last gelegt, mit dem sie zu einer Geldstrafe in Höhe von 40 Tagessätzen zu jeweils 30 € verurteilt wurde. Die Beklagte habe sich außerdem in mehreren Schreiben an den Ersten Bürgermeister des Marktes W. und die geschäftsleitende Beamtin gewandt, um (u.a.) Einwände gegen die Aufstellung eines Mobilfunkmastes vorzubringen. Sie habe in ihren Schreiben eine ganze Reihe von Merkmalen, wie sie in Kreisen der „Reichsbürger und Selbstverwalter“ typischerweise Verwendung finden, verwendet. Sie habe weiter in mehreren Schreiben versucht, Behördenmitarbeiter zu einem bestimmten Handeln anzuweisen bzw. Anordnungen zu treffen. Außerdem lägen mehrere Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse über einen Gesamtbetrag von knapp 15 000 € vor. Die Beklagte hat sich im Klageverfahren nicht geäußert und keinen Antrag gestellt, sie erschien auch in der mündlichen Verhandlung nicht. Das VG hat der Disziplinarklage auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis stattgegeben.

Seinem Urteil entnehmen wir:

1. Beamtenrechtliche Kernpflicht der Verfassungstreue

„Die Beklagte hat durch ihr Verhalten ein einheitliches Dienstvergehen nach § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG begangen. Sie hat dabei nicht nur außerdienstlich gegen ihre Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten nach § 34 Satz 3 BeamtStG verstoßen, sondern auch innerdienstlich gegen ihre Pflicht zur Verfassungstreue bzw. politischen Treuepflicht nach § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG. Diese verlangt, dass Beamtinnen und Beamte sich durch ihr gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten …

In seiner Entscheidung vom 28.7.2021 hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof zur beamtenrechtlichen Kernpflicht der Verfassungstreue ausgeführt:

,Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wird in Art. 18 und Art. 21GGerwähnt und durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts inhaltlich ausgefüllt. Darunter wird eine Ordnung verstanden, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt.

Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition … Die dem Beamten obliegende Verfassungstreuepflicht stellt eine beamtenrechtliche Kernpflicht dar und erfasst deshalb das gesamte Verhalten des Beamten innerhalb und außerhalb seines Dienstes…§ 33Abs. 1 Satz 3 BeamtStG bestimmt, dass der Beamte sich durch sein gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für ihre Erhaltung eintreten muss.

Damit einher geht nicht nur das Verbot einer gegen die Verfassung gerichteten Verhaltensweise, sondern eine Pflicht zum aktiven Handeln. Bekenntnis bedeutet in diesem Zusammenhang eine nach außen erkennbare gefestigte Einstellung, die ein Eintreten für die Erhaltung der demokratischen Grundordnung ermöglicht. Es muss zumindest erwartet werden, dass sich ein Beamter eindeutig von allen Bestrebungen distanziert, die den Staat und seine freiheitliche demokratische Grundordnung angreifen und diffamieren…

Allerdings können Disziplinarmaßnahmen in einem bestehenden Beamtenverhältnis nur dann ergriffen werden, wenn ein konkretes Dienstvergehen vorliegt. Hierfür reicht allein die ,mangelnde Gewähr‘ für ein jederzeitiges Eintreten des Beamten für die freiheitliche demokratische Grundordnung nicht aus; erforderlich ist der Nachweis einer Verletzung dieser Dienstpflicht…Das bloße Haben einer Überzeugung oder die bloße Mitteilung, man habe eine solche, ist für die Annahme einer Verletzung der Treuepflicht grundsätzlich nicht ausreichend; vielmehr bedarf es einer Äußerung der verfassungsfeindlichen Gesinnung durch eine verfassungsfeindliche Handlung … Ein Dienstvergehen besteht erst, wenn der Beamte aus seiner politischen Überzeugung Folgerungen für seine Einstellung gegenüber der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, für die Art der Erfüllung seiner Dienstpflichten, für den Umgang mit seinen Mitarbeitern oder für politische Aktivitäten im Sinne seiner politischen Überzeugung zieht…, die entsprechende politische Überzeugung also bewusst und erkennbar nach außen betätigt.‘ (BayVGH, Urteil vom28.7.2021 – 16aD19.989 – beck-online Rn. 58).“

2. Verstoß gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung

„Dem wird ein Beamter nicht gerecht, wenn er als Anhänger der ,Reichsbürgerbewegung‘ die Geltung des Grundgesetzes und die verfassungsmäßige Struktur der Bundesrepublik Deutschland in Frage stellt (vgl. nur VG Regensburg, Urteil vom 26.11.2018 – RN 10 B DK 17.1988 – n.v. S. 17; VG Trier, Urteil vom 14.8.2018 – 3 K 2486/18.TR – juris Rn. 53 ff.; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 15.3.2018 – 10 L 9/17 – juris Rn. 56 ff.; …).

Nichts Anderes gilt, wenn ein Beamter als Einzelner und ohne Anhänger dieser Bewegung zu sein durch reichsbürgertypische Äußerungen die Geltung des Grundgesetzes und die verfassungsmäßige Struktur der Bundesrepublik Deutschland in Frage stellt und ein entsprechendes Verhalten nach außen bewusst an den Tag legt. Der Kläger hat in der Disziplinarklage ausführlich und in zutreffender Weise dargelegt, dass sich die Beklagte durch das ihr zur Last gelegte Verhalten und der daraus deutlich zu Tage tretenden Zugehörigkeit zur sog. ,Reichsbürgerbewegung‘ gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung betätigt hat. Das Gericht macht sich insoweit die nachfolgend zitierten Ausführungen aus der Disziplinarklage zu eigen:

,Mit ihren … Handlungen, Aussagen und Ausführungen hat sich die Beklagte die Ideologie der ,Reichsbürgerbewegung‘ inhaltlich zu eigen gemacht und unzweifelhaft zum Ausdruck gebracht, dass sie die Grundlagen der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere deren Existenz als souveräner Staat, nicht anerkennt. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu jüngst unter Bezugnahme auf den Verfassungsschutzbericht 2020 des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (S. 115) ausgeführt, ungeachtet der Unterschiede der sehr heterogenen Gruppierung im Detail sei ein gemeinsames Charakteristikum dieses Personenkreises, dass er das Bestehen der Bundesrepublik Deutschland leugnet.

Unter dem Begriff ,Reichsbürger‘ werden demnach Gruppierungen und Einzelpersonen zusammengefasst, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen – unter andere munter Berufung auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht – die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen, den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation absprechen oder sich gar in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend definieren und gegenüber denen deshalb die begründete Besorgnis besteht, dass sie Verstöße gegen die Rechtsordnung begehen. Ihr verbindendes Element ist die fundamentale Ablehnung der Legitimität und Souveränität der Bundesrepublik Deutschland (BVerwG, Urteil vom2.12.20211) – 2A7.21 – juris Rn. 33). Der Verfassungsschutzbericht des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration für das Jahr 2021 geht von einer entsprechenden Beschreibung aus (S. 231). Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz betrachtet die Reichsbürger- und Selbstverwalterszene in Bayern als sicherheitsgefährdende Bestrebung (Verfassungsschutzbericht Bayern 2021 S. 232). Eine Identifizierung der Beklagtenmit der Bundesrepublik ohne innere Distanz, wie es die Treuepflicht erfordert, ist bei der Beklagten nicht (mehr) zu erkennen.“

3. Indizien, die für eine Zugehörigkeit zur Reichsbürgerbewegung sprechen

„Die Beklagte hat sich insbesondere durch folgende Handlungen und Äußerungen als Vertreterin der ,Reichsbürgerbewegung und Selbstverwalter‘ zu erkennen gegeben: Die Beklagte tritt unter einer Absender- und Adressierungskonvention auf, die von ,Reichsbürgern‘ gepflegt wird. Sie bezeichnet sich selbst als ,aus dem Hause‘ bzw. ,aus der Familie‘ W. stammend. Sie setzt Postleitzahlen und Hausnummern in eckige Klammern, um deren Verbindlichkeit damit nicht anzuerkennen. Die Verwendung von Zahlen oder Postleitzahlen in eckigen Klammern soll belegen, dass es sich hier um ,Verwaltungsnummern‘ handelt, welche keinen hoheitlichen, sondern lediglich erklärenden Charakter entfalten. Diese Einstellung hat ihren Ursprung im sog. Weltpostvertrag aus dem Jahr 1874, in dem Kriegsgefangene nach der Haager Landkriegsordnung (HLKO) nach dem Jahr 1907 zu Sonderkonditionen Briefe verschicken durften. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass die formale Existenz der Bundesrepublik Deutschland nicht anerkannt und die Beklagte ,als sich noch im Krieg befindlich‘ gesehen wird.

Die Beklagte stellt ihre eigenen Schreiben mit dem Zusatz ,per Zeugen eingeworfen‘ zu. Der Hinweis ,Alle Rechte vorbehalten‘ ist ebenso wie die Signatur ihres Schreibens mittels eines in roter Tinte ausgeführten Fingerabdrucks Ausdruck reichsbürgerlicher Gepflogenheiten.

Die Beklagte spricht von sich als ,natürlicher Person nach § 1 BGB‘, die zu trennen sei von ihrer ,juristischen Person‘, die ihr seitens des Staates zugeschrieben wurde. In ihrer Eigenschaft als ,natürliche Person‘ bzw. ,Bürgerin‘ und ,menschliches (beseeltes) Wesen‘ wird sie tätig für ihre ,juristische Person‘ und reklamiert staatsbürgerliche Rechte für sich, die ihr als ,juristischer Person‘ staatlicherseits angeblich verwehrt werden. Diesen Umstand bringt sie auch durch das Setzen eines Doppelpunkts vor dem Familiennamen bzw. dessen Wiedergabe in gesperrter Schreibweise zum Ausdruck. Dies stellt ein eindeutiges Indiz für eine auf Naturgesetzen (Geburt) basierende ,Selbstverwaltung‘ dar. In gleicher Weise sieht sie in den Bediensteten der Behörden juristische Personen tätig werden. Sie adressiert deshalb ihre Schreiben an Amtsträger wie den Ersten Bürgermeister mit dem Zusatz ,in der Funktion als‘.

Die Beklagte tritt als deutsche und – in den meisten Fällen – ,bayrische‘ Staatsangehörige auf und bezieht sich dabei auf das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz nach dem Stand von 1913. Mit dieser Bezugnahme negiert sie die rechtliche Existenz der Bundesrepublik Deutschland (vgl. BVerwG, Urteil vom 2.12.2021 – 2 A 7.21 – juris Rn. 35).

Die Beklagte bezeichnet das Finanzamt … als ,Konstrukt‘ und erkennt es damit nicht als staatliche Behörde an. Die Beklagte fordert vom Finanzamt … den Nachweis für die Legitimation staatlichen Tätigwerdens, indem sie die Vorlage einer Gründungsurkunde der Bundesrepublik Deutschland sowie notariell beglaubigter Urkunden für das Bundesland verlangt. Behördlichen und gerichtlichen Schreiben spricht sie die Legitimität ab, solange diese nicht von einem verbeamteten Bediensteten oder Richter eigenhändig unterschrieben sind. Damit stellt die Beklagte deren Tätigwerden und somit eine der Grundlagen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in Frage.

Die Beklagte hat mehrfach versucht, persönlichen Druck auf staatliche oder kommunale Bedienstete auszuüben, indem sie diesen mit persönlicher Haftung gedroht hat. Die Beklagte hat mehrfach versucht, gegenüber Behörden Anordnungen zu treffen. Dadurch zeigt sie ein Verhalten, welches im Zusammenhang mit ,reichsbürgerlichem Verhalten‘ insbesondere bei sogenannten ,Selbstverwaltern‘ anzutreffen ist. Die Beklagte erfüllt staatliche Zahlungsansprüche nicht, was in einer eheblichen Anzahl von Fällen zu Pfändungs- und Überweisungsbeschlüssen und einer ausstehenden Schuldensumme von fast 15 000 Euro geführt hat. Auch dadurch bringt sie in einer für ,Reichsbürger‘ typischen Art ihre Nichtachtung bzw. Nichtanerkennung gegenüber dem Staat zum Ausdruck.

Die Beklagte ist nicht mehr im Besitz gültiger Ausweispapiere. ,Reichsbürger‘ lehnen den Personalausweis ab, weil er in ihren Augen ein Ausdruck dafür ist, sie zum ,Personal‘ der Bundesrepublik Deutschland zu erklären, woraus sich für sie ergibt, dass die Bundesrepublik Deutschland als Firma und nicht als Staat anzusehen ist.“

[…]

Verwaltungsgericht München, Urteil vom 25.10.2022 – M 13L DK 22.3055

Den vollständigen Beitrag lesen Sie in der Fundstelle Bayern 17/2023, Rn. 196.