Rechtsprechung Bayern

Bauplanungsrecht: Dorfgemeinschaftshaus mit privatem Festbetrieb unzulässig

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Im unten vermerkten Urteil vom 26.01.2022 hatte das Verwaltungsgericht Augsburg (VG) über die Klage gegen eine Baugenehmigung für den Neubau eines Dorfgemeinschaftshauses für Veranstaltungen zu befinden. Die Bauaufsichtsbehörde genehmigte das Vorhaben mit Auflagen zum Immissionsschutz, welche unterschiedliche Vorgaben bspw. für „leise“ bzw. „laute“ Veranstaltungen vorsahen. Damit könnten die im Dorfgebiet zulässigen Immissionsrichtwerte eingehalten werden. Auf Nachbarklage hin hat das VG die Baugenehmigung aufgehoben, da das geplante Vorhaben nach der Art der baulichen Nutzung unzulässig und zudem die angegriffene Baugenehmigung nicht hinreichend bestimmt sei. Den gegen das Urteil gestellten Antrag auf Zulassung der Berufung hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) mit ebenfalls unten vermerktem Beschluss vom 21.03.2023 abgelehnt.

Den Entscheidungen des VG und des VGH entnehmen wir:

1. Gebietsunverträglichkeit eines Dorfgemeinschaftshauses mit (privatem) Festbetrieb im Dorfgebiet

Hierzu führt das VG aus:

„Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich vorliegend nach § 30 Abs. 1 BauGB … Der Bebauungsplan setzt für das Vorhabengrundstück … ein ,Dorfgebiet (MD)‘ i. S. d. § 5 BauNVO 1977 fest …

Betriebskonzept fällt nicht unter § 5 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO

Das geplante Vorhaben lässt sich bei wertender Gesamtbetrachtung von seinem Gesamterscheinungsbild und der Variationsbreite der Nutzungen her nicht mehr unter eine der zulässigen Nutzungsarten subsumieren. Insbesondere lassen sich die durch das sehr weit und offen gefasste Betriebskonzept ermöglichten Nutzungen in ihrer Gesamtheit nicht mehr unter den Begriff ,Anlage für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke‘ i. S. d. § 5 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO 1977 einordnen. Die zugelassenen Nutzungsmöglichkeiten weisen – neben kulturell-sozialen Aspekten – nicht mehr nur noch untergeordneten Bezug zu einem Festhallenbetrieb auf … Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind Anlagen für kulturelle Zwecke nur die in § 5 Abs. 2 Nr. 2 a) BauGB definierten Gemeinbedarfsanlagen (BVerwG, Urteil vom 2.2.2012 – 4 C 14.10 – juris Rn. 10 f.).

Der Allgemeinheit dient eine solche Anlage, wenn sie, ohne dass die Merkmale des Gemeingebrauchs erfüllt zu sein brauchen, einem nicht fest bestimmten, wechselnden Teil der Bevölkerung zugänglich ist. Gemeint sind Einrichtungen der Infrastruktur, die der Gesetzgeber dem Oberbegriff der ,Einrichtungen und Anlagen zur Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen des öffentlichen und privaten Bereichs‘ zugeordnet hat. Auf die Rechtsform des Einrichtungsträgers kommt es nicht entscheidend an. Es wird gefordert, dass die baulichen Anlagen und Einrichtungen der Allgemeinheit, d. h. einem nicht fest bestimmten, wechselnden Teil der Bevölkerung dienen, ein öffentlicher Träger vorhanden ist oder mit staatlicher oder gemeindlicher Anerkennung eine öffentliche Aufgabe wahrgenommen wird und die Nutzung privatwirtschaftlichem Bestreben entzogen ist … Die in § 5 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO aufgeführten Anlagenbegriffe (kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche, sportliche Zwecke) werden in den Zulässigkeitskatalogen der Baugebiete zumeist gemeinsam unter einer Nummer zusammengefasst.

In Grenzfällen ist eine eindeutige Zuordnung einer konkreten Anlage zu einem bestimmten Anlagenbegriff nicht erforderlich. Es ist auch denkbar, dass eine konkrete Nutzung mehreren Nutzungsbegriffen zugeordnet werden kann … Ausgehend davon schließt das weit gefächerte Spektrum dieses Anlagentyps zwar grundsätzlich ein Dorfgemeinschaftshaus als dörfliches Begegnungszentrum mit ein, wenn es – wie hier – ohne eine im Vordergrund stehende Gewinnerzielungsabsicht den örtlichen Vereinen und der lokalen dörflichen Gemeinschaft als Veranstaltungs- und Betätigungsort dienen soll (vgl. hierzu OVG NW, Urteil vom 6.9.2011 – 2 A 2249/09 – juris; BayVGH, Beschluss vom 20.12.2010 – 9 CS 10.2514 – juris).

Festhallenbetrieb läge außerhalb der Variationsbreite des zulässigen Nutzungsspektrums

Nicht hierunter fallen hingegen Veranstaltungsräume, die auch einen nicht näher eingegrenzten privaten Festbetrieb ermöglichen. Denn ein solcher (allgemeiner) Festhallenbetrieb, der vergleichbar einem gewerblichen Saalbetrieb einer Gaststätte den Bürgern der Ortschaft für (private) Feierlichkeiten aller Art zur Verfügung steht, liegt außerhalb der Variationsbreite des bauplanungsrechtlich zulässigen Nutzungsspektrums gem. § 5 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO 1977…“

Der VGH führt dazu bestätigend aus:

„Vorliegend hat das VG das Vorhaben in dem durch Bebauungsplan festgesetzten Dorfgebiet als gebietsunverträglich beurteilt, weil es sich in seinem Gesamterscheinungsbild und von seiner Variationsbreite nicht mehr als Anlage für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke im Sinne des § 5Abs. 2 Nr. 8 BauNVO 1977 einordnen lasse. Dabei hat es, anders als die Beigeladene meint, bei seiner Beurteilung der Gebietsverträglichkeit gerade nicht auf die Geeignetheit der in der Baugenehmigung festgesetzten Auflagen abgestellt, sondern vielmehr ausgeführt, dass es nichtmöglich sei, ein typischerweise störendes Vorhaben im Wege von Auflagen gebietsverträglich zu machen (UA S. 11).

Soweit die Beigeladene behauptet, das VG habe unzutreffend die Ansicht vertreten, dass die Qualifizierung als Anlage im Sinne von § 5 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO 1977 nicht auch private Veranstaltungen zulasse und diese Auffassung von dem in Bezug genommenen Urteil des OVG NW (Urteil vom 6.9.2011 – 2 A 2249/ 09 – juris) nicht gedeckt sei, gehen ihre Ausführungen fehl. Denn das Erstgericht hat zur Einordnung als Anlage im Sinne von § 5 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO 1977 die Möglichkeit von privaten Veranstaltungen nicht gänzlich ausgeschlossen, sondern vorliegend als maßgeblich erachtet, dass die zugelassenen Nutzungsmöglichkeiten neben kulturell-sozialen Aspekten nicht mehr nur noch einen untergeordneten Bezug zu einem Festhallenbetrieb aufwiesen …

Aber auch soweit die Beigeladene versucht, einen untergeordneten Bezug der durch die Baugenehmigung zugelassenen privaten Veranstaltungen zu begründen und somit das Vorhaben in seinem Gesamterscheinungsbild als Anlage im Sinne von § 5 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO 1977 einzustufen, dringt sie nicht durch. Das VG hat nachvollziehbar und überzeugend ausgeführt, dass die Variationsbreite der Nutzungen nach dem Betriebskonzept, gerade in Bezug auf die nicht näher eingegrenzten privaten Feierlichkeiten, das charakteristische Nutzungsspektrum des § 5 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO verlassen würde. Nach der Betriebsbeschreibung könnten Veranstaltungen der örtlichen Vereine und Gruppierungen sowie eine Vielzahl verschiedenster privater Veranstaltungen stattfinden. Dazu zählten Geburtstage, Hochzeiten und Ehejubiläen mit ca. 20 Veranstaltungen im Jahr sowie Tauffeiern, Kommunionen, Konfirmationen, Firmungen (4 im Jahr) und eine nicht abschätzbare Anzahl an Beerdigungen.

Betriebskonzept legt Nutzung nicht eindeutig fest

Darüber hinaus käme eine gegenüber regelmäßigen Veranstaltungen untergeordnete Anzahl an als außerordentliche Vereinsveranstaltungen deklarierten Ereignissen hinzu, die der Sache nach aber einen starken Bezug zu privaten Veranstaltungen aufwiesen. In Anbetracht des sehr offen formulierten und weit gefassten Nutzungskonzepts sei diesem nicht zu entnehmen, welche Art von Veranstaltungen bei dieser lediglich beispielhaften Aufzählung konkret zu erwarten sei und in welcher Anzahl. Jedenfalls sei die Anzahl der privaten Veranstaltungen nicht auf seltene und im Einzelnen klar benannte Fälle begrenzt.

Nach alledem werden entgegen der Auffassung der Beigeladenen durch die Betriebsbeschreibung die privaten Veranstaltungen nicht in ihrer Anzahl dergestalt eingeschränkt und konkretisiert, dass von einem untergeordneten Bezug die Rede sein kann. Vielmehr spricht schon die nach der Betriebsbeschreibung nicht unerheblich mögliche Anzahl an privaten Veranstaltungen für einen mit einem gewerblichen Saalbetrieb vergleichbaren Veranstaltungsraum. Daran ändert auch nichts der zum Teil eingeschränkte Benutzerkreis, dem der Veranstaltungsraum zur Verfügung gestellt wird (… Bürger mit Wohnsitz in der Gemeinde und mindestens 5-jähriger Vereinszugehörigkeit), da von diesem noch nicht auf den Charakter der Veranstaltung geschlossen werden kann. Insbesondere vermag diese Einschränkung nicht zwangsläufig einen ,kulturellen/sozialen Bezug‘ im Sinne von § 5 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO 1977 zu schaffen.

Ebenso wenig vermag der Einwand der Beigeladenen zu überzeugen, dass aufgrund der geringen Größe von ca. 60 m² und einer Maximalbelegung von 59 Personen der Veranstaltungsraum gar nicht über die Voraussetzungen für einen allgemeinen Festbetrieb verfüge. Denn es handelt sich hierbei um eine auch in der Gastronomie nicht unübliche Saalgröße. Ferner wendet die Beigeladene ein, dass der größte Teil der Vorhabenflächen der Freiwilligen Feuerwehr und dem Schützenverein vorbehalten sei und lediglich im ersten Obergeschoss private Veranstaltungen stattfinden dürften, so dass sich diese Nutzung nur als Annex darstelle. Hierzu ist anzumerken, dass es hier für die Frage des ,untergeordneten Bezugs‘ zu anderen Nutzungen nicht auf das Verhältnis der Gesamtvorhabenfläche und Veranstaltungsraumfläche ankommt, sondern auf die Qualität und Quantität der inmitten stehenden Nutzung.“

[…]

Verwaltungsgericht Augsburg, Urteil vom 26.1.2022 – Au 4 K 21.618

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 21.3.2023 – 2 ZB 22.639

 

Den vollständigen Beitrag lesen Sie in der Fundstelle Bayern 17/2023, Rn. 196.