Rechtsprechung Bayern

Prägung durch bauliche Nutzung des angrenzenden Bereichs

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Die Gemeinde kann gemäß § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB durch Satzung einzelne Außenbereichsflächen in die im Zusammenhang bebauten Ortsteile einbeziehen, wenn die einbezogenen Flächen durch die bauliche Nutzung des angrenzenden Bereichs entsprechend geprägt sind. Zur Voraussetzung der „Prägung“ fasste der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) im unten vermerkten Urteil vom 16.3.2023 folgenden amtlichen Leitsatz:

Eine „fingerartig“, erheblich in den Außenbereich hinauskragende Fläche ist im Rahmen des § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB regelmäßig nicht durch die bauliche Nutzung des angrenzenden Bereichs entsprechend geprägt.

Dem Urteil des VGH ist zur Begründung Folgendes zu entnehmen:

„Die Einbeziehung von Außenbereichsflächen ist gem. § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB davon abhängig, dass die im Zusammenhang bebauten Ortsteile auch diese im Außenbereich gelegenen Flächen sachlich und räumlich prägen und deshalb auch insoweit eine Plan ersetzende Maßstabsfunktion entfalten können (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26.11.2009 – 4 BN 31.09; BayVGH, Beschluss vom 5.8.2021 – 1 NE 21.1791). Der baulichen Nutzung des angrenzenden Bereichs muss ein Maßstab zu entnehmen sein, der als Grundlage für die Prägung der einbezogenen Fläche herangezogen werden kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19.1.2022 – 4 BN 47.21). Dabei ist die schlichte Ausweisung einer vom bebauten Bereich räumlich abgesetzten Fläche durch Satzung als Baufläche nicht ausreichend. Es muss sich um Bereiche handeln, die zwar noch nicht in den ,Zusammenhang‘ i.S. des § 34 Abs. 1 BauGB gehören, aber nicht so weit von diesem entfernt sind, dass ihre Bebauung eindeutig ,nicht mehr dazugehören kann‘. Greift eine Einbeziehungssatzung demgegenüber nicht nur auf unmittelbar angrenzende Bereiche, sondern in einem größeren Umgriff auf Außenbereichsflächen zurück, ist von einer Prägung durch die bauliche Nutzung des angrenzenden Bereichs allenfalls dann auszugehen, wenn es sachliche Gründe gibt – z.B. topografische Besonderheiten –, die einen solchen großzügigen Anschluss an den im Zusammenhang bebauten Ortsteil als eine geringfügige einleuchtende Fortschreibung der vorhandenen Bebauung erscheinen lassen (vgl. BayVGH, Urteil vom 13.3.2019 – 15 N 17.1194 m.w.N.). Dies ist hier nicht der Fall.

Die einbezogene Teilfläche des Grundstücks FlNr.… grenzt im Süden an die mit Baugenehmigung vom … genehmigte, bestehende Lagerhalle, die ihrerseits an ein Bestandsgebäude im Süden angrenzt und hinsichtlich Zufahrt und Nutzung nach Westen hin ausgerichtet ist. Sie erstreckt sich vom Rand der bestehenden Lagerhalle, die ihrerseits schon zu ca. zwei Drittel in den Außenbereich hineinkragt, weitere ca. 70 m nach Norden. Der Abstand zur Bebauung auf dem Grundstück der Antragstellerin beträgt zwischen ca. 30 m (am Rand der bestehenden Lagerhalle) und über 90 m am nördlichen Geltungsrand der Satzung; zur südwestlich angrenzenden Bebauung auf dem Grundstück FlNr.… beträgt der Abstand zwischen ca. 70 m und deutlich über 120mamnördlichen Rand. Da der Bebauungszusammenhang am Ortsrand regelmäßig – wie auch hier – mit dem letzten Baukörper endet … und sich die der nunmehrigen Erweiterung zugrundeliegende Fläche nördlich der bestehenden Lagerhalle auf eine durch die Satzung Ortsabrundung…festgesetzte private Grünfläche erstreckt und Richtung Norden weit darüber hinaus geht, wird die Fläche nicht mehr durch die bauliche Nutzung auf dem südlichen Teil des Grundstücks FlNr.… sowie dem im Zusammenhang bebauten Ortsteil geprägt.

Eine Prägung durch die östlich und westlich angrenzenden Grundstücksbereiche scheidet schon mangels dortiger Bebauung und deren Lage im Außenbereich aus. Die Fläche wird zudem neben der bisherigen Grünflächenabgrenzung im Süden auf den drei weiteren Seiten vollständig, was insbesondere die vorliegenden Luft- und Lichtbilder zeigen, durch die im Norden und Westen angrenzenden landwirtschaftlich bzw. im Osten durch die Antragstellerin als Pferdekoppel genutzten Außenbereichsflächen geprägt. Diesem ,nasenartigen‘ bzw. ,fingerartigen‘ Hineinschieben der einbezogenen Fläche in den Außenbereich ohne entsprechende topographische Besonderheiten fehlt es hiermit an der entsprechenden Prägung durch eine bauliche Nutzung. Der Ortsrand wird hier vielmehr in städtebaulich nicht mehr vertretbarer Weise in den Außenbereich hinein ausgedehnt, ohne dass diese Fläche entsprechend vom angrenzenden Bereich geprägt wäre.

Zwar genügt für eine Einbeziehung nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB auch eine Prägung minderer Art; gleichwohl ist nur eine maßvolle Erweiterung des Innenbereichs in den Außenbereich hinein zulässig, die nicht wesentlich über eine bloße Abrundung hinausgeht (Rieger in Schrödter, BauGB, 9. Auflage 2019, § 34 Rn. 118). Dem entspricht die angefochtene Satzung nach den obigen Ausführungen nicht. Die Einbeziehungssatzung ist kein Instrument, um den Außenbereich zum nicht überplanten Innenbereich umzuwidmen (vgl. BayVGH, Urteil vom 13.3.2019 – 15 N 17.1194).

Der Mangel führt zur Gesamtnichtigkeit der Satzung. Das Fehlen der Voraussetzungen des § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB ist nicht nach §§ 214, 215 BauGB unbeachtlich. Eine Umdeutung der Rechtsgrundlage der Einbeziehungssatzung in eine Satzung nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 oder 2 BauGB kommt schon mangels Vorliegen derer Tatbestandsvoraussetzungen nicht in Betracht.“

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 16.3.2023 – 15 N 22.2521

Entnommen aus Fundstelle Bayern, 18/2023, Rn. 208.