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Artenschutz: Zulassung einer Tötung von Fischottern

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Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hatte in einem Rechtsstreit zu urteilen, in dem es um die Rechtswidrigkeit einer artenschutzrechtlichen Ausnahmegenehmigung zur Entnahme und Tötung von Fischottern ging. Die Genehmigung wurde einem Jagdberechtigten erteilt. Dagegen wandte sich eine nach § 3 UmwRG anerkannte Umweltvereinigung.

Art. 16 der Richtlinie 92/43/EWG; § 45 BNatSchG (Artenschutz; ausnahmsweise Zulassung einer Tötung von Fischottern; fehlender Nachweis der Geeignetheit)

Amtlicher Leitsatz

Eine Behörde, die ausnahmsweise die Tötung streng geschützter Tiere nach Anhang IV der Richtlinie 92/43/EWG (FFH-Richtlinie) zur Vermeidung fischereiwirtschaftlicher Schäden zulässt, muss im Hinblick auf Art. 16 Abs. 1 FFH-Richtlinie unter anderem die Geeignetheit dieser Maßnahme nachweisen; verbleiben nach den besten verfügbaren wissenschaftlichen Daten Ungewissheiten, muss von der Tötung abgesehen werden (im Anschluss an EuGH, U. v. 14.06.2007, finnische Wolfsjagd – C-342/05 Rn. 25, 42 ff., 47 und U. v. 10.10.2019, Tapiola – C-674/17 Rn. 44, 51, 66 bis 69).

BayVGH, Urteil vom 23.05.2023, 14 B 22.1696 (rechtskräftig)

Zum Sachverhalt

Der Rechtsstreit betrifft die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer zwischenzeitlich durch Zeitablauf erledigten artenschutzrechtlichen Ausnahmegenehmigung zur Entnahme und Tötung von bis zu zwei männlichen Fischottern, die der Beklagte dem Beigeladenen, einem Jagdberechtigten, erteilt hat, und gegen die sich der Kläger – eine nach § 3 UmwRG anerkannte Umweltvereinigung – wendet.

Der Bayerische Landtag forderte mit Beschluss vom 18. April 2018 (LT-Drs. 17/21770) die Staatsregierung auf, den sogenannten Fischotter-Managementplan dem Stand der aktuellen Entwicklung anzupassen und ihn in besonderen Fällen, in denen an Erwerbsteichanlagen keine Präventions- und Abwehrmaßnahmen umgesetzt werden könnten, um die Entnahme als vierte Stufe zu ergänzen; ursprüngliche Säulen sind Beratung, Prävention (insbesondere Zaunbau) und Entschädigung.

Artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung zur Entnahme von maximal zwei männlichen Fischottern

Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 16. März 2020 erteilte die Regierung der Oberpfalz dem Beigeladenen gemäß § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG die artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung zur Entnahme von maximal zwei männlichen Fischottern an im Bescheid näher beschriebenen fischereiwirtschaftlich genutzten Teichanlagen, dem sogenannten Entnahmegebiet (Nr. 1 und 5 der Bescheidtenorierung), und zwar durch Fallenfang in Form von Lebendfang mit anschließender Tötung der männlichen Tiere (Nr. 2 Satz 1 der Bescheidtenorierung); gefangene weibliche Tiere oder Tiere, bei denen eine eindeutige Geschlechtsbestimmung nicht möglich ist, waren unverzüglich an Ort und Stelle aus der Falle zu entlassen (Nr. 2 Satz 2 der Bescheidtenorierung).

Alternativ wurde eine unentgeltliche Abgabe männlicher Exemplare an einen Zoo oder eine ähnliche Einrichtung gestattet (Nr. 2 Satz 3, 4 der Bescheidtenorierung). Neben einigen zusätzlichen Nebenbestimmungen (Nr. 6, 7, 9 der Bescheidtenorierung) wurde die Genehmigung befristet bis zum 31. Dezember 2020 (Nr. 4 der Bescheidtenorierung). Die Entnahme wurde ausschließlich dem Beigeladenen persönlich gestattet, und zwar nur sofern er zur Jagdausübung im Entnahmegebiet berechtigt ist (Nr. 2 Satz 1 der Bescheidtenorierung); parallel wurde eine hier nicht streitgegenständliche jagdrechtliche Schonzeitaufhebung gesondert verfügt (vgl. dazu Nr. 3 der Bescheidtenorierung).

Steigender Fischotterbestand als Grundlage der Begründung

Der Bescheid vom 16. März 2020 enthält eine umfangreiche Begründung und schließt mehrere Anlagen ein, nämlich ein Luftbild, einen so genannten Mustersteckbrief zum konkreten Entnahmegebiet, Formblätter zur „Besonderen Schulung des Adressaten“, eine „Unterlage zur artenschutzrechtlichen Beurteilung“ (nachfolgend: Anlage Artenschutz) und eine „Verträglichkeitsabschätzung der FFH-Verträglichkeit“ (nachfolgend: Anlage FFH-Verträglichkeit); Letztere befasst sich mit der Frage, inwieweit die für das Entnahmegebiet, das selbst nicht in einem FFH-Gebiet liegt, zugelassenen Ausnahmen auch Fischotter aus nahegelegenen FFH-Schutzgebieten betreffen und sich dadurch auf die in diesen FFH-Schutzgebieten zugunsten von Fischottern geltenden Schutzziele auswirken können.

Die – durch die Anlagen ergänzte – Begründung des Bescheids selbst hielt unter I. (zum Sachverhalt) einen seit Jahren vor allem in Ostbayern stetig zunehmenden Fischotterbestand sowie dadurch verursachte steigende Fraßschäden am Fischbestand der oberpfälzischen Teichwirtschaft fest und sah dadurch die besondere Teichkultur in der Oberpfalz gefährdet. Dabei ging der Bescheid für das Entnahmegebiet davon aus, dass sich dort Fischotter dauerhaft angesiedelt hätten, durch deren Fressverhalten bereits erhebliche Mengen des vorhandenen Fischbestands vernichtet worden seien.

Pilotprojekt wurde nicht verlängert

Der Bescheid war dabei Teil eines „Pilotprojekts“ – mit ihm und zwei weiteren Bescheiden, die andere oberpfälzische Teichanlagen in anderen Landkreisen betrafen, sollten die rechtlichen Möglichkeiten ausgelotet werden, bevor der besagte Fischotter-Managementplan bayernweit um die Entnahme als vierte Stufe ergänzt wird (vgl. Anlage FFH-Verträglichkeit, Präambel, S. 6 letzter Absatz). Die naturschutzrechtliche Prüfung beschreibt zunächst das Vorliegen eines erheblichen wirtschaftlichen Schadens mit Schadensprognose, befasst sich im Gefolge mit der Wirksamkeit der Entnahme und der Frage zumutbarer Alternativen, nimmt dabei keine Verschlechterung des Erhaltungszustands der Population an und begründet sodann die Ermessensentscheidung für die Entnahme. Mit der Frage des Betroffenseins nahe gelegener FFH-Schutzgebiete, falls aus solchen FFH-Schutzgebieten stammende Fischotter im Entnahmegebiet entnommen werden sollten, befasst sich die Bescheidbegründung in einer Verträglichkeitsabschätzung nach § 34 BNatSchG.

Der Bescheid wurde dem Kläger am 20. März 2020 zugestellt; dessen dagegen gerichtete Anfechtungsklage ging am 20. April 2020 beim Verwaltungsgericht Regensburg ein. Mit Änderungsbescheid vom 17. Dezember 2020 wurde die Befristung des Bescheids bis zum 31. Dezember 2021 verlängert. Dabei wurden sowohl zur Begründung des Bescheids selbst als auch zu den Anlagen Artenschutz und FFH-Verträglichkeit zwischenzeitlich gewonnene Daten nachgetragen, die insbesondere die Schadensentwicklung, ein Kameramonitoring der Fischotter sowie vom Verkehr verursachte Fallwildzahlen betrafen. Hinsichtlich der Wirksamkeit der Entnahme und der Frage zumutbarer Alternativen wurde dabei mangels Änderungen auf die ursprünglichen Ausführungen verwiesen.

Im Gefolge bezog der Kläger den Änderungsbescheid in seine Klage ein. Das Verwaltungsgericht Regensburg hob den (geänderten) Bescheid mit Urteil vom 24. August 2021 vollumfänglich auf. Auf Antrag des Beklagten hat der Senat mit Beschluss vom 29. Juli 2022 die Berufung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zugelassen.

Im Berufungsverfahren begehrt der Kläger die Feststellung der Rechtswidrigkeit des (geänderten) Bescheids, nachdem der Beklagte den zuletzt bis zum 31. Dezember 2021 befristeten Bescheid für die Zeit ab dem 1. Januar 2022 nicht weiter verlängert hatte.

[…]

 

Den vollständigen Beitrag entnehmen Sie den Bayerischen Verwaltungsblättern 17/2023, S. 601.