Das Finanzgericht Nürnberg hat in seinem unten vermerkten Beschluss vom 8.8.2023 in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Bayerischen Grundsteuergesetzes vom 10.12.2021 feststellen können. Der Eilantrag gegen die Vollziehung von Bescheiden über Grundsteueräquivalenzbeträge sowie den Grundsteuermessbetrag blieb somit ohne Erfolg.
Den Gründen der Entscheidung ist auszugsweise zu entnehmen:
„Gemäß § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 FGO ist die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes auf Antrag auszusetzen (AdV), soweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
a) Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen dann vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheids neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken.
Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im AdV-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt. Zur Gewährung der AdV ist es nicht erforderlich, dass die für die Rechtswidrigkeit sprechenden Gründe im Sinne einer Erfolgswahrscheinlichkeit überwiegen (st. Rspr., z.B. BFH-Beschlüsse vom 27.1.2016 V B 87/15, BFH/NV 2016, 716; vom 3.9.2018 VIII B 15/18, BFH/NV 2018, 1279; jeweils m.w.N.).
Ernstliche Zweifel können auch verfassungsrechtliche Zweifel an der Gültigkeit einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Norm sein (st. Rspr., vgl. BFH-Beschlüsse vom 25.4.2018 IX B 21/18, BStBl II 2018, 415; vom 4.7.2019 VIII B 128/18, BFH/NV 2019, 1060; vom 18.1.2023 II B 53/22 (AdV), BFH/NV 2023, 382; vom 9.3.2023 VI B 31/22 (AdV), BFH/PR 2023, 574).
b) Der Senat hat bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen des Bayerischen Grundsteuergesetzes vom 10.12.2021.
Das BayGrStG regelt die Ermittlung der Bemessungsgrundlage für die Grundsteuer der in Bayern belegenen Grundstücke als wirtschaftliche Einheiten des Grundvermögens (Grundsteuer B). Dem Grundsteuermessbetrag nach dem BayGrStG liegen keine Grundsteuerwerte zugrunde, sondern sogenannte Äquivalenzbeträge.
Diese werden durch Multiplikation der Gebäudeflächen sowie der Flächen des Grund und Bodens mit der jeweiligen Äquivalenzzahl nach Art. 3 BayGrStG ermittelt und sind wertunabhängig. Für Betriebe der Land- und Fortwirtschaft gelten grundsätzlich die (wertabhängig ausgestalteten) Regelungen des BewG und des GrStG; davon abweichende Sonderregelungen sind in Art. 9 BayGrStG enthalten. Die erste Feststellung der Äquivalenzbeträge für die in Bayern belegenen wirtschaftlichen Einheiten erfolgt allgemein auf den 1.1.2022 (Hauptfeststellung, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayGrStG). Die Grundsteuermessbeträge werden ab dem 1.1.2025 allgemein festgesetzt (Hauptveranlagung, Art. 7 Abs. 1 Satz 1 BayGrStG).
Dem Gesetzgeber steht bei der im Jahr 2018 vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) angemahnten Neuregelung der Grundsteuer ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Er hat bei der Wahl der Bemessungsgrundlage und bei der Ausgestaltung der Bewertungsregeln einer Steuer einen großen Spielraum, solange sie geeignet sind, den Belastungsgrund der Steuer zu erfassen und dabei die Relation der Wirtschaftsgüter zueinander realitätsgerecht abzubilden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.4.2018 1 BvL 11/14, 1 BvL 12/14, 1 BvL 1/15, 1 BvR 639/11, 1 BvR 889/121), BGBl I 2018, 531, Leitsatz 1).
Dieser Gestaltungsspielraum beinhaltet auch eine Typisierungskompetenz. Bei der Wahl des geeigneten Maßstabs darf sich der Gesetzgeber nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10.4.2018 auch von Praktikabilitätserwägungen leiten lassen, die je nach Zahl der zu erfassenden Bewertungsvorgänge an Bedeutung gewinnen und so auch in größerem Umfang Typisierungen und Pauschalierungen rechtfertigen können, dabei aber deren verfassungsrechtliche Grenzen wahren müssen. Jedenfalls muss das so gewählte und ausgestaltete Bemessungssystem, um eine lastengleiche Besteuerung zu gewährleisten, in der Gesamtsicht eine in der Relation realitäts- und damit gleichheitsgerechte Bemessung des steuerlichen Belastungsgrundes sicherstellen (vgl. BVerfG, Urteil vom 10.4.2018 1 BvL 11/14, 1 BvL 12/14, 1 BvL 1/15, 1 BvR 639/11, 1 BvR 889/ 12, BGBl I 2018, 531, Rn. 98, 168).
In seinem Urteil vom 10.4.2018 hat das BVerfG keine Festlegung zugunsten eines bestimmten Reformmodells getroffen und auch die Frage, ob es sich bei der Neuregelung um eine wertabhängige Bewertungsmethode handeln muss, offengelassen (vgl. Sklareck in: Stenger/Loose, Bewertungsrecht – BewG/ ErbStG/ GrStG, 165. EL 6/2023, Landesgrundsteuergesetz Bayern, II. Rechtsentwicklung, Rn. 12).
c) Das BayGrStG hat den Vorteil des leichteren Vollzugs und vermeidet u.a. die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Berücksichtigung der Bodenrichtwerte (vgl. dazu Kirchhof, DB 2023, 1116, 1118 f.; a.A. Richter/Wagner, DB 2023, 1254, aber: ,Offenbar ist es ein politische, keine rechtliche Frage, ob bei der Bemessung der GrSt Bodenrichtwerte oder Flächen verwendet werden oder nicht‘).
Nachteil des reinen Äquivalenzmodells ist u.a., dass es sich um eine sehr pauschale Bewertungssystematik handelt und der tatsächliche Marktwert von Grundstücken unberücksichtigt bleibt (vgl. z.B. Schmidt, DStR 2020, 249 sowie die anhängige Popularklage der Partei Die Linke, https://www.die-linkebayern.de/fileadmin/user_upload/PopularklageGr…22.pdf: u.a. Verstoß gegen das Prinzip der Leistungsfähigkeit, den Gleichbehandlungsgrundsatz, die Nutzbarmachung von Steigerungen des Bodenwertes nach Art. 161 BV und die Eigentumsgarantie; a.A. Kirchhof, DStR 2020, 1073 und DB 2023, 1116; Literaturübersicht bei Eisele in Rössler/Troll, BewG, 35. EL 9/2022, Art. 1 BayGrStG).
Bei der im AdV-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung ist das System der Ermittlung der Grundsteuer auf der Grundlage eines reinen Flächenmodells, wie es das Bayerische Grundsteuergesetz vom 10.12.2021 vorsieht, vor dem Hintergrund des erheblichen Bewertungsspielraums des Gesetzgebers nicht zu beanstanden. Insbesondere eine Verletzung von Art. 123 Abs. 1 BV (Leistungsfähigkeitsprinzip) ist nicht offenkundig. Diese Verfassungsnorm bezieht sich nach der bisherigen Rechtsprechung des BayVerfGH nur auf Personalsteuern, die es gestatten, persönliche Verhältnisse zu berücksichtigen, nicht dagegen auf solche Landessteuern, die – ihrer Natur nach – nach objektiven Merkmalen bemessen werden (vgl. BayVerfGH, Entscheidungen vom 4.4.1950 Vf. 157-VII-49, juris; vom 6.3.1981 Vf. 8-VII-79, BB 1981, 1079; Drüen in Stenger/Loose, Bewertungsrecht – BewG/ErbStG/GrStG, 165. EL 6/2023, Landesgrundsteuergesetze, 2. Landesverfassungsrechtliche Vorgaben, Rn. 14).
Darüber hinaus besteht im Einzelfall die Möglichkeit, Ansprüche aus dem Grundsteuerschuldverhältnis zu erlassen, soweit nach dem durch das BayGrStG vorgeschriebenen Systemwechsel nach Lage des einzelnen Falles eine unangemessen hohe Steuerbelastung eintritt, Art. 8 BayGrStG.
Es bestehen mithin keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des BayGrStG vom 10.12.2021.“
Finanzgericht Nürnberg, Beschluss vom 8.8.2023 – 8 V 300/23
Beitrag entnommen aus Die Gemeidekasse Bayern 15/2024, Rn. 125.