Nach einem Jahr Tätigkeit, elf Arbeitssitzungen und mehreren Außenterminen hat die vom Landtag eingesetzte Enquete-Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Bayern“ ihren Zwischenbericht vorgelegt. Der Vorsitzende Berthold Rüth (CSU) betonte dabei, dass es die Hauptaufgabe des Gremiums sei, die unterschiedlichen Entwicklungstendenzen in städtischen und ländlichen Räumen aufzunehmen und Lösungsansätze für „gleiche Chancen für alle“ aufzuzeigen.
Dank zahlreicher Initiativen der Staatsregierung sei es bereits gelungen, die wirtschaftlichen Differenzen innerhalb Bayerns zu minimieren. Rüth nannte Veränderungen beim kommunalen Finanzausgleich, den Breitbandausbau und Behördenverlagerungen. Bis zur Vorlage des Abschlussberichts 2017 werde sich die Kommission mit den Rahmenbedingungen zur Schaffung neuer Arbeitsplätze im ländlichen Raum, dem Erhalt und dem Ausbau der Bildungs- und Wissenschaftsstruktur sowie der Verbesserung von Infrastruktur und Mobilität widmen. Ergänzend zur bisherigen Aufgabenstellung werde man das Thema Flüchtlinge und die Vorstellungen der Jugendverbände mit in die Arbeit einbeziehen, kündigte Rüth an.
Ein kritischeres Bild der Entwicklung sowie der Kommissionsarbeit zeichnete die Opposition. Sie drängte auf konkrete Ergebnisse zur Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse. Bislang stehe „das Unverbindliche zu sehr im Vordergrund“, erklärte Rüths Stellvertreter Christoph Rabenstein (SPD). Bei vielen Parametern gehe die Schere zwischen den Ballungsräumen und den ländlichen Regionen immer weiter auseinander.
Deshalb müssen wir verdammt nochmal viel tun, um die gleichwertigen Lebensverhältnisse zu erreichen“, sagte Rabenstein.
Jeder Bürger müsse die Möglichkeit haben, in seiner Heimatregion ein attraktives Lebensumfeld mit einem auskömmlichen Verdienst zu haben. Sei dies nicht der Fall, drohe die Abwanderung in Ballungszentren. Dies führe auf der einen Seite zur „Entvölkerung“ ganzer Landstriche und auf der anderen zu wachsendem Siedlungsdruck in den Metropolen. Als Beispiel nannte Rabenstein die zahlreichen Schulschließungen auf dem Land, während die Stadt München in den nächsten Jahren für neun Milliarden Euro neue Schulen bauen müsse.
Das macht keinen Sinn, Bayern muss wieder ins Gleichgewicht kommen“, so Rabenstein.
Auch Alexander Muthmann (FREIE WÄHLER) vermisste in der bisherigen Kommissionsarbeit „handfeste Ergebnisse“. Statt für die Bürger wichtige Fragen zu beantworten, ergehe sich das Gremium oft im fachlichen Kleinklein. Nötig wären klare Antworten zur Reform des Zentrale-Orte-Systems, zur angemessenen Finanzausstattung der Regionen und zu den Kompetenzen und Pflichten der Kommunen. Muthmann kritisierte die Vertreter des Heimatministeriums in der Kommission. Statt konstruktiv mitzuwirken, nähmen diese überwiegend die Rolle von Beobachtern ein.
Ich habe den Eindruck, sie fürchten eine Einmischung des Landtags in ihr exekutives Handeln“, meinte Muthmann.
Markus Ganserer (Bündnis 90/Die Grünen) warnte vor einem Riss in der Gesellschaft.
Wir brauchen einen Masterplan zum Ausgleich der regionalen Unterschiede“, forderte er.
Einzelne Regionen würden immer reicher, während andere zunehmend von der Entwicklung abgehängt würden. Dies hätten die zugezogenen Experten anhand statistischer Daten dargelegt. Gelöst werden müsse laut Ganserer vor allem das Problem der Finanzschwäche vieler Kommunen auf dem Land, weil diese langfristig zu einem Attraktivitätsverlust führe. Viele ländliche Gemeinden könnten sich freiwillige Leistungen wie Schwimmbäder oder Kulturveranstaltungen schlicht nicht mehr leisten.
Heimatminister Markus Söder erklärte, er setze alles daran, den ländlichen Raum zu stärken. Neben der Flüchtlingsfrage sei die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse das „aktuell wichtigste Thema der Landespolitik“. Seit Gründung des Heimatministeriums 2013 habe er bereits zahlreiche Initiativen auf den Weg gebracht. Für „gute Vorschläge“ seitens der Kommission sei er jederzeit offen.
Bayerischer Landtag, Aktuelles – Sitzungen – Aus dem Plenum v. 24.11.2015 (von Jürgen Umlauft)
Redaktionelle Hinweise
Zu weiteren Meldungen im Kontext Enquete-Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Bayern“ vgl. hier.
Die Förderung gleichwertiger (nicht: gleichartiger) Lebensverhältnisse und Arbeitsbedingungen in ganz Bayern wurde 2013 als neues Staatsziel in die Verfassung aufgenommen (Art. 3 Abs. 2 BV erhielt einen neuen Satz 2). Der Verfassungsgesetzgeber reagierte damit auf die Herausforderungen des demografischen Wandels, der u.a. dazu führt, dass Ballungszentren weiter wachsen während die Bevölkerung auf dem Lande weiter abnimmt. Staatszielbestimmungen begründen keine klagbaren subjektiven Rechte, sie wirken jedoch als Ermessensdirektiven für Verwaltung und Gesetzgebung.