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BayVGH zu Dieselfahrverboten als einziger Möglichkeit grenzwertkonformer Fortschreibung von Luftreinhalteplänen

Bemerkung der Landesanwaltschaft Bayern zu BayVGH, Beschl. v. 27.02.2017 – 22 C 16.1427 / Weitere Schlagworte: Rechtskräftige Verurteilung eines Landes zur Fortschreibung eines Luftreinhalteplans mit dem Ziel der schnellstmöglichen Einhaltung bestimmter Immissionsgrenzwerte; fehlende Benennung von in die Fortschreibung zwingend aufzunehmenden oder aus diesem Anlass zu prüfenden Maßnahmen in diesem Urteil; Vollstreckbarkeit einer derartigen gerichtlichen Entscheidung; § 172 VwGO als einschlägige Vollstreckungsnorm; Verkehrsverbote für Dieselfahrzeuge als einzige zur ausreichenden Erfüllung des Urteils in Betracht kommende Maßnahme; Verhältnismäßigkeit und Vollziehbarkeit derartiger Verkehrsverbote; ungeklärte Möglichkeit der rechtskonformen Bekanntgabe solcher Verkehrsverbote sowie insoweit erforderlicher Ausnahmen; Beschränkung der Zwangsgeldandrohung zur Durchsetzung des zu vollstreckenden Urteils auf Maßnahmen zur Vorbereitung derartiger Verkehrsverbote

von Landesanwältin Martina Ebner, Landesanwaltschaft Bayern

Leitsätze des BayVGH: 

  1. Die Vollstreckung von Urteilen, die zum Erlass oder zur Fortschreibung von Luftreinhalteplänen verpflichten, richtet sich grundsätzlich nach § 172 VwGO.
  2. Derartige Urteile sind nicht nur dann vollstreckbar, wenn sie zumindest in den Entscheidungsgründen eine oder mehrere Maßnahme(n) benennen, die dieser Plan zwingend zu enthalten hat.
  3. Wurde ein Träger öffentlicher Gewalt durch rechtskräftig gewordenes Urteil verpflichtet, einen Luftreinhalteplan so fortzuschreiben, dass u.a. der Grenzwert nach § 3 Abs. 2 der 39. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes schnellstmöglich eingehalten wird, kann aber die Aufnahme von Verkehrsverboten für Dieselfahrzeuge in einen solchen Luftreinhalteplan, obwohl sie zur Erfüllung des Urteils unabweisbar geboten sind, im Vollstreckungsverfahren aktuell deshalb nicht verlangt werden, weil zweifelhaft ist, ob dahingehende straßenverkehrsrechtliche Anordnungen und bestimmte von solchen Verkehrsverboten ggf. einzuräumende Ausnahmen in rechtskonformer Weise bekanntgegeben werden können, so obliegt dem Vollstreckungsschuldner in Befolgung des Urteils die Erstellung eines vollzugsfähigen, Verkehrsverbote für Dieselfahrzeuge betreffenden Konzepts zur Vorbereitung einer dahingehenden künftigen Fortschreibung des Luftreinhalteplans einschließlich der Durchführung der vorgeschriebenen Beteiligung der Öffentlichkeit.

Bemerkung der Landesanwaltschaft Bayern

Streitgegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens war ein Vollstreckungsbeschluss des VG München, mit welchem gegenüber dem Freistaat Bayern als Vollstreckungsschuldner ein Zwangsgeld angedroht wurde, sollte er der Pflicht aus einem Urteil des VG München vom 09.10.2012 (M 1 K 12.1046) nicht innerhalb eines Jahres nachkommen.

In diesem Urteil von 2012 wurde der beklagte Freistaat Bayern verpflichtet, den damals für die Landeshauptstadt München geltenden Luftreinhalteplan so fortzuschreiben, dass dieser „die erforderlichen Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung“ der gesetzlich vorgeschriebenen Immissionsgrenzwerte für Stickstoffdioxid (NO₂) sowie Feinstaubpartikel (PM10) im gesamten Stadtgebiet enthalte. Der Luftreinhalteplan wurde in der Folgezeit zweimal fortgeschrieben, nach gegenwärtigem Stand werden zwar die Werte für PM10 eingehalten, aber nicht die für NO₂. Dies nahm der Kläger aus dem Ausgangsverfahren, ein anerkannter Umweltverband, zum Anlass, die Festsetzung einer Zwangsgeldandrohung zur Durchsetzung der Verpflichtung zu beantragen. Das VG München gab dem Antrag vollumfänglich statt und drohte ein Zwangsgeld i.H.v. € 10.000 an. Die Beschwerde des Beklagten war teilweise begründet, im Übrigen wurde die erstinstanzliche Entscheidung zumindest hinsichtlich der Fristen durch den BayVGH abgeändert.

Der BayVGH stellt in seiner Entscheidung zunächst klar, dass sich die Vollstreckung von Urteilen, die die Verpflichtung zum Erlass oder zur Fortschreibung von Luftreinhalteplänen aussprechen, grundsätzlich nach der entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 172 VwGO richtet (Rn. 67 ff.).

Sodann setzt er sich mit dem im zu vollstreckenden Urteil von 2012 enthaltenen Rechtsbefehl auseinander und kommt zu dem Ergebnis, dass sich die dort enthaltene Verpflichtung des Beklagten hinsichtlich des räumlichen Geltungsbereichs, in Ansehung dessen dieses Ziel zu verwirklichen ist, sowie hinsichtlich eines einzelnen zu diesem Zweck zu ergreifenden Mittels im Wege der Auslegung eindeutig bestimmen lässt und deshalb vollstreckbar ist (Rn. 72). Insbesondere teilt der BayVGH nicht die Auffassung des HessVGH in dessen Beschlüssen vom 11.05.2016 (9 E 448/16 und 9 E 450/16), dass das Urteil des BVerwG vom 05.09.2013 (7 C 21.12) so zu verstehen sei, gerichtliche Entscheidungen, die die öffentliche Gewalt zum Erlass oder zur Fortschreibung eines Luftreinhalteplans verpflichten, seien nur dann und insoweit vollstreckbar, als sie zumindest in den Entscheidungsgründen Maßnahmen benennen, die dieser Plan zwingend zu enthalten hat (Rn. 80 ff.). Wenn im Vollstreckungsverfahren der Vollstreckungsgläubiger rügt, der Vollstreckungsschuldner habe nicht alle zur Verfügung stehenden und in Betracht kommenden Maßnahmen ausgeschöpft und diese Handlungsoptionen aufzählt, stelle sich die Notwendigkeit, diesem entscheidungserheblichen Vorbringen nachzugehen (Rn. 84). Dabei sei zu berücksichtigen, dass das in § 172 VwGO erwähnte Gericht des ersten Rechtszugs als Prozess-, nicht aber als Vollstreckungsgericht tätig werde und somit weiterreichende Befugnisse habe als andere Vollstreckungsorgane; folglich könne das Gericht eine Konkretisierung des zu vollstreckenden Urteils vornehmen (Rn. 85).

Gerade unter unionsrechtlichem Blickwinkel und dem Postulat der effektiven Durchsetzung des Unionsrechts sei es geboten, das inmitten stehende Urteil als dem Grunde nach vollstreckungsfähig anzusehen, da die Mitgliedstaaten – und damit auch die Judikative – gehalten sind, jede erforderliche Maßnahme zu erlassen, um die Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben zu gewährleisten. Dabei sieht der BayVGH sehr wohl, dass das Vollstreckungsverfahren nach § 172 VwGO nicht die Funktion eines Erkenntnisverfahrens übernehmen kann (Rn. 86-92).

Da mittlerweile die Grenzwerte für Feinstaub eingehalten würden, müsse sich die Androhung des Zwangsgeldes auf den Teil des Urteils von 2012 beschränken, der die schnellstmögliche Einhaltung der Grenzwerte für NO₂ verlangt (Rn. 94). Insoweit sei der Vollstreckungsgläubiger säumig, da auch die sechste Fortschreibung des Luftreinhalteplans nicht als ausreichende Erfüllung angesehen werden könne (Rn. 104 ff.). Der BayVGH kommt zu dem Ergebnis, dass rechtskonform ausgestaltete Verkehrsverbote für Dieselfahrzeuge die einzige dem zu vollstreckenden Urteil gerecht werdende Handlungsmöglichkeit darstellen (Rn. 150 ff.).

Eine Umstellung des eigenen Fuhrparks des Beklagten sei wegen des nicht ins Gewicht fallenden Anteils staatseigener Fahrzeuge im Raum München nicht geeignet (Rn. 144); ebenso wenig könne eine Umstellung des Fahrzeugbestands der beigeladenen Stadt München verlangt werden, da für zahlreiche Kommunalfahrzeuge – darunter auch diejenigen im Bereich städtischer Verkehrsbetriebe – derzeit andere Antriebstechniken als Dieselmotoren noch nicht zur Verfügung stünden (Rn. 146). Eine Festsetzung von Umweltzonen im Bereich derjenigen Straßenabschnitte mit Grenzwertüberschreitungen sei ebenfalls zur schnellstmöglichen Grenzwerteinhaltung ungeeignet, da auch solche Dieselfahrzeuge eine grüne Plakette erhalten, die hohe NO₂-Emissionen verursachen (Rn. 148).

Dieselfahrverbote seien nicht von vornherein unverhältnismäßig auf Grund des hohen Gewichts, das den Rechtsgütern Leben und Gesundheit der betroffenen Anwohner, die durch die andauernden unzulässigen Grenzwertüberschreitungen gefährdet seien, zukommt (Rn. 154). Den Einwand, ein solches Fahrverbot sei kaum zu überwachen und daher nicht umsetzbar, da es seine Wirkung verfehlen würde, erkennt der BayVGH nicht an (Rn. 155).

Jedoch könne eine Verpflichtung zur Festsetzung von Dieselfahrverboten derzeit nicht zwangsgeldbewehrt festgestellt werden, da es derzeit rechtliche Ungewissheiten im Zusammenhang mit Dieselverkehrsverboten gebe: Es bestünden zum einen Bedenken, ob das geltende Recht ausreichende Befugnisnormen bereithalte, um in allen Fällen, in denen das ggf. geboten sei, Ausnahmen von Verkehrsverboten für Dieselfahrzeuge rechtskonform zulassen zu können. Zum anderen sei es zweifelhaft, ob solche Verbote mit dem derzeit zur Verfügung stehenden Instrumentarium der Straßenverkehrsordnung einwandfrei bekanntgegeben werden könnten (Rn. 157 ff.). Dies stelle höchstrichterlich ungeklärte Fragen dar, die sich anhand des geschriebenen Rechts nicht eindeutig beantworten ließen. Es sei jedoch damit zu rechnen, dass diese Zweifel innerhalb überschaubarer Zeit ausgeräumt würden; dies u.a. durch eine Entscheidung des BVerwG, die auf die Sprungrevision hin ergehen wird, die gegen das Urteil des VG Düsseldorf vom 13.09.2016 (3 K 7695/15) eingelegt wurde (Rn. 183).

Bis zur Klärung dieser Rechtsfragen müsse der Beklagte jedenfalls alle vorbereitenden Schritte treffen, um weitere Verzögerungen zu vermeiden. Dies beinhalte die Erstellung eines Konzepts, das der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, und den Einstieg in die Öffentlichkeitsbeteiligung.

Net-Dokument: BayRVR2017061601 (über die ohne Leerzeichen einzugebende Net-Dokumenten-Nummer ist der Beitrag über die BayRVR-interne Suche und i.d.R. auch über Google jederzeit eindeutig identifizierbar und direkt aufrufbar)

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Anmerkung der Redaktion

Landesanwältin Martina Ebner ist bei der Landesanwaltschaft Bayern schwerpunktmäßig u.a. für das Gewerbe-, Energie-, Eisenbahn- und Wirtschaftsrecht sowie das Lotterierecht zuständig.

Die auf bestimmte Rechtsgebiete spezialisierten Juristinnen und Juristen der Landesanwaltschaft Bayern stellen zum 15. eines jeden Monats (ggfls. am darauf folgenden Werktag) eine aktuelle, für die Behörden im Freistaat besonders bedeutsame Entscheidung vor: Beiträge der LAB.

  • Meldungen und amtliche bzw. kommunale Stellungnahmen im Kontext der Entscheidung: hier.