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Schadensersatzanspruch des Dienstherrn gegen Beamten wegen grob fahrlässiger Dienstpflichtverletzung

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Im unten vermerkten Beschluss  des  Bayerischen  Verwaltungsgerichtshofs (VGH) vom 28.12.2021 ging es um die Haftung eines bayerischen Beamten (Beklagter) gegenüber dem Freistaat Bayern (Kläger).

Das Verwaltungsgericht bejahte den Schadensersatzanspruch des Klägers gemäß § 48 BeamtStG, weil der Beklagte schuldhaft gegen seine Dienstpflichten verstoßen hat, indem er im Zeitraum von Oktober 2010 bis November 2013 eine Vielzahl von „Scheinwerkverträgen“ mit externen Fachkräften im Rahmen des Projekts NQ abgeschlossen habe und dem Kläger dadurch ein Vermögensschaden in Form von Nachzahlungen von Sozialversicherungsbeiträgen nebst Säumniszuschlägen an die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Bund entstanden sei.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts hatte vor dem VGH keinen Erfolg. Der Entscheidung entnehmen wir:

  1. Grob fahrlässige Verletzung von Dienstpflichten

„Der Beklagte hat gegen die Dienstpflicht aus Art. 7 BayHO, das Eigentum und das Vermögen des Dienstherrn nicht zu schädigen (BVerwG, Urteil vom 19.6.1997 – 2 C 21.96 – juris Rn. 15) und den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten, grob fahrlässig verstoßen, indem er im Zeitraum von Oktober 2010 bis November 2013 eine Vielzahl von Verträgen mit externen Fachkräften im Rahmen des Projekts NQ abgeschlossen hat. Dem Kläger ist dadurch ein Vermögensschaden in Form von Nachzahlungen von Sozialversicherungsbeiträgen nebst Säumniszuschlägen an die DRV Bund entstanden …Soweit der Kläger meint, es liege schon keine Dienstpflichtverletzung nach Art. 7 BayHO vor, da durch den Abschluss von Werkverträgen ein effektiver staatlicher Mitteleinsatz durch eingesparte Sozialversicherungsbeiträge beabsichtigt gewesen sei und die Pflicht zur Beachtung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit nach den Veıwaltungsvorschriften zu Art. 7 BayHO nicht als Erfolgs-, sondern als Verhaltens- bzw. Handlungspflichten ausgestaltet sei, vermag der Senat dem nicht beizutreten. Indem der Beklagte durch den Abschluss weiterer Verträge ein hohes und nicht mehr kalkulierbares Risiko einging, das sich im später geltend gemachten Schaden realisierte, hat er gerade gegen seine Pflicht verstoßen, ,auf die Effektivität des staatlichen Mitteleinsatzes … hinzuwirken‘ (VV zu Art. 7 BayHO unter A. 1.) und ,die günstigste Relation zwischen dem verfolgten Zweck und den einzusetzenden Mitteln anzustreben‘ (VV zu Art. 7 BayHO unter A. 2.1).

Das Verwaltungsgericht hat in rechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass die Dienstpflichtverletzung bereits im Abschluss der jeweiligen Werkverträge und nicht erst in der konkreten Vertragsausführung zu sehen ist … Der Beklagte kann sich mit den Stellungnahmen des beauftragten Rechtsanwalts Dr. F. nicht entlasten … Vielmehr kannte er zum Zeitpunkt der jeweiligen Vertragsabschlüsse die arbeitsgerichtlichen Entscheidungen (ArbG München, Urteil vom 12.5.2010 – 35 Ca 14694/09; LAG München, Urteil vom 23.11.2011 – 5 Sa 575/10) hinsichtlich des Auftragnehmers M. Seine eigenen Mitarbeiter, aber auch die anderer Behörden (Herr RD B. vom LfF M.) warnten ihn frühzeitig und mehrmals sowohl mündlich als auch schriftlich vor Abschluss der Verträge ab Oktober 2010. Sie rieten ihm dringend davon ab, weitere derartige Verträge abzuschließen … Weder der nach der Geschäftsordnung des … einzubindende Justiziar noch das vorgesetzte StMWK wurden beteiligt … Subjektive Besonderheiten, die im Einzelfall im Sinne einer Entlastung vom Vorwurf der groben Fahrlässigkeit ins Gewicht fallen können, liegen nicht vor … Soweit das Verwaltungsgericht ein weiteres Indiz dafür, dass sich der Beklagte wohl schon zu dem damaligen Zeitpunkt frühzeitig in Kenntnis der Problematik der Abgrenzung von Arbeits- und Werkverträgen habe absichern wollen, um spätere Ansprüche zu vermeiden, in den vorbereiteten, gleichlautenden Schreiben von im Projekt NQ Tätigen sieht, die auf dem Rechner des Vorzimmers des Beklagten abgespeichert waren, ist dies rechtlich nicht zu beanstanden …

Die vom Beklagten in seinen Zulassungsbegründungen hiergegen erhobenen Einwände überzeugen nicht und bedürfen keiner weiteren Prüfung in einem Berufungsverfahren.“

  1. Nichtvorliegen eines Mitverschuldens von Mitarbeitern bzw. des zuständigen Fachministeriums in Form eines Organisationsverschuldens

„Das Verwaltungsgericht hat zunächst zu Recht festgestellt, dass dem in Anspruch genommenen Beamten die Berufung auf § 254 BGB mit der Begründung, bei der Entstehung des Schadens hätten schuldhafte Pflichtverletzungen anderer Beamter mitgewirkt, grundsätzlich verwehrt ist, da der Staat ansonsten bei einer Schädigung durch mehrere Beamte wegen der Reduzierung seiner Schadensersatzansprüche schlechter gestellt wäre als bei schuldhafter Schadenszufügung durch einen einzigen Beamten. Die Anwendung von § 254 Abs. 2 BGB kommt aber dann ausnahmsweise in Betracht, wenn dieser andere Beamte den Schaden dadurch schuldhaft mitverursacht hat, dass er eine Dienstpflicht vernachlässigt hat, zu deren Erfüllung namens des Dienstherrn – z.B. auf Grund der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht – er gerade gegenüber dem in erster Linie den Schaden verursachenden Beamten verpflichtet gewesen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 2.2.2017[1] – 2 C 22.16 – juris Rn. 18 ff.; Conrad in: Weiß/Niedermaier/Summer/Zängl, BayBeamtR, November 2021, § 48 BeamtStG Rn. 72 m.w.N. zur Rechtsprechung).

Vorliegend waren aber weder die Abteilungsleiter noch die nachgeordneten Referatsleiter sowie der Justiziar … dafür verantwortlich, den Beklagten – zumal nach bereits erfolgten umfangreichen Hinweisen und Warnungen – vor sich selbst und seinem eigenen Handeln, nämlich dem Abschluss einer Vielzahl von weiteren Auftragsverhältnissen in dem Projekt NQ zu schützen, zumal der Beklagte diesen gegenüber ausdrücklich geäußert hat, seinen Entschluss nunmehr zu respektieren und weitere Diskussionen einzustellen … Dies gilt auch hinsichtlich des Herrn RD B. als Mitarbeiter des LfF M, dem nicht vorgeworfen werden kann, er habe es pflichtwidrig unterlassen, das StMWK zu informieren. Eine entsprechende Dienstpflicht, zumal gegenüber dem Leiter einer anderen Behörde, bestand vorliegend nicht. Herrn RD B. dürfte nicht einmal bekannt gewesen sein, ob und in welchem Umfang sich der Beklagte über vorhandene Warnungen der Mitarbeiter des … hinwegsetzte und weitere Werkverträge abschloss.

Das Verwaltungsgericht hat ferner zu Recht ein Mitverschulden des StMWK verneint … Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass das Ministerium erstmals über eine Stellungnahme des … ca. im Mai/Juni 2013 über die konkrete Werkvertragsproblematik mit Herrn M. erfahren hat. Dieses zur Überzeugung des Verwaltungsgerichts durch Zeugenaussagen gewonnene Beweisergebnis wird nicht dadurch erschüttert, dass der Beklagte meint, der Kläger habe bereits durch die Berichte des Beklagten vor Projektbeginn als auch in Person von Herrn RD B. während der Projektdurchführung Kenntnis erhalten. Die Anregung, der Senat solle das StMWK um weitere Informationen ersuchen, erweist sich insoweit als unzulässige Beweisermittlung, da keine Anhaltspunkte für ein vom Verwaltungsgericht abweichendes Beweisergebnis vorgetragen wurden noch solche ersichtlich sind.

Die Mitarbeiter haben sich auch nicht unzureichend gegen das Vorgehen des Beklagten im Rahmen des Projekts NQ zur Wehr gesetzt. An einer Information des zuständigen Fachministeriums waren die Mitarbeiter … durch eine Dienstanweisung des Beklagten… gehindert. Die Kommunikation zur obersten Dienstbehörde durfte demnach grundsätzlich nur über den Beklagten geführt werden. Soweit der Beklagte meint, die Mitarbeiter hätten konsequenterweise auch gegen die Dienstanweisung der Untersagung des unmittelbaren Kontakts zum vorgesetzten Ministerium remonstrieren müssen, überspannt er die bestehenden Mitarbeiterpflichten, zumal die dienstliche Anordnung nach Ansicht des StMWK im Befugnisbereich des Beklagten lag … und damit die Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 BeamtStG nicht erfüllt waren.

Das StMWK hat es auch nicht pflichtwidrig unterlassen, sich zuvor aktiv um Informationen zu bemühen und sich über die Projektabläufe zu informieren. Selbst eine unzureichende Kontrolle – die hier nicht vorliegt – wirkt sich regelmäßig nicht entlastend für einen Beamten aus. Gerade Beamte müssen aufgrund ihres dienstrechtlich gesteigerten Vertrauens- und Treueverhältnisses auch dann zuverlässig Dienst tun, wenn eine lückenlose Kontrolle der Betriebsabläufe und des Personals nicht durchführbar ist. Zweck der Dienstaufsicht ist es nicht, den Beamten vor pflichtwidrigem Verhalten zu bewahren, sondern die ordnungsgemäße Aufgabenerledigung sicherzustellen. Auch eine nur lückenhafte Überwachung gibt dem Beamten ,keinen Freibrief‘, seine Pflicht zu verletzen.

Nur in Sonderlagen kann eine unzureichende Dienstaufsicht durch Vorgesetzte unter dem Blickwinkel des Mitverschuldens berücksichtigt werden. Hierfür müssen aber konkrete Anhaltspunkte für besondere Umstände vorliegen, die ausreichende Kontrollmaßnahmen unerlässlich machen, solche aber pflichtwidrig unterbleiben oder nur unzureichend durchgeführt werden. Solche konkreten Anhaltspunkte lagen hier für das StMWK nicht vor. Indem die Verwaltungszuständigkeiten insbesondere im Bereich Personal und Haushalt weitestgehend auf die nachgeordneten Einrichtungen übertragen wurden, handelten diese insoweit eigenverantwortlich ohne Beteiligung des Staatsministeriums. Hinweise auf in der Vergangenheit aufgetretene Unregelmäßigkeiten bestanden insoweit für das aufsichtsführende Ministerium nicht.“

  1. Kausaler Zusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden

„Mit seinem nach Ablauf der Zulassungsbegründungsfrist erstmals mit Schriftsatz vom 29.9.2020 erhobenen Einwand, es fehle an einem ursächlichen Zusammenhang zwischen der vorgeworfenen Dienstpflichtverletzung und dem geltend gemachten Schaden, sog. haftungsausfüllende Kausalität, ist der Beklagte wegen des Ablaufs der Begründungsfrist ausgeschlossen (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 53).

Ungeachtet dessen hat das Verhalten des Abteilungsleiters Z den Zurechnungszusammenhang nicht etwa dadurch unterbrochen, dass er bei der Vertragsdurchführung die Richtlinie vom 24.4.2006 sowie konkrete Anweisungen des Beklagten nicht beachtet hat … Die vom Beklagten ins Feld geführte Adäquanztheorie steht der haftungsbegründenden Kausalität nicht entgegen. Denn die begangene Dienstpflichtverletzung war nach allgemeiner Lebenserfahrung für einen objektiven Betrachter geeignet, den Schaden herbeizuführen (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.3.1999 – 2 C 15.98 – juris Rn. 25).

Die Ausführungen des Beklagten zur Frage, ob befristete Arbeitsverträge ein rechtmäßiges Alternativverhalten darstellten, sind nicht entscheidungserheblich. Nach Auffassung der Erstinstanz konnte diese Frage ,dahingestellt bleiben‘ …

Es ist für die Darlegungspflicht nicht genügend, wenn die Zulassungsbegründung lediglich wiederholend darauf abstellt, Rechtfertigungsgründe für das pflichtwidrige Verhalten des Beklagten würden darin liegen, dass die Nachqualifikation der Denkmalliste einschließlich des Projekts NQ eine Pflichtaufgabe des Landesamts für Denkmalpflege gewesen sei (Art. 12 Abs. 2 BayDSchG) und ihm hierzu mit jährlich 400.00 Euro keine ausreichende finanzielle Ausstattung zur Verfügung gestanden hätte. Dabei setzt sich der Beklagte schon nicht substantiiert mit den Ausführungen des Erstgerichts auseinander (UA – juris Rn. 274 und Rn. 287). Die Eintragung und nachrichtliche Aufnahme der Bau- und Bodendenkmäler in ein Verzeichnis durch das Landesamt für Denkmalpflege im Benehmen mit der Gemeinde stellt im Übrigen eine Sollaufgabe dar (,sollen‘ Art. 2 Abs. 1 Satz 1 BayDSchG). Zutreffend hat das Erstgericht deshalb festgestellt, dass die entsprechenden Eintragungen lediglich nachrichtlichen Charakter haben und nicht konstitutiv für das Vorliegen eines Denkmals sind (vgl. BayVGH, Urteil vom 22.4.2016 – 1 B 12.2353 – juris Rn. 18; BayVGH, Urteil vom 19.12.2013 – 1 B 12.2596 – juris Rn. 17), womit die Aufgabe keine gesetzliche Pflichtaufgabe ist (vgl. insoweit auch den E-Mail-Verkehr zwischen dem Justiziar und dem Beklagten zur Thematik ,Kernaufgaben des BLfD‘ v. 30.9.2010 unter Nr. 3 …).

Zwar folgt aus Art. 12 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 BayDSchG der gesetzliche Auftrag zur Erstellung und Fortführung der Inventare und der Denkmalliste, jedoch kann dies – wie das Verwaltungsgericht zu Recht feststellte – keine Rechtfertigung dafür darstellen, schuldhafte Dienstpflichtverletzungen zu begehen.“

Fundstelle Bayern, 17/2022, Rn. 205.

[1] FstBay Randnummer 189/2027 und 85/2018