Rechtsprechung Bayern

Betretungsverbot für innerstädtische Grünanlagen

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In dem unten vermerkten Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichsthofs (VGH) vom 01.02.2022 hatte dieser im Rahmen einer Normenkontrolle nach § 47 VwGO über ein nächtliches Betretungsverbot für zwei innerstädtische Grünanlagen zu entscheiden. Nach der von der Antragsgegnerin, einer kreisfreien Stadt, erlassenen Grünanlagensatzung (GrünanlS) handelt es sich bei den öffentlichen Grünanlagen und Spielanlagen um öffentliche Einrichtungen, die jeder unentgeltlich zur Erholung und zum Spielen benutzen kann.

Vor allem in den innenstadtnahen Grünanlagen G. und J. kam es in der Vergangenheit aufgrund des Freizeitverhaltens der Besucher immer wieder zu Lärmbeschwerden der Nachbarn und entsprechenden nächtlichen Polizeieinsätzen. Die Antragsgegnerin ergänzte daraufhin den in § 3 GrünanlS enthaltenen Katalog verhaltensbezogener Benutzungsregelungen mit Änderungssatzung vom 27.8.2020 um einen neuen Absatz 7, wonach die beiden genannten Grünanlagen in den Monaten April bis Oktober in der Zeit von 23.00 Uhr bis 06.00 Uhr nicht betreten werden durften; diese Vorschrift trat mit Ablauf des 31.10.2021 außer Kraft.

Bereits am 12.3.2021 hatte die im Stadtgebiet wohnende Antragstellerin gegen die Änderungsvorschrift einen Normenkontrollantrag gestellt. Sie berief sich auf eine Verletzung ihrer Grundrechte und trug vor, die Vorschrift sei zur Erreichung der damit verfolgten Zwecke weder geeignet noch erforderlich und auch völlig unangemessen. Es sei außerdem willkürlich, dass das Betreten nur an diesen zwei Orten und nicht ebenso in anderen Grünanlagen verboten werde, obwohl es dort vermehrt zu starken Ruhestörungen komme. Auch nach dem Außerkrafttreten der Vorschrift bestehe insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr ein Interesse an einer gerichtlichen Ungültigkeitsfeststellung. Der VGH hielt den Normenkontrollantrag für zulässig, aber unbegründet. Sein Urteil beruht im Wesentlichen auf folgenden Erwägungen:

  1. Eine während des Gerichtsverfahrens außer Kraft getretene Satzung kann im Falle einer Wiederholungsgefahr noch Gegenstand einer Normenkontrolle sein

Zu dieser prozessualen Vorfrage heißt es in der Entscheidung:

„§ 3 Abs. 7 GrünanlS ist auch noch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung statthafter Gegenstand einer Normenkontrolle. Die Vorschrift ist zwar nach § 2 Abs. 2 der am 7.9.2020 im Amtsblatt bekanntgemachten Änderungssatzung mit Ablauf des 31.10.2021 außer Kraft getreten … Auch Normen, die während eines Verfahrens nach § 47 VwGO außer Kraft treten, können aber nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 2.9.1983 – 4 N 1.83 – BVerwGE 68, 12/15; Urteil vom 17.5.2017[1] – 8 CN 1.16 – BVerwGE 159, 27 Rn. 13 m.w.N.) und der überwiegenden Auffassung im Schrifttum … ausnahmsweise weiterhin Gegenstand einer Normenkontrolle sein, wenn an der Feststellung ihrer Unwirksamkeit ein berechtigtes Interesse besteht.

Diese Voraussetzung liegt hier vor, da sich die Antragstellerin auf eine Wiederholungsgefahr berufen kann. Voraussetzung für ein darauf gestütztes Feststellungsinteresse ist die konkret absehbare Möglichkeit, dass in naher Zukunft und unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen eine gleiche oder gleichartige Maßnahme des Antragsgegners zu erwarten ist (BVerwG, Beschluss vom 14.6.2018 – 3 BN 1.17 – juris Rn. 19; Urteil vom 16.5.2013 – 8 C 14.12 – BVerwGE 146, 303 Rn. 21 m.w.N.).

Davon kann im vorliegenden Fall ausgegangen werden, da die aus der intensiven Nutzung der Grünanlagen für Freizeitzwecke folgende Lärmbelastung der Nachbarschaft, der mit dem nächtlichen Betretungsverbot vorrangig begegnet werden sollte, voraussichtlich auch während der nächsten Sommersaison fortbestehen wird. Dass sich die Freizeitaktivitäten der jungen Leute in den Nachtstunden nach einer Wiedereröffnung der Schankwirtschaften weitgehend in geschlossene Räume verlagern könnten, erscheint wenig wahrscheinlich. Es bestehen auch keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass die Mehrheit des Stadtrats der Antragsgegnerin sich mittlerweile für einen anderen Weg der Konfliktlösung entschieden hätte oder jedenfalls den bisherigen Versuch als gescheitert ansehen würde.“

  1. Die (teilweise) Schließung einer kommunalen Einrichtung stellt keinen Eingriff in das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit dar

„In der nächtlichen Schließung der bislang ohne zeitliche Begrenzung dem Gemeingebrauch (Art. 21 Abs. 5 GO) als kommunale Einrichtungen (§ 1 Abs. 1 GrünanlS) für Zwecke der Erholung (§ 2 GrünanlS) gewidmeten Grünanlagen liegt kein Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG). Da aus diesem Grundrecht ebenso wie aus Art. 21 GO kein Recht auf Schaffung einer öffentlichen Einrichtung folgt …, können die bisherigen Benutzer auch nicht das unveränderte Fortbestehen einer solchen Einrichtung verlangen …“

  1. Gegen Widmungsbeschränkungen öffentlicher Einrichtungen können sich die bisherigen Benutzer zur Wehr setzen, wenn sie einen Gleichheitsverstoß geltend machen

Für die Zulässigkeit eines Normenkontrollantrags kommt es somit darauf an, ob nach dem Sachvortrag des Nutzungsinteressenten ein sonstiges Grundrecht verletzt sein kann:

„Gleichwohl ist ein Eingriff in eine geschützte Rechtsposition der Antragstellerin nicht von vornherein ausgeschlossen. Zwar greifen sachliche, persönliche, räumliche oder – wie hier – zeitliche Begrenzungen des Widmungszwecks bzw. Widmungsumfangs im Unterschied zu verhaltensbezogenen Benutzungsregelungen, die den im Rahmen der Widmung bestehenden Zugangsanspruch aus Art. 21 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 GO einschränken …, nicht in eine bereits innegehabte einfachgesetzliche Rechtsposition der Einrichtungsbenutzer ein.

Sie bedürfen insofern keiner besonderen Rechtfertigung, da die Kürzung einer zuvor bereitgestellten Leistung noch keine (grund-)rechtlich relevante Belastung darstellt … Subjektive Rechte der – aktuellen oder potentiellen – Benutzer können aber durch solche Widmungsbeschränkungen dann verletzt werden, wenn darin entweder ein zielgerichteter Eingriff in ein spezielles Grundrecht oder eine sachwidrige Ungleichbehandlung liegt (vgl. BayVGH, Urteil vom 17.11.2020 – 4 B 19.1358 – BayVBl 2021, 159 Rn. 49 ff., 60 f.; …)[2].

Auf Letzteres beruft sich die Antragstellerin mit ihrer Behauptung, die Beschränkung des nächtlichen Betretungsverbots auf die Grünanlagen G. und J. sei willkürlich, da es in anderen städtischen Grünanlagen ebenfalls zu starken Ruhestörungen gekommen sei. Hiernach kann ihr die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO zumindest im Hinblick auf einen möglichen Gleichheitsverstoß (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht von vornherein abgesprochen werden, da sie als ortsansässige bisherige Benutzerin der Einrichtungen zum Adressatenkreis der angegriffenen Regelung gehört und bei einer Missachtung des Betretungsverbots nicht nur mit einer Geldbuße (§ 11 Nr. 5 GrünanlS), sondern auch mit einer polizei- oder sicherheitsrechtlichen Platzverweisung (Art. 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 PAG; Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG) rechnen muss.“

 

FStBay 17/2022, Rn. 204

[1] FStBay Randnummer 160/2018

[2] FStBay Randnummer 95/2021