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Gebot der mündlichen Verhandlung bei entscheidungserheblichen Tatsachen

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Das Bundesverwaltungsgericht hatte in einem Berufungsverfahren darüber zu entscheiden, ob eine mündliche Verhandlung grundsätzlich geboten ist, wenn für die Entscheidung des Berufungsgerichts neue Rechtsfragen oder Tatsachen entscheidungserheblich werden.

Art. 103 GG; §§ 101, 108, 125, 130a, 138 VwGO; §§ 1, 8, 10, 11, 33 BauGB; §§ 133, 157 BGB

(Mündliche Verhandlung; Entscheidung über Berufung; Ermessen des Gerichts)

Amtlicher Leitsatz

Im Berufungsverfahren ist eine mündliche Verhandlung grundsätzlich geboten, wenn für die Entscheidung des Berufungsgerichts neue, im erstinstanzlichen Verfahren noch nicht angesprochene Rechtsfragen oder Tatsachen entscheidungserheblich werden.

BVerwG, Urteil vom 06.12.2022, 4 C 7.21

Zum Sachverhalt

Die Klägerin begehrt einen Bauvorbescheid für die Errichtung eines Lebensmittel-Discountmarktes. Das Vorhabengrundstuck (Gemarkung L, Flurstuck 1 und das Nachbargrundstuck Flurstuck 2) gehören zum sogenannten D-Gelände (vormals Flurstuck 3). Beide Grundstucke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 921 „L-Straße/W-Straße“ vom 7.Marz 2019, der insoweit ein Gewerbegebiet festsetzt und Einzelhandelsbetriebe ausschließt. In dem Vorgänger-Bebauungsplan Nr. 206N vom 30. Juni 2005 („1. Änderung und Ergänzung des Bebauungsplanes Nr. 206“) war ebenfalls ein Gewerbegebiet unter Ausschluss von Einzelhandel festgesetzt.

Im Januar 2007 schlossen die Beteiligten vor dem Verwaltungsgericht einen Vergleich. Darin verpflichtete sich die Beklagte unter anderem dazu, der Klägerin einen bauplanungsrechtlichen Vorbescheid für einen Lebensmittel-Discountmarkt auf dem heutigen Flurstuck 2 zu erteilen. In Nummer 4 Buchstabe a der Anlage 5 zum Vergleich wurde vereinbart: „Hinsichtlich der weiteren Nutzung auf dem D-Gelände (Flurstuck 3) verpflichtet sich die Firma L ungeachtet einer verwaltungsgerichtlich festgestellten Unwirksamkeit zur Einhaltung der Festsetzungen des Bebauungsplans 206 N.“

Den auf der Grundlage des Vergleichs genehmigten Markt auf dem Flurstuck 2 betrieb die Klägerin von 2007 bis 2015. Im Marz 2016 beantragte sie einen Bauvorbescheid hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung (unter Ausklammerung des Rücksichtnahmegebots) für einen Lebensmittel-Discountmarkt mit einer Verkaufsflache von 1200 m2 auf dem Flurstuck 1. Die Beklagte lehnte den Antrag unter Verweis auf eine entgegenstehende Veränderungssperre für den Bebauungsplan Nr. 921 ab. Die Klage blieb in erster Instanz aus demselben Grund ohne Erfolg. Im Berufungsverfahren berief sich die Beklagte erstmals auf den Vergleich aus dem Jahr 2007. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung nach Anhörung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss nach § 130a VwGO zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin.

Entnommen aus der