Amtliche Leitsätze:
1. Ausnahmen von artenschutzrechtlichen Verboten des § 44 BNatSchG werden nach dem Regelungsregime des § 45 Abs. 7 BNatSchG einerseits im Wege der Einzelfallausnahme und andererseits im Wege allgemeiner Ausnahmen durch Verordnungen ermöglicht.
2. Mit diesem Ausnahmeregime des § 45 Abs. 7 BNatSchG nicht zu vereinbaren ist eine Regelung, die – wie § 3 Abs. 4 Satz 3 AAV in der seit 1. Mai 2023 geltenden Fassung – die Frage der Höchstzahl ausnahmsweise zulässiger Tötungen von Exemplaren einer streng geschützten Art wie des Fischotters als einen zentralen Aspekt der quantitativen Reichweite einer Ausnahmeregelung nicht selbst regelt, sondern lediglich die Bekanntgabe einer abstrakt generellen Höchstzahl vorsieht, die ihrerseits weder in Verordnungsform erfolgt noch eine Einzelfallregelung darstellt.
BayVGH, Beschluss vom 30.11.2023, 14 NE 23.1503 u.a.
Zum Sachverhalt:
Die Antragsteller der beiden verbundenen Verfahren wenden sich als vom Umweltbundesamt (Antragsteller zu 1 und 3) beziehungsweise durch den Freistaat Bayern (Antragsteller zu 2) anerkannte Natur- beziehungsweise Umweltvereinigungen gegen die Verordnung zur Änderung der Artenschutzrechtlichen Ausnahmeverordnung betreffend Ausnahmen für den Fischotter vom 25. April 2023 und die Verordnung zur Ausführung der Artenschutzrechtlichen Ausnahmeverordnung vom 5. Juli 2023, mit denen hinsichtlich des Fischotters Ausnahmen von den Schutzvorschriften für besonders geschützte Tierarten für die Regierungsbezirke N und O mit Ausnahme des Landkreises Neumarkt zugelassen wurden.
Der Bayerische Landtag forderte mit Beschluss vom 18. April 2018 (LT-Drs. 17/21770) die Staatsregierung auf, den so genannten Fischotter-Managementplan dem Stand der aktuellen Entwicklung anzupassen und ihn in besonderen Fällen, in denen an Erwerbsteichanlagen keine Präventions- und Abwehrmaßnahmen umgesetzt werden könnten, um die Entnahme als vierte Stufe zu ergänzen; ursprüngliche Säulen sind Beratung, Prävention (insbesondere Zaunbau) und Entschädigung.
Im Rahmen eines Pilotprojekts erteilte die Regierung mit insgesamt drei Bescheiden vom 16. März 2020, die letztlich bis zum 31. Dezember 2021 galten (Verlängerungsbescheide vom 17.12.2020), je einem Jagdausübungsberechtigten gemäß § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG die artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung zur Entnahme von maximal zwei männlichen Fischottern an einer jeweils in den Bescheiden näher beschriebenen, fischereiwirtschaftlich genutzten Teichanlage. Hiergegen hatten die Antragsteller zu 1 und 2 jeweils Klage erhoben, die das Verwaltungsgericht R jeweils als begründet angesehen hat, weshalb es die jeweiligen (verlängerten) Bescheide mit Urteil vom 27. August 2021 vollumfänglich aufgehoben hat. Die diesbezüglich vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Berufungen des Antragsgegners hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Urteilen vom 23. Mai 2023 bezüglich zweier Teichanlagen jeweils mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Rechtswidrigkeit des jeweiligen Bescheids festgestellt wurde (Verfahren 14 B 22.1696 – BayVBl. 2023, 601, 14 B 22.1698, 14 B 22.1699 und 14 B 22.1700) hinsichtlich des die dritte Teichanlage betreffenden Bescheids wurden die Verfahren jeweils eingestellt, und es wurde festgestellt, dass die diesbezüglichen Urteile des Verwaltungsgerichts R vom 27. August 2021 jeweils unwirksam geworden sind (Verfahren 14 B 22.1697 und 14 B 22.1701).
Bereits am 25. April 2023 hat die Bayerische Staatsregierung die Verordnung zur Änderung der Artenschutzrechtlichen Ausnahmeverordnung betreffend Ausnahmen für den Fischotter erlassen, nach deren § 1 ein neuer § 3 in die bestehende Artenschutzrechtliche Ausnahmeverordnung (AAV) eingefügt wurde bezüglich Ausnahmen für Fischotter (BayMBl. 2023 Nr. 200), welcher nach § 2 der Änderungsverordnung am 1. Mai 2023 in Kraft trat.
Dieser § 3 AAV n. F. hat folgenden Wortlaut:
§ 3
Ausnahmen für Fischotter
(1) Zur Abwendung ernster fischereiwirtschaftlicher Schäden wird nach Maßgabe der Abs. 2 bis 7 gestattet, Fischotter (Lutra lutra) in einem Bereich von 200 m vom jeweiligen Gewässerrand einer Teichanlage, die der Zucht oder Produktion von Fischen dient, nachzustellen, mit Lebendfallen zu fangen, zu vergrämen oder durch Abschuss zu töten, soweit es keine zumutbare Alternative gibt.
(2) Ein ernster fischereiwirtschaftlicher Schaden liegt vor, wenn durch Fischotter
1. ein Verlust von 10 % der erzeugten Fische der Teichanlage bezogen auf die Zahl der eingesetzten Fische oder
2. ein nicht ersetzbarer Verlust von Laichfischen
eingetreten ist.
(3) Eine zumutbare Alternative im Sinne des Abs. 1 gibt es nicht, wenn ein Zaunbau rechtlich oder tatsächlich nicht möglich ist oder wirtschaftlich unzumutbar ist. Ein Zaunbau ist wirtschaftlich unzumutbar, wenn die Kosten der Errichtung inklusive der Kosten für Genehmigungsverfahren und im Einzelfall erforderlicher naturschutzrechtlicher Gutachten und unter Berücksichtigung staatlicher Zuschüsse und der Unterhaltung die in einem Zeitraum von zehn Jahren durch die Bewirtschaftung der umzäunten Teiche zu erzielende Rendite übersteigen.
(4) Maßnahmen nach Abs. 1 sind ausschließlich in Gebieten zulässig, in denen der Fischotter
1. einen günstigen Erhaltungszustand aufweist oder
2. der Erhaltungszustand der Population zwar ungünstig ist, sich durch die Ausnahme aber nicht verschlechtert und die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes nicht behindert wird.
Die Ermächtigung nach § 45 Abs. 7 Satz 4 BNatSchG wird insoweit auf das Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten übertragen als dieses ermächtigt wird, die Gebiete nach Satz 1 durch Verordnung festzulegen. Die Landesanstalt für Landwirtschaft (Landesanstalt) gibt jährlich eine Höchstzahl von Fischottern, die getötet werden dürfen, sowie tagesaktuell eine Information über den Stand der im jeweiligen Jahr bereits getöteten Fischotter bekannt.
(5) Vom 1. Februar bis zum 30. November dürfen Fischotter nicht ohne vorherige Gewichtsüberprüfung getötet werden, sondern zunächst nur lebend gefangen und anschließend nur dann getötet werden, wenn sie ein Gewicht von weniger als 4 kg oder mehr als 8 kg aufweisen; andernfalls sind sie am Fangort umgehend und unversehrt wieder freizulassen.
(6) Fang- und Abschussort, Teichanlage, Abschuss- und Fangdatum, das Datum des Aufstellens von Fallen sowie Informationen über die Entsorgung und den Verbleib des getöteten Fischotters sind der Landesanstalt unverzüglich mitzuteilen.
(7) Im Übrigen bleiben die Vorschriften des Jagdrechts unberührt.
Am 5. Juli 2023 erließ das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten die Verordnung zur Ausführung der Artenschutzrechtlichen Ausnahmeverordnung – AVBayAAV – (GVBl. 2023 S. 485), die nach ihrem § 2 am 1. August 2023 in Kraft trat.
In § 1 AVBayAAV (Gebietskulisse) werden als Gebiete nach § 3 Abs. 4 Satz 1 AAV n. F. die in der Anlage aufgeführten Landkreise und kreisfreien Städte festgesetzt (Satz 1), wovon nach dessen Satz 2 in Anlage 1 zu § 1 Nr. 1 der Bayerischen Natura-2000-Verordnung festgelegte Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung (FFH-Gebiete), soweit für diese Gebiete der Fischotter (Lutra lutra) als Art nach Anhang II der Richtlinie 92/43/EWG genannt ist, Naturschutzgebiete nach § 23 BNatSchG und Nationalparke nach § 24 Abs. 1 bis 3 BNatSchG i. V. m. Art. 13 BayNatSchG ausgenommen sind. Die Anlage führt alle Landkreise und kreisfreien Städte der Regierungsbezirke N und O mit Ausnahme des Landkreises N auf.
Ebenfalls am 5. Juli 2023 erließ das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten eine Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Ausführung des Bayerischen Jagdgesetzes (GVBl. 2023 S. 487), die Sondervorschriften für die Jagd auf Fischotter einführte und nach ihrem § 2 ebenfalls am 1. August 2023 in Kraft trat.
Zusätzlich finden sich seit dem 1. August 2023 auf der Homepage der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL) unter „Fischotterentnahme: Kontingent – Ablauf – Informationen“ Angaben dazu, dass das Kontingent für die gesamte Gebietskulisse aktuell 32 Individuen betrage, wobei bisher 0 Individuen entnommen worden seien – Stand bis zum heutigen Datum unverändert –, außerdem unter anderem eine Checkliste zur Fischotternentnahme gemäß § 3 AAV n. F., Formulare zur Dokumentation ernster fischereiwirtschaftlicher Schäden und zur Zumutbarkeit eines Fischotterabwehrzauns sowie ein Meldeformular gemäß § 3 Abs. 6 AAV n. F. insbesondere für die Fischotterentnahme.
Am 22. August 2023 hat der Antragsteller zu 1 (14 NE 23.1503) einen Normenkontrollantrag gegen alle drei Verordnungen gestellt (14 N 23.1502) und zugleich den Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 47 Abs. 6 VwGO) beantragt.
Der Senat hat mit Beschluss vom 24. August 2023 von den Verfahren 14 N 23.1502 und 14 NE 23.1503 jeweils denjenigen Teil des Antrags abgetrennt, der sich auf die Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Ausführung des Bayerischen Jagdgesetzes vom 5. Juli 2023 (GVBl. S. 487) bezieht, weil hierfür nicht der 14. Senat, sondern der 19. Senat zuständig ist.
Am 13. September 2023 haben die Antragsteller zu 2 und 3 (14 NE 23.1658) einen Normenkontrollantrag gegen die Verordnung zur Änderung der Artenschutzrechtlichen Ausnahmeverordnung betreffend Ausnahmen für den Fischotter vom 25. April 2023 und die Verordnung zur Ausführung der Artenschutzrechtlichen Ausnahmeverordnung (AVBayAAV) vom 5. Juli 2023 gestellt (14 N 23.1657) und zugleich den Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 47 Abs. 6 VwGO) beantragt.
[…]Den vollständigen Beitrag entnehmen Sie den Bayerischen Verwaltungsblättern Heft 4/2024, S. 129 ff.