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Urlaubsabgeltung – Verjährung – Bedeutung des EuGH-Urteils vom 6.11.2018

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Dem unten vermerkten Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 31.1.2023 lag ein Streit über die Abgeltung von Urlaub aus den Jahren 2010 bis 2015 zugrunde. Klage auf Urlaubsabgeltung erhob der Kläger im Jahr 2019. Der Kläger bekam vom BAG insoweit recht, als ihm ein Urlaubsabgeltungsanspruch gegen die Beklagte zu 1 für die Jahre 2010 bis 2014 zugestanden wurde. Dem Urteil entnehmen wir auszugsweise folgende Erwägungen:

  1. Der Anspruch des Arbeitnehmers auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs (§ 7 Abs. 4 BUrlG) unterliegt der dreijährigen Verjährungsfrist

Dazu führt das BAG aus:

„Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf Urlaubsabgeltung unterliegt der Verjährung. Die Verpflichtung des Arbeitgebers aus § 7 Abs. 4 BUrlG zur Abgeltung des Urlaubs, der wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann, begründet einen Zahlungsanspruch. Dieses Recht ist auf ein Tun des Arbeitgebers als Schuldner gerichtet und damit Anspruch i.S.d. § 194 Abs. 1 BGB. Die dreijährige Verjährungsfrist (§ 195 BGB) beginnt in der Regel mit dem Ende des Jahres, in dem der Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet (§ 199 Abs. 1 BGB). Die Frist ist allerdings gehemmt, solange der verfassungsrechtliche Schutz des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG) und der Anspruch des Arbeitnehmers auf effektiven Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) die Erhebung einer Klage als unzumutbar erscheinen lassen.

§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB knüpft den Beginn der Verjährungsfrist an die Entstehung des Anspruchs. Ein Anspruch ist entstanden, wenn er erstmals geltend gemacht und notfalls klageweise durchgesetzt werden kann. Regelmäßig entsteht ein Anspruch im verjährungsrechtlichen Sinne, wenn er nach § 271 BGB fällig ist, weil der Gläubiger von diesem Zeitpunkt an nach § 271 Abs. 2 BGB mit Erfolg die Leistung fordern und den Ablauf der Verjährungsfrist durch Klageerhebung verhindern kann (vgl. BAG 29.9.2020 – 9 AZR 266/20 (A) – Rn. 30, BAGE 172, 337). Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf Abgeltung nicht gewährten Urlaubs entsteht als solcher mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses und wird grundsätzlich zu diesem Zeitpunkt fällig (vgl. BAG 22.1.2019 – 9 AZR 45/161) – Rn. 30 m.w.N, BAGE 105, 90).

Für den Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist kommt es darauf an, dass der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Die danach geforderte Kenntnis des Gläubigers ist vorhanden, wenn er aufgrund der ihm bekannten Tatsachen gegen eine bestimmte Person eine Klage, sei es auch nur eine Feststellungsklage, erheben kann, die bei verständiger Würdigung so viel Erfolgsaussicht hat, dass sie dem Gläubiger zumutbar ist. Der Verjährungsbeginn setzt aus Gründen der Rechtssicherheit und Billigkeit grundsätzlich nur die Kenntnis der den Anspruch begründenden Umstände voraus. Nicht erforderlich ist es in der Regel, dass der Gläubiger aus den ihm bekannten Tatsachen die zutreffenden rechtlichen Schlüsse zieht (vgl. BAG 29.9.2020 – 9 AZR 266/20 (A) – Rn. 31, BAGE 172, 337).

Erhebt ein Gläubiger gegen den Schuldner Klage, sind die Zivilgerichte gehalten, bei der Bestimmung des Verjährungsbeginns das Eigentumsrecht des Arbeitnehmers und seinen Anspruch auf effektiven Rechtsschutz gegen das Interesse an Rechtssicherheit und Rechtsfrieden abzuwägen. Dies gilt auch in den Fällen, in denen ein Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung geltend macht.

Die Zivilgerichte haben bei der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts die durch die Grundrechte gezogenen Grenzen zu beachten. Sie müssen die im Gesetz zum Ausdruck kommende Interessenabwägung in einer Weise nachvollziehen, die die konkurrierenden Grundrechte der verschiedenen Grundrechtsträger beachtet und unverhältnismäßige Grundrechtsbeschränkungen vermeidet. Sind bei der gerichtlichen Auslegung und Anwendung einfachrechtlicher Normen mehrere Deutungen möglich, verdient diejenige den Vorzug, die den Wertentscheidungen der Verfassung entspricht und die Grundrechte der Beteiligten möglichst weitgehend in praktischer Konkordanz zur Geltung bringt. Der Einfluss der Grundrechte auf die Auslegung und Anwendung der zivilrechtlichen Normen ist nicht auf Generalklauseln beschränkt, sondern erstreckt sich auf alle auslegungsfähigen und -bedürftigen Tatbestandsmerkmale der zivilrechtlichen Vorschriften (BAG 25.1.2022 – 9 AZR 146/21 – Rn. 13).

Begehrt ein Arbeitnehmer von dem Arbeitgeber, nicht genommenen Urlaub abzugelten, ist bei der Beurteilung, zu welchem Zeitpunkt die Verjährungsfrist beginnt, auf Seiten des Arbeitnehmers sowohl die grundrechtliche Gewährleistung des Eigentums als auch der grundrechtsgleiche Anspruch auf effektiven Rechtsschutz betroffen.“

[…]

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 31.1.2023 – 9 AZR 456/20

Den vollständigen Beitrag lesen Sie in der Gemeindekasse Bayern 18/2023, Rn. 169.