Aktuelles

Zum Verhältnis zwischen Familiengericht und Schulbehörde bezüglich Maßnahmen zur Sicherstellung der Schulpflicht

Dmitry Vereshchagin - stock.adobe.com

Art. 7 GG, Art. 129 Abs. 1 BV, § 1666 Abs. 3 Nr. 2 BGB, Art. 35 Abs. 1 BayEUG

Schulpflicht; Kindeswohlgefährdung; Elterliche Sorge; Zwangsgeld

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 20.07.2023, Az. 7 CS 23.1036

Leitsätze
  1. Anders als bei einem Eingriff in die elterliche Sorge nach § 1666 BGB, der eine Gefährdung des Kindeswohls oder des Kindesvermögens voraussetzt, sind Maßnahmen, mit denen die Pflichten der Erziehungsberechtigten nach Art. 76 Satz 2 BayEUG durchgesetzt werden sollen, unabhängig davon möglich, ob aus familienrechtlicher Sicht eine Kindeswohlgefährdung vorliegt oder zu befürchten ist.
  2. Die Einhaltung der Schulpflicht sicherzustellen, ist nicht Aufgabe des Familiengerichts, sondern der jeweiligen Schulbehörde.
Bemerkung der Landesanwaltschaft Bayern

Die Antragsteller wenden sich gegen die Verpflichtung, dafür Sorge zu tragen, dass ihre drei schulpflichtigen Söhne regelmäßig am Unterricht der für sie zuständigen Pflichtschulen teilnehmen sowie die sonstigen verbindlichen Schulveranstaltungen besuchen, sowie die in den angefochtenen Bescheiden enthaltenen Zwangsgeldandrohungen.

1. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) stellt in der Entscheidung klar, dass eine auf Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes über das Landesstrafrecht und das Verordnungsrecht auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (Landesstraf- und Verordnungsgesetz – LStVG) i.V.m. Art. 119 Abs. 1 Nr. 2 Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) gestützte sicherheitsrechtliche Maßnahme kein schuldhaftes Verhalten der Erziehungsberechtigten voraussetzt. Rechtswidrige Taten sind nach der Legaldefinition des Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG solche, die den Tatbestand eines Strafgesetzes oder einer Ordnungswidrigkeit verwirklichen. Für das Vorliegen von Straftaten bzw. von Ordnungswidrigkeiten ist lediglich erforderlich, dass der objektive Tatbestand der Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitennorm verwirklicht ist, ohne dass ein Rechtfertigungsgrund vorliegt.

Aufgrund der Effektivität der Gefahrenabwehr kommt es zudem nicht auf die subjektive Tatseite, auf Verschulden bzw. die Schuldfähigkeit, auf Strafausschließungsgründe oder auf Strafverfolgungshindernisse an.

Unerheblich ist daher, dass im vorliegenden Fall das Amtsgericht – Abteilung für Familiensachen – entschieden hat, familiengerichtliche Maßnahmen seien derzeit nicht veranlasst.

Anders als bei einem Eingriff in die elterliche Sorge nach § 1666 BGB, der eine Gefährdung des Kindeswohls oder des Kindesvermögens voraussetzt, sind Maßnahmen, mit denen die Pflichten der Erziehungsberechtigten nach Art. 76 Satz 2 BayEUG durchgesetzt werden sollen, unabhängig davon möglich, ob aus familienrechtlicher Sicht eine Kindeswohlgefährdung vorliegt oder zu befürchten ist. Die Einhaltung der Schulpflicht sicherzustellen, ist nicht Aufgabe des Familien gerichts, sondern der jeweiligen Schulbehörde. Diese hat in eigener Zuständigkeit zu prüfen, wie sie die Einhaltung der vorliegend unstreitig nicht gewährleisteten Schulpflicht durchsetzt.

2. Der BayVGH weist außerdem darauf hin, dass den Erziehungsberechtigten die Darlegungs- und Beweislast dafür obliegt, dass sie tatsächlich ihren Pflichten nach Art. 76 Satz 2 BayEUG durch ausreichende und zielführende Anstrengungen nachgekommen sind.

3. Der BayVGH betont erneut, dass nach § 1631 Abs. 1 BGB die Personensorge nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht umfasst, u.a. das Kind zu erziehen. Damit haben im Wesentlichen sie kraft ihrer Stellung als Erziehungsberechtigte und aufgrund der vorliegend bestehenden häuslichen Gemeinschaft die Verpflichtung, im Rahmen einer gewaltfreien Erziehung unmittelbar erzieherisch auf ihre minderjährigen Kinder einzuwirken (stRspr., vgl. Beschluss vom 07.03.2023, Az.7 CS 23.324, juris Rn. 9 f., Beschluss vom 30.06.2022, Az. 7 CE 22.925, juris Rn. 9).

4. Erneut stellt der BayVGH auch klar, dass der Besuch einer Schule in Präsenz ein Kernelement der Schulpflicht ist (vgl. Beschluss vom 30.06.2022, Az. 7 CE 22.925, juris Rn. 13 m.w.N.).

 

Oberlandesanwältin Beate Simmerlein ist bei der Landesanwaltschaft Bayern schwerpunktmäßig u.a. zuständig für Schul- und Hochschulrecht, Medienrecht, Landesbeamtenrecht und Waffenrecht.

 

 

Weitere Beiträge der LAB.

Die auf bestimmte Rechtsgebiete spezialisierten Juristinnen und Juristen der Landesanwaltschaft Bayern stellen monatlich eine aktuelle, für die Behörden im Freistaat besonders bedeutsame Entscheidung vor.