Rechtsprechung Bayern

Ziviler Ungehorsam aus Sicht des Straf- und Verwaltungsrechts

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Ein Bericht von der Herbsttagung der Arbeitsgemeinschaft.

Die Ende November 2023 stattgefundene Herbsttagung der Arbeitsgemeinschaft für Verwaltungsrecht im Deutschen Anwaltverein (Landesgruppe Bayern) befasste sich inhaltlich mit einer sehr aktuellen Thematik, die nicht nur rechtlich, sondern insbesondere gesellschaftlich sehr kontrovers diskutiert wird: Im Fokus der Veranstaltung standen die straf- und verwaltungsrechtliche Einordnung der sogenannten Klimaproteste der „Letzten Generation“, die dem Auditorium in zwei Fachvorträgen präsentiert wurden.

Nachdem die letzten Tagungen der Arbeitsgemeinschaft Verwaltungsrecht pandemiebedingt – aber auch aufgrund der sehr guten Resonanz der Teilnehmerinnen und Teilnehmer – virtuell stattgefunden hatten, lud die Arbeitsgemeinschaft Verwaltungsrecht zur Herbsttagung zu einer Präsenzveranstaltung in den Kaisersaal nach Regensburg, also an den Ort, in der die Arbeitsgemeinschaft Verwaltungsrecht seinerzeit gegründet worden war.

Der Vorstand der Arbeitsgemeinschaft hatte für die Herbsttagung mit Dr. iur. Tamina Preuß eine Referentin gewonnen, die als Habilitandin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Internationales Strafrecht, Strafprozessrecht, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht der Julius-Maximilians-Universität Würzburg tätig ist und die den zivilen Ungehorsam aus strafrechtlicher Sicht darstellte. Als weiterer Referent stand mit Prof. Dr. Kyrill-Alexander Schwarz, der die Lehrprofessur für Öffentliches Recht am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht sowie Rechtsphilosophie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg innehat, ein Fachmann des Öffentlichen Rechts parat, der die „Klimakleber“ und ähnliche Proteste aus dem Blickwinkel des Verwaltungsrechts beleuchtete. Beide hatten neben diversen Veröffentlichungen im Strafrecht und Verwaltungsrecht jüngst in NZV 2023, 60 und NJW 2023, 275 zum Thema publiziert, sodass sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Regensburg auf eine Sicht der Dinge aus zweierlei Perspektiven freuen konnten.

Nach der Begrüßung durch den 1. Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht Dr. Klaus-Richard Luckow (Regensburg), begann Preuß ihr Referat zunächst mit einem Blick auf die aktuelle mediale Berichterstattung, wobei sie insbesondere auf die „Letzte Generation“ in der Eigendarstellung, aber auch in der öffentlichen Wahrnehmung einging. Sodann stellte Preuß die in Betracht kommenden Straftatbestände der Klimaproteste umfassend und sehr anschaulich dar. Auffällig hierbei waren zum Teil diametrale Rechtsauffassungen der Strafgerichte am Beispiel des AG Berlin-Tiergarten für den Straftatbestand des § 113 StGB (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, BeckRS 2022, 31817, aufgehoben durch LG Berlin, B.v. 21.11.2012 – 534 Qs 80/22).

Preuß ging ferner auf mögliche Straftatbestände wie Nötigung (§ 240 StGB), Behinderung von hilfeleistenden Personen und von Hilfs- und Rettungsdiensten (§§ 323c Abs. 2, 115 Abs. 3 StGB), fahrlässige Tötung und Körperverletzung (§§ 222, 229 StGB), gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315b StGB), gemeinschädliche Sachbeschädigung (§§ 303, 304 StGB), gefährlichen Eingriff in den Bahn- und Luftverkehr (§ 315 StGB), Verstöße gegen Versammlungsgesetze sowie den Missbrauch von Notrufen (§ 145 StGB) und Hausfriedensbruch (§ 123 StGB) ein. Ferner warf sie bei der „Letzten Generation“ die Frage nach dem Vorliegen einer kriminellen Vereinigung im Sinn des § 129 StGB auf. Preuß nahm sodann mögliche Rechtfertigungsgründe wie den „zivilen Ungehorsam“, den rechtfertigenden Notstand sowie das Widerstandsrecht des Art. 20 Abs. 4 GG in den Blick.

Die Referentin ging sodann auf die „Klimakleber“ in der kriminalpolitischen Diskussion ein, sah aber keine Anhaltspunkte dafür, dass im aktuell geltenden Strafrecht ausfüllungsbedürftige Lücken bestünden. Die Ausführungen von Preuß legten nahe, dass die Klimaproteste der „Letzten Generation“ mit der Verwirklichung von Straftatbeständen verbunden sind, für die es keine Rechtfertigungsgründe gibt. Gleichwohl kam Preuß zu dem Fazit, dass die strafrechtliche Bewertung der Klimaproteste in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt sei. Der versammlungsrechtlichen Rechtsprechung könne über § 240 Abs. 2 StGB jedoch Einfluss auf die strafgerichtlichen Entscheidungen zukommen. Ferner würden die Möglichkeiten des geltenden (Straf-)Rechts zur Ahndung der Klimaproteste aus derzeitiger Sicht ausreichen.

Im Anschluss an die strafrechtliche Sicht der Klimaproteste befasste sich der zweite Referent, Prof. Schwarz, mit dem zivilen Ungehorsam aus der Sicht des Verwaltungsrechts. Hierbei ging er insbesondere auf versammlungsrechtliche Fragestellungen ein. Schwarz widmete sich zunächst präventiven Klebverboten und ging auf die Entscheidung des OVG Berlin-Brandenburg (B.v. 28.04.2023 – OVG 1 – S 33/23), das eine präventive Verbotsverfügung als zu unbestimmt erachtet hat, ein. In diesem Zusammenhang warf er die Frage auf, in welchem Verhältnis Versammlungsrecht und Polizeirecht stehen. Das Versammlungsrecht habe zwar grundsätzliche Spezialität, allerdings sei ein Rückgriff auf das allgemeine Gefahrenabwehrrecht bei Maßnahmen, die sich nicht gegen die gesamte Versammlung, sondern gegen einzelne Teilnehmer richten, unter bestimmten Umständen möglich. Voraussetzung sei eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit, die in der Regel zu bejahen sei.

Allerdings bestehe ein Problem der Angemessenheit derartiger präventiver Klebeverbote, gerade mit Blick auf die Dauer der angeordneten Maßnahme, da in derartigen Fällen eine sachgerechte Gefahrenprognose nicht mehr möglich sein dürfte. Sodann nahm der Referent den präventiven Unterbindungsgewahrsam nach Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 PAG in den Blick. Dieser sei nach Art. 19 Abs. 2 Satz 2 PAG bis zu einer Gesamtdauer von zwei Monaten möglich, diese Regelung begegne nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes (E.v. 14.06.2023 – Vf. 15-VII-18 – BayVBl. 2023, 735 [Ls.]) auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Denn die Regelung diene bei enger Auslegung der tatbestandlichen Voraussetzungen einem legitimen Ziel mit verfassungskonformen Mitteln.

Sodann widmete sich Schwarz dem Versammlungsverbot unter Berücksichtigung aktueller Rechtsprechung (HessVGH, B.v. 14.10.2023 – 2 B – 1423/23). Voraussetzung sei eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bei Durchführung der Versammlung. Erforderlich sei eine konkrete Sachlage, die den Eintritt eines Schadens mit hoher Wahrscheinlichkeit erwarten lasse und bei ungehindertem Geschehensablauf zu einem entsprechenden Schaden für die gefährdeten Rechtsgüter führe. Die besondere Bedeutung der Versammlungsfreiheit liege in der Freiheit, selbst zu entscheiden, wann, wo und unter welchen Modalitäten die Versammlung stattfinden solle. Allerdings sei eine Sitzblockade dann keine geschützte Versammlung mehr, wenn die Verkehrsbeeinträchtigung nicht lediglich unbeabsichtigte Nebenfolge mehr sei, sondern gerade das (Nah-)Ziel darstelle. Art. 8 GG sei kein Freibrief dafür, Dritte für die Durchsetzung eigener Ziele in Anspruch oder Haftung zu nehmen. Die zwangsweise Benutzung Dritter als Instrument der eigenen Zielverfolgung sei eine Beeinträchtigung der Grundrechte Dritter, die dazu führe, dass der unbeteiligte Dritte durch das Meinungsoktroi der Demonstranten zum Objekt werde.

Anschließend ging Schwarz auf einzelne verwaltungsvollstreckungsrechtliche Fragestellungen ein und befasste sich mit Aktionen der „Last Generation“ zunächst unter dem Blickwinkel der straßenrechtlichen Sondernutzung, wonach für eine Sondernutzung öffentlicher Straßen die Erhebung entsprechender Gebühren grundsätzlich möglich sei. Sodann warf der Referent die Frage nach einer polizeirechtlichen Kostentragungspflicht auf. Das Versammlungsrecht entfalte gegenüber allgemeinem Polizeirecht nur dann Sperrwirkung, wenn das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit betroffen sei, was bei unfriedlichen Versammlungen nicht der Fall sei (VG Gießen, U.v. 04.03.2022 – 4 K 2855/21). Allerdings bestehe keine generelle Kostentragungspflicht, weil typischerweise keine Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung existiere.

Denn es liege weder eine Ersatzvornahme noch eine unmittelbare Ausführung vor, weshalb insoweit keine Gebührentatbestand erfüllt sei, wenn die polizeiliche Maßnahme nur der (Wieder-)Herstellung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs diene (VG Berlin, B.v. 21.09.2023 – VG 1 L 363/23).

Auch Schwarz warf die Frage nach der Legitimität des Verhaltens bei Widerstand und zivilem Ungehorsam auf. Bei den Klimaprotesten handele es sich um vorsätzliche Regelverletzungen mit symbolischem Charakter, um damit einer aus Sicht der Klimakleber für verhängnisvoll und ethisch illegitim erachteten Politik entgegentreten zu können. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts rechtfertige ziviler Ungehorsam keine Maßnahmen, die in Rechte Dritter eingreifen und diese zum Objekt der Durchsetzung eigener Überzeugungen machen. Zudem würden Straftaten, die zur Erreichung politischer Ziele begangen werden, nicht deshalb legalisiert, weil damit zugleich das Mehrheitsprinzip und die Allgemeinheit des geltenden Rechts infrage gestellt werde.

Auch aus Art. 8 GG oder anderen Grundrechten sei bei den beschriebenen Aktionen der Klimaproteste keine Rechtfertigung von zivilem Ungehorsam möglich. Schwarz vertrat die Auffassung, dass der Klimaschutz keinen unbedingten Vorrang genieße, der die Eingriffe gegenüber Privaten rechtfertige.

Es sei eine wesentliche Errungenschaft moderner Demokratien, dass sich jede Handlung, unabhängig davon, ob sie ihre Grundlage in Religion, Moral oder einer vermeintlich unumstößlichen Gemeinwohlidee finde, ausnahmslos am Vorrang des Rechts beziehungsweise an seiner Verbindlichkeit zu messen habe. Für die Rechtmäßigkeit polizei- und sicherheitsrechtlicher Maßnahmen sei die (außerrechtliche) Kategorie des „zivilen Ungehorsams“ deshalb bedeutungslos. Vermeintlich edle Zwecke, die hinter der Schaffung einer konkreten Gefahr stehen mögen, seien für das Versammlungsrecht und die Gefahrbeseitigung ohne Belang.

Preuß und Schwarz gelang es im Rahmen dieser Veranstaltung, sowohl die strafrechtliche wie auch die verwaltungsrechtliche Sichtweise im Zusammenhang mit den so genannten Klimaprotesten nicht nur umfassend, sondern anschaulich und insbesondere kurzweilig darzustellen. Nachdem aus dem Kreis der Teilnehmerinnen und Teilnehmer noch Fragen beantwortet beziehungsweise Diskussionsanstöße zu den gehaltenen Fachvorträgen aufgegriffen worden waren, beendet Luckow den offiziellen Teil der Tagung und die Anwesenden hatten – wie bei Präsenzveranstaltungen der Arbeitsgemeinschaft üblich – Gelegenheit, sich bei gereichten Getränken und Canapés im persönlichen Gespräch untereinander austauschen.

Beitrag entnommen aus Bayerische Verwaltungsblätter 11/2024, S. 373.