Die Kultur im Bayerischen Landtag hat sich – im wie außerhalb des Plenarsaals – in den letzten Jahren verändert. Den ordnungsgemäßen Parlamentsbetrieb zu gewährleisten, wird hier – wie auch in anderen Parlamenten – zur immer größeren Herausforderung. Hierauf hat der Bayerische Landtag gleich zu Beginn der aktuellen 19. Wahlperiode 2023 bis 2028 reagiert und ein neues Ordnungsmittel eingeführt: das Ordnungsgeld nach Art. 4a Bayerisches Abgeordnetengesetz. Der Beitrag beleuchtet schwerpunktmäßig den Hintergrund und die Genese der Einführung des Ordnungsgeldes sowie den Inhalt der Neuregelung aus Sicht eines langjährigen Parlamentsrechtspraktikers. Zudem gibt er einen kurzen Abriss zu weiteren angedachten Instrumenten zur Stärkung der Funktionsfähigkeit und Integrität des Bayerischen Landtags.
I. Einleitung – Problemaufriss
Grundsätzlich ist die Auseinandersetzung mit parlamentsrechtlichen Konfliktfeldern, wie im Rahmen der 5. Bayreuther Gespräche zum Recht Bayerns in Deutschland und Europa unter der Überschrift „Parlament und öffentliche Einrichtung zwischen Neutralität und Politizität“ geschehen1, sehr begrüßenswert. Weniger erfreulich ist jedoch der Anlass hierfür. Verschiedene Vorkommnisse in der letzten Zeit rücken das Bedürfnis in den Vordergrund, die Parlamente durch wirksame Maßnahmen vor verfassungsfeindlichen Einflüssen und Störungen zu schützen.
Überlegungen, neue Instrumente zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Parlamentsbetriebes einzuführen, gibt es schon seit geraumer Zeit. Die Präsidentin des Bayerischen Landtags Ilse Aigner hat hierauf schon zum Ende der 18. Wahlperiode2 wiederholt hingewiesen. So führte sie in ihren Schlussworten am 20. Juli 2023 aus:
„[…] Wenn Rügen, für die sich jeder vernünftige Abgeordnete schämt, in manchen Kreisen als Trophäe gelten, brauchen wir ein neues Instrument. Wer glaubt, Hass und Hetze gehörten zur Leistungsbilanz eines Volksvertreters, muss für diesen Irrtum dann eben bezahlen […]“3.
Gleich zu Beginn der 19. Wahlperiode kam die Präsidentin in der konstituierenden Sitzung am 30. Oktober 2023 konsequent darauf zurück:
„[…] Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus der vergangenen Legislaturperiode habe ich gelernt und lernen müssen. Wir mussten leider zu oft eine bis dahin einzigartige Verrohung der politischen Kultur in Bayern erleben. Das hat, oftmals auch in voller Absicht, Aufregung provoziert. Die Aufregung hat den guten Debatten im Hause und dem Erscheinungsbild des Parlaments nach außen geschadet. Rügen, die wir als Präsidium […] erteilt haben, wurden von einigen schlicht und ergreifend wie Trophäen vor sich hergetragen, hinaus in die eigene Fanwelt-Blase. Für mich ist damit letztlich eine Herabwürdigung eines demokratischen Verfassungsorgans verbunden.
Sie können sich sicher sein, dass ich das auch in Zukunft nicht hinnehmen werde. […] Im Landtag gibt es ein Regelwerk […] zum Umgang und Wettbewerb miteinander. Ich schlage vor, dieses Regelwerk nachzuschärfen. […] Ich schlage den Fraktionen vor, dass Sanktionen bei Fehlverhalten in letzter Konsequenz auch mit finanziellen Einbußen verbunden sein sollen – wie übrigens auch im Deutschen Bundestag.
Sie sollen verhältnismäßig, aber spürbar sein. Das ist ein scharfes Schwert gegen Verrohung, gezielte Störung, persönliche Missachtung und Angriffe auf die Autorität des Landtags. Ich sage noch eines dazu: Ich werde auch auf das Verhalten außerhalb des Plenarsaals, aber im Hohen Haus achten. Ich sage Ihnen: Verfassungsfeindliche Gesinnungstrinker sollen hier keine Bühne haben. Journalisten bedrängen oder rassistische Handzeichen machen, das hat hier keinen Platz. Wenn eine Gästegruppe außer Kontrolle gerät, dann muss auch der Gastgeber zur Verantwortung gezogen werden. Der Boden unserer Verfassung ist in diesem Haus besonders verletzlich. Ich versichere Ihnen: Ich will die Demokratie schützen […]4“.
Mit diesen eindrücklichen Worten war der Grundstein für die Einführung eines Instrumentariums gelegt, das einen entscheidenden Beitrag zum ordnungsgemäßen Parlamentsbetrieb gewährleisten soll: das Ordnungsgeld.
Die Einführung des Ordnungsgeldes nach Art. 4a Bayerisches Abgeordnetengesetz (im Folgenden: BayAbgG) soll im vorliegenden Beitrag schwerpunktmäßig behandelt werden. Differenziert wird nach dem Ordnungsgeld wegen Verstößen gegen die Sitzungsordnung nach Art. 4a Abs. 1 BayAbgG, auf das hier der Fokus gelegt wird (siehe hierzu Ausführungen unter II. 1.), und dem Ordnungsgeld wegen Verstößen gegen die Hausordnung nach Art. 4a Abs. 2 BayAbgG (siehe hierzu Ausführungen unter II. 2.). Schließlich sollen überblicksartig weitere angedachte Ansätze zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Parlamentsbetriebs angerissen werden (siehe hierzu Ausführungen unter III.). Der Beitrag schließt mit einem Fazit und Ausblick (siehe hierzu Ausführungen unter IV.).
Bei dem vorliegenden Beitrag handelt es sich um einen Praxisbericht, der die genannten Themen besonders aus dem Praxisblick des seit fast 40 Jahren im Bayerischen Landtag tätigen Autors behandelt. Die schwerpunktmäßig rechtsdogmatische Betrachtungsweise wird gerne der Wissenschaft überlassen5.
II. Ordnungsgeld
1. Ordnungsgeld wegen Verstößen gegen die Sitzungsordnung
a. Hintergrund
Im Bayerischen Landtag hat sich der Ton der politischen Debatte seit Beginn der 18. Wahlperiode wieder verschärft. Um das „wieder“ zu erläutern, wird nachfolgend ein kurzer Exkurs in die Vergangenheit dargestellt: Als der Autor dieses Beitrags im Mai 1986 aus dem Bereich des Bayerischen Staatsministeriums des Innern an den Bayerischen Landtag versetzt wurde, waren dort nach der Landtagswahl 1982 zwei Fraktionen vertreten: die CSU mit 58,3 % der gültigen Gesamtstimmen und die SPD mit 31,9 %; DIE GRÜNEN waren mit 4,6 % der Stimmen knapp an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert6. Bei der Landtagswahl im Herbst 19867 zogen DIE GRÜNEN erstmals mit 7,5 % in den Bayerischen Landtag ein. Die CSU mit 55,8 % und die SPD mit 27,5 % erlitten „hohe“ Verluste8. Mit der Zunahme an Fraktionen und den Abgeordneten der GRÜNEN entwickelte sich eine andere Debattenkultur, eine härtere Auseinandersetzung war die Folge und gipfelte in der 12. Wahlperiode9 in 41 Rügen, sieben Ordnungsrufen und einem Sitzungsausschluss.
Rügen erfolgten in den 1980er-/1990er-Jahren auch schon bei aus heutiger Sicht vergleichsweise harmlosen Ausdrücken wie „Spitzbube“10, „Spaßvogel“11 oder „Koalition der Faulpelze“ 12. Die Rügen verteilten sich auf alle Fraktionen. Nach der 12. Wahlperiode bis zum Beginn der 18. Wahlperiode 2018, das heißt von 1994 bis 2018, wurde jahrzehntelang nur eine Handvoll Rügen erteilt13.
Mit der 18. Wahlperiode kehrte ein rauerer Ton zurück. Erstmals gab es sechs Fraktionen – CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN14, FREIE WÄHLER, AfD, SPD und FDP15. Die Anzahl der Rügen gegenüber Mitgliedern des Landtags wegen persönlich verletzender Ausführungen oder Störungen der Ordnung16 stieg wieder deutlich. Die traurige Bilanz der 18. Wahlperiode: 26 Rügen im Plenum, eine in einem Ausschuss sowie eine Wortentziehung.
Der Unterschied zu früheren Wahlperioden: eine durchwegs aggressivere Grundstimmung mit härterer Ausdrucks- und Handlungsweise bei einer nicht ausschließlichen, aber auffälligen Konzentration der Adressaten von Ordnungsmaßnahmen bei einer Fraktion. Ein Abgeordneter brachte es alleine auf fünf Rügen17.
Beispielhaft sei hier der Auftritt eines Abgeordneten erwähnt, der im Juli 2020 als Kritik an den Corona-Maßnahmen unter dem Hinweis, dass doch eine Maskenpflicht bestünde, mit Gasmaske an das Redepult trat und diese trotz mehrfacher Aufforderung nicht abnahm. Er erhielt zunächst eine Rüge, dann entzog ihm der sitzungsleitende Landtagsvizepräsident Alexander Hold das Wort18.
Während des Redebeitrags der Fraktionsvorsitzenden von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Juli 2023 trat ein Abgeordneter neben das Redepult und hielt in Richtung des Plenums ein die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN als „Wahlbetrüger“
verunglimpfendes Plakat hoch. Das Schild war auf der einen Seite mit einem Wahlkampf-Slogan der GRÜNEN aus dem Landtagswahlkampf 2018 („Keine Waffen und Rüstungsgüter in Kriegsgebiete“) bedruckt. Auf der anderen Seite war dieser Slo- gan mit der Aufschrift „Wahlbetrüger“ versehen. Er erhielt eine Rüge der Landtagspräsidentin Ilse Aigner und wurde von einem Offizianten weggeführt19.
Zudem gab es etliche persönlich verletzende Äußerungen wie zum Beispiel die Bezeichnung der damals amtierenden Bundeskanzlerin als „Stasi- und Schnüffelkanzlerin“20, eines Bayerischen Staatsministers als „Irrer“21 oder eines anderen Bayerischen Staatsministers als ein solcher mit „nur Stroh im Hirn“22.
Die verhängten Ordnungsmaßnahmen schienen kaum abschreckende Wirkung zu entfalten. Sie wurden im Nachgang nicht selten auf Social-Media-Kanälen zur Schau getragen. Das zu diesem Zeitpunkt geltende Reglement der Ordnungsmaßnahmen der §§ 116 und 117 der Geschäftsordnung für den Bayerischen Landtag23 (BayLTGeschO, hier: a. F.) sah für Wortergreifen ohne Worterteilung, persönlich verletzende Ausführungen oder Zwischenrufe oder im Falle einer gröblichen Störung der Ordnung neben der Rüge, dem Ordnungsruf sowie der Wortentziehung nur den Sitzungsausschluss vom weiteren Verlauf der aktuellen Sitzung oder für die Dauer von bis zu zehn weiteren Sitzungen der Vollversammlung vor.
Da damit – verkürzt gesagt – bei persönlich verletzenden Ausführungen oder der Störung der Ordnung neben der – wenig Wirkung entfaltenden – Rüge, dem Ordnungsruf und der Wortentziehung, als nächst schärfere Sanktionen nur der Sitzungsausschluss, und damit ein sehr starker Eingriff in die aus Art. 13 Abs. 2 BV entspringenden Rede-, Abstimmungs- und Anwesenheitsrechte der Abgeordneten folgte, wurde der Sanktionskatalog als nicht mehr passgenau und ausreichend ausdifferenziert erachtet.
Konkret entstand die Überlegung, in die Hierarchie der Ordnungsmaßnahmen zwischen dem Ordnungsruf und der Wortentziehung einerseits sowie dem Sitzungsausschluss andererseits ein weiteres Instrumentarium einzubauen, das die „störenden“ Abgeordneten merklich trifft, ohne sie zu stark in ihren genannten verfassungsrechtlich verbürgten Rechten, insbesondere aus Art. 13 Abs. 2 BV, zu beschneiden: das Ordnungsgeld.
[…]1 Vgl. zu den einzelnen Beiträgen den Tagungsbericht zu den „Fünften Bayreuther Gesprächen zum Recht Bayerns in Deutschland und Europa“ in BayVBl. 2025, 9.
2 2018 bis 2023.
3 LT-Prot. 18/152 v. 20.07.2023, S. 21863; Hinweis: Drucksachen, Plenarprotokolle u. a. sind im Internet unter www.bayern.landtag.de – Dokumente abrufbar.
4 LT-Prot. 19/1 v. 30.10.2023, S. 21 f.
5 Siehe hierzu z. B. Neidinger, Ordnungsmittel im Bayerischen Landtag: Ein Plädoyer zur Einführung eines Ordnungsgeldes gegen Abgeordnete, BayVBl. 8/2024, 253 ff.; Neidinger, Zur Einführung eines Ordnungsgelds im Bayerischen Landtag, Reformation des Ordnungsrechts, abrufbar unter: https://publicus.boorberg.de/zur-einfuehrung-eines-ordnungsgeldsim-bayerischen-landtag/ (zuletzt abgerufen am 10.11.2024).
6 Mitteilungen und Bekanntmachungen des Landeswahlleiters des Freistaates Bayern, Wahl zum Bayerischen Landtag am 10.10.1982, S. 1, abrufbar unter www.statistischebibliothek.de/mir/receive/BYHeft_mods_00013178 (zuletzt abgerufen am 10.11.2024).
7 Bis 1998 wurde der Landtag in Bayern auf vier Jahre gewählt. Im Februar 1998 wurde Art. 16 BV geändert und die Legislaturperiode auf fünf Jahre verlängert. Siehe hierzu Gesetz zur Änderung der Verfassung des Freistaates Bayern, Verfassungsreformgesetz – Reform von Landtag und Staatsregierung vom 20.02.1998, GVBl. 5/1998, S. 39.
8 Mitteilungen und Bekanntmachungen des Landeswahlleiters des Freistaates Bayern, Wahl zum Bayerischen Landtag am 12.10.1986, S. 3, abrufbar unter www.statistischebibliothek.de/mir/receive/BYHeft_mods_00013179 (zuletzt abgerufen am 10.11.2024).
9 1990 bis 1994.
10 LT-Prot. 11/6 v. 10.12.1986, S. 148.
11 LT-Prot. 12/53 v. 22.05.1992, S. 3479.
12 LT-Prot. 12/137 v. 21.07.1994, S. 9426 f.
13 Im Einzelnen siehe LT-Prot. 14/35 v. 17.02.2000, S. 2288; LT-Prot. 16/22 v. 27.05.2009, S. 1672; LT-Prot. 16/116 v. 12.12.2012, S. 10832; LT-Prot. 16/129 v. 20.06.2013, S. 12172.
14 Zur Veränderung des Parteinamens von „DIE GRÜNEN“: Der Landeverband der Grünen in Bayern wurde 1979 gegründet. 1993 schlossen sich „DIE GRÜNEN“ mit dem 1990 in der DDR entstandenen „BÜNDNIS 90“ zur Bundespartei „BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN“ zusammen, vgl. Historisches Lexikon Bayerns, abrufbar unter www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/B%C3%BCndnis_90/Die_Gr%C3 %BCnen_in_Bayern#Organisationsstruktur_und_F%C3 %BChrungspersonal (zuletzt abgerufen am 10.11.2024).
15 Der Landeswahlleiter des Freistaates Bayern, Wahl zum 18. Bayerischen Landtag in Bayern am 14.10.2018, S. 5, abrufbar unter www.statistischebibliothek.de/mir/receive/BYHeft_mods_00011567 (zuletzt abgerufen am 10.11.2024).
16 Nach § 117 Abs. 1 der Geschäftsordnung für den Bayerischen Landtag in der Fassung der Bekanntmachung vom 14.08.2009 (GVBl. S. 420, BayRS 1100-3-I), die zuletzt durch Beschluss vom 30.10.2023 (GVBl. S. 620) und durch Beschluss vom 15.11.2023 (GVBl. S. 622) geändert worden ist.
17 Siehe hierzu LT-Prot. 18/26 v. 18.07.2019, S. 3149; LT-Prot. 18/34 v. 05.12.2019, S. 4310; LT-Prot. 18/81 v. 20.04.2021, S. 10754; LT-Prot. 18/101 v. 09.12.2021, S. 13799; LT-Prot. 18/152 v. 20.07.2023, S. 21864.
18 Siehe hierzu LT-Prot. 18/51 v. 07.07.2020, S. 14.
19 LT-Prot. 18/152 v. 20.07.2023, S. 21864 f.
20 LT-Prot. 18/10 v. 21.02.2019, S. 710, nachträglich gerügt am 26.02.2019, sh. LT-Prot. 18/11, S. 727.
21 LT-Prot. 18/101 v. 09.12.2021, S. 13799.
22 LT-Prot. 18/147 v. 14.06.2023, S. 20870, nachträglich gerügt am 22.06.2023, sh. LT-Prot. 18/148, S. 21084.
23 In der bis zur Beschlussfassung am 17.07.2024 geltenden Fassung der Geschäftsordnung für den Bayerischen Landtag in der Fassung der Bekanntmachung vom 14.08.2009 (GVBl. S. 420, BayRS 1100-3-I), die zuletzt durch B.v. 30.10.2023 (GVBl. S. 620) und durch B.v. 15.11.2023 (GVBl. S. 622) geändert worden ist.
[…]Den vollständigen Beitrag lesen Sie in Bayerische Verwaltungsblätter 01/2025, S. 1.