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Straßenrecht: Widmungsfiktion im Flurbereinigungsverfahren

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Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat sich im unten vermerkten Beschluss vom 17.6.2024 mit einer straßenrechtlichen Widmungsfiktion in einem Flurbereinigungsverfahren befasst. Der Antragsteller zu 1 begehrte die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Anfechtungsklage gegen die Widmung eines beschränkt-öffentlichen Wegs. Er betreibt einen Pensionspferde- und Ausbildungsstall und nutzt seit langer Zeit einen Feld- und Waldweg, um mit seinen Pferden auf die Koppeln zu gelangen. Die Straßengrundstücke sind in dem am 5.8.1976 erstellten Flurbereinigungsplan Teil II als öffentlicher Feld- und Waldweg verzeichnet; der Wege- und Gewässerplan war vorab am 24.2.1969 vorläufig festgestellt worden. Nach dem Ausbau des Wegs im Jahr 2023 widmete der Antragsgegner den neuen Weg als beschränkt-öffentlichen Weg (Geh- und Radweg) und ordnete die sofortige Vollziehung an. Das Verwaltungsgericht (VG) stellte auf Antrag des Antragstellers die aufschiebende Wirkung der Klage wieder her. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Antragsgegners blieb ohne Erfolg. Dem Beschluss des VGH kann Folgendes entnommen werden.

Anfechtbarkeit der Widmungsverfügung

„Das VG hat zutreffend erkannt, dass das in der Hauptsache begehrte Klageziel durch Anfechtung der Widmungsverfügung verfolgt werden kann. Der Antragsteller zu 1 will die Zulassung weiterer Teilbereiche des Gemeingebrauchs erstreiten (insbesondere Reiten und Kutschfahrten), die den Straßennutzern aufgrund der Einordnung als beschränkt-öffentlicher Weg (Geh- und Radweg) nicht eingeräumt sind. Damit begehrt er den Erlass einer neuen Widmung, die ihm umfassendere Nutzungsmöglichkeiten bietet. Ein solches Begehren ist grundsätzlich mit der Verpflichtungsklage zu verfolgen (vgl. BayVGH, U. v. 5.12.2002 – 8 B 96.3098 – BayVBl 2003, 526 = juris Rn. 26). Im vorliegenden Fall besteht aber die Besonderheit, dass vor Erlass der Widmung bereits ein öffentlicher Feld- und Waldweg bestand, den der Antragsteller zu 1 für seine weitergehenden Nutzungszwecke über lange Zeit in Anspruch genommen hat. Der Antragsteller zu 1 erstrebt, diesen vormaligen Rechtszustand durch Aufhebung der angegriffenen Widmung wiederherzustellen. In einem solchen Fall kann der Kläger den ihn in seiner Gesamtheit belastenden Widmungsakt anfechten …“

Antragsbefugnis des Anliegers

Der VGH erachtet den Antragsteller im vorliegenden Einzelfall entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO als antragsbefugt:

„Zwar hat er als Anlieger keinen Rechtsanspruch darauf, dass die Widmung uneingeschränkt oder anders eingeschränkt ausgesprochen wird oder unterbleibt. Ihm kann im Einzelfall aber ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung, insbesondere auf sachgerechte Abwägung der sich aus der Widmungsbeschränkung für ihn ergebenden Folgen zustehen (vgl. BayVGH, U. v. 24.10.2002 – 8 B 98.873 – BayVBl 2003, 337 = juris Rn. 22; Herber in Kodal, Handbuch Straßenrecht, 8. Aufl. 2021, § 7 Rn. 86). Dies erscheint vorliegend möglich. Der Antragsteller zu 1 macht geltend, als Betreiber seines Reiterhofs auf die Nutzung des streitbefangenen Wegs u.a. für Reiter und Kutschenfahrer angewiesen zu sein. Damit macht er konkrete Umstände geltend, die über seine bloße Stellung als Anlieger des gewidmeten Wegs hinausgehen (vgl. auch Häußler in Zeitler, BayStrWG, Stand Januar 2023, Art. 6 Rn. 28 m.w.N.).“

Widmungsfiktion im Flurbereinigungsverfahren

„Das VG hat zutreffend erkannt, dass der Weg auf den Grundstücken … bereits als öffentlicher Feld- und Waldweg (Art. 53 Nr. 1 BayStrWG) gewidmet war. Für die Widmungsfiktion nach Art. 6 Abs. 6 BayStrWG i.d.F.v. 25.4.1968 (GVBl S. 64) war auf die Anordnung im Wege- und Gewässerplan nach § 41 FlurbG abzustellen und nicht auf den Flurbereinigungsplan (§ 58 FlurbG).

Nach Art. 6 Abs. 6 Satz 1 BayStrWG i.d.F.v. 25.4.1968 (GVBl. S. 64) galt eine Straße mit der Verkehrsübergabe als gewidmet, wenn im Rahmen eines aufgrund anderer Rechtsvorschriften durchgeführten förmlichen Verfahrens ihr Bau oder ihre Änderung angeordnet wurden. Der Gesetzgeber hatte diesbezüglich vor allem das Flurbereinigungsrecht vor Augen; nach § 41 FlurbG werden die wegerechtlichen Verhältnisse durch den Wege- und Gewässerplan geregelt (vgl. Gesetzentwurf der Staatsregierung, Bayerischer Landtag, 3. Legislaturperiode, Beilage 2832 S. 23). Der Umstand, dass der Flurbereinigungsplan für die Flurbereinigung S…, der den Wege- und Gewässerplan umfasst hat (§ 58 Abs. 1 Satz 2 FlurbG), erst am 5.8.1976 und damit nach Außerkrafttreten dieser Gesetzesfassung zum 1.7.1974 (GVBl S. 116) erlassen wurde, ist rechtlich unerheblich. Die ,Anordnung‘ im Sinn des Art. 6 Abs. 6 Satz 1 BayStrWG i.d.F.v. 25.4.1968 erfolgte bereits mit der vorläufigen Feststellung des Straßen- und Gewässerplans am 24.2.1969 (§ 41 Abs. 3 Satz 1 FlurbG i.d.F.v. 14.7.1953; …). Die vorläufige Feststellung des Wege- und Gewässerplans war als echte (endgültige) Planfeststellung anzusehen; die Änderung in § 41 FlurbG i.d.F.v. 15.3.1976 (BGBl I S. 533) erfolgte nur zur Klarstellung (vgl. BT-Drs. 7/3020 S. 26; …).

Die Auffassung des VG, die fingierte Widmung sei ohne ihre Bekanntmachung nach Art. 6 Abs. 6 Satz 3 BayStrWG i.d.F.v. 25.4.1968 wirksam geworden …, greift die Beschwerde nicht an. Für diese Auslegung spricht auch der mit der Widmungsfiktion verfolgte Zweck, eine verfahrensmäßige Angleichung des straßenrechtlichen Verfahrens an das bundesrechtlich bestimmte Flurbereinigungsverfahren zu erreichen (vgl. Gesetzentwurf der Staatsregierung, Bayerischer Landtag, 3. Legislaturperiode, Beilage 2832 S. 23). Dementsprechend wurde in der Literatur vertreten, dass der Bekanntmachung nur deklaratorische Wirkung zukommt (vgl. Prandl/Gillessen, BayStrWG, 1. Aufl. 1968, Art. 6 Anm. 5).“

Keine Umdeutung in eine Teileinziehung

„Die Voraussetzungen des Art. 47 BayVwVfG für eine Umdeutung der streitbefangenen Widmung in eine Teileinziehung gemäß Art. 8 Abs. 1 Satz 2 BayStrWG, mit der die im Flurbereinigungsverfahren fingierte Widmung als öffentlicher Feld- und Waldweg (vgl.Art. 53 Nr. 1 BayStrWG) nachträglich auf den öffentlichen Fußgänger- und Radverkehr (vgl. Art. 53 Nr. 2 BayStrWG) beschränkt wird, liegen nicht vor. Zwar richten sich die Teileinziehung und die Widmungsbeschränkung (Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayStrWG) auf das gleiche Ziel. Sie beschränken den Gemeingebrauch auf bestimmte Benutzungsarten, weshalb auch von einer Ergebnissymmetrie dieser beiden Rechtsinstitute gesprochen wird (vgl. Häußler in Zeitler, BayStrWG, Art. 8 Rn. 18). Die formellen Voraussetzungen für den Erlass einer Teileinziehungsverfügung sind vorliegend aber nicht erfüllt, weil der Antragsgegner seine Einziehungsabsicht nicht drei Monate vorher ortsüblich bekanntgemacht hat (vgl. Art. 47 Abs. 1 BayVwVfG a.E. i.V.m. Art. 8 Abs. 2 BayStrWG). Die Bekanntmachungspflicht gilt auch für eine Teileinziehung (vgl. Häußler in Zeitler, BayStrWG, Art. 8 Rn. 31 und Art. 53 Rn. 28).“

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 17.6.2024 – 8 CS 24.721

Beitrag entnommen aus Fundstelle Bayern 5/2025, Rn. 52.