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BayVerfGH: Glücksspielrechtliche Erlaubnis bei Spielhallen

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Der Bayerische Verfassungsgerichtshof (BayVerfGH) hat mit Entscheidung vom 28.06.2013 mehrere zur gemeinsamen Entscheidung verbundene Popularklagen abgewiesen, die sich gegen Regelungen im Glücksspielstaatsvertrag sowie im Ausführungsgesetz zu diesem Vertrag richteten.

Gegenstand der Popularklagen

Gegenstand der zu gemeinsamer Entscheidung verbundenen Popularklagen sind folgende Regelungen:

  • Erlaubnisbedürftigkeit der Errichtung und des Betriebs einer Spielhalle (§ 24 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GlüStV, Art. 11 Abs. 1 Satz 1 AGGlüStV),
  • Mindestabstand von 250 m Luftlinie zwischen Spielhallen (§ 25 Abs. 1 GlüStV, Art. 9 Abs. 3 AGGlüStV),
  • Verbot von Spielhallen in einem baulichen Verbund (§ 25 Abs. 2 GlüStV, Art. 9 Abs. 2 Satz 1 AGGlüStV),
  • Übergangsregelungen für bestehende Spielhallen (§ 29 Abs. 4 GlüStV, Art. 11 Abs. 1 Satz 2 AGGlüStV).

Stellungnahmen

1. Antragsteller

Die Antragsteller rügen, die angegriffenen Regelungen verstießen gegen das Übermaßverbot, weil für die Bevölkerung infolge der gestiegenen Anzahl der Spielhallen keine (höhere) Suchtgefahr bestehe. Die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 101 BV) der Spieler sei verletzt, da auch selbstgefährdendes Verhalten eine Freiheitsausübung darstelle und es nicht Aufgabe des Gesetzgebers sei, den Einzelnen vor sich selbst zu schützen. Die Normierung eines Mindestabstands zu anderen Spielhallen und das Verbot der Mehrfachkonzession hätten eine nicht zu rechtfertigende objektive Berufswahlsperre zur Folge, da ein faktisches Errichtungsverbot für neue Spielhallen begründet werde. Wegen ihrer enteignenden Wirkung im Hinblick auf bestehende Spielhallen verletzten die angefochtenen Bestimmungen das Grundrecht auf Eigentum (Art. 103 BV). Sie entfalteten auch eine unzulässige echte Rückwirkung. Das Rechtsstaatsprinzip (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV) sei verletzt, da dem Landesgesetzgeber die Gesetzgebungskompetenz fehle und gegen die unionsrechtlich gewährleistete Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit verstoßen werde.

2. Landtag und Staatsregierung

Der Bayerische Landtag und die Bayerische Staatsregierung halten die Popularklagen für unbegründet. Die angegriffenen Bestimmungen regelten die wirtschaftliche Betätigung des Betriebs von Spielhallen, indem sie ordnend und lenkend in diesen Wirtschaftszweig eingriffen. Ziel sei die Bekämpfung der Spielsucht; zu diesem Zweck solle die in bestimmten Gebieten bestehende hohe Dichte an Spielhallen verringert werden. Dafür stehe dem Landesgesetzgeber die Gesetzgebungskompetenz zu; ein Verstoß gegen Unionsrecht sei nicht ersichtlich. Es handle sich um Regelungen zur Berufsausübung, die besonders wichtigen Gemeinwohlzielen dienten und daher gerechtfertigt seien. Der Gesetzgeber habe angemessene Übergangs- und Befreiungsregelungen geschaffen, die dem Vertrauensschutz sowie den Besonderheiten von Einzelfällen Rechnung trügen. Da sich spielsüchtige Personen häufig in einem Zustand befänden, in dem eine freie Willensbildung nicht mehr uneingeschränkt möglich sei, könne von einem unzulässigen Schutz vor eigenverantwortlicher Selbstgefährdung keine Rede sein.

Zur Entscheidung im Einzelnen

1. Kein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip

Die angegriffenen Bestimmungen sind mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV) vereinbar.

a) Kein Verstoß gegen höherrangiges Recht

Es liegen keine Verstöße gegen höherrangiges Recht vor, die als Verletzung des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV zu einer Verfassungswidrigkeit führen könnten.

Der Landesgesetzgeber kann für sich die Kompetenznorm des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 i. V. m. Art. 70 Abs. 1 GG in Anspruch nehmen. Das Recht der Spielhallen gehört nach der Neuordnung der Gesetzgebungszuständigkeiten durch die Föderalismusreform im Jahr 2006 in die Gesetzgebungskompetenz der Länder. Der Landesgesetzgeber hat auch nicht Materien geregelt, die in Wahrheit dem Bodenrecht nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG und damit der Bundeskompetenz unterfallen. Mit den Zielen, die § 1 GlüStV im Blick hat, insbesondere der Bekämpfung der Spielsucht, befasst sich das Bauplanungsrecht nicht. Auch ein Verstoß gegen Recht der Europäischen Union ist nicht ersichtlich.

b) Kein Verstoß gegen Grundsatz des Gesetzesvorbehalts oder Bestimmtheitsgebot

Die angegriffenen Befreiungs- und Ausnahmetatbestände verstoßen weder unter dem Gesichtspunkt des Vorbehalts des Gesetzes noch im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot gegen Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV.

Nach § 29 Abs. 4 Satz 4 GlüStV kann die zuständige Behörde nach Ablauf der fünfjährigen Übergangsfrist eine Befreiung von der Erfüllung einzelner Anforderungen des § 24 Abs. 2 sowie des § 25 GlüStV für einen angemessenen Zeitraum zulassen, wenn dies zur Vermeidung unbilliger Härten erforderlich ist. Hierbei handelt es sich um eine Regelung, die ihre inhaltliche Begrenzung aus der Übergangssituation erfährt und deren Anwendung zudem gemäß § 29 Abs. 4 Satz 4 Halbsatz 2 GlüStV von weiteren Voraussetzungen abhängig ist. Nach Art. 9 Abs. 3 Satz 2 AGGlüStV kann die zuständige Behörde unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Umfeld des jeweiligen Standorts und der Lage des Einzelfalls Ausnahmen vom Mindestabstand zulassen. Die wesentlichen Bedingungen, unter denen eine Befreiung oder Ausnahme in Betracht kommt, werden daher nicht einer ungeregelten Verwaltungspraxis überlassen. Gerade bei der Regelung von Übergangssachverhalten und einzelfallbezogenen Ausnahmen kann sich der Gesetzgeber auch zulässigerweise auf die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe, wie die Vermeidung unbilliger Härten, stützen.

Ebenso wenig greift die Rüge durch, § 29 Abs. 4 GlüStV verletze das Rechtsstaatsprinzip, weil er keine hinreichenden Regelungen für die Lösung von Konkurrenzsituationen bei bestehenden Spielhallen enthalte, wenn diese den Mindestabstand nicht einhielten oder in einem baulichen Verbund mit weiteren Spielhallen stünden. Auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung versteht es sich von selbst, dass die Verwaltungsbehörden eine Auswahlentscheidung nach sachlich gerechtfertigten Gründen zu treffen haben.

c) Keine unzulässige Rückwirkung

Das Rechtsstaatsprinzip ist nicht wegen unzulässiger Rückwirkung verletzt.

Im Grundsatz wird die neue Rechtslage durch § 29 Abs. 4 Satz 1 GlüStV auf bestehende Spielhallen erstreckt. Um einen Interessenausgleich zwischen der angestrebten umfassenden Regelung des Glücksspielmarktes mit Einschluss der Spielhallen und den berechtigten Erwartungen der Spielhallenbetreiber an die Amortisation getätigter Investitionen zu erreichen, sind Übergangsbestimmungen vorgesehen (§ 29 Abs. 4 GlüStV i. V. m. Art. 11 Abs. 1 Satz 2 AGGlüstV). Der Gesetzgeber hat zunächst zwischen Fällen unterschieden, bei denen bis zum 28. Oktober 2011, dem Tag der Beschlussfassung der Ministerpräsidentenkonferenz zum Glücksspielstaatsvertrag, bereits eine gewerberechtliche Erlaubnis erteilt war, und solchen, die erst nach diesem Zeitpunkt genehmigt wurden. Erstere genießen einen Bestandsschutz von fünf Jahren nach Inkrafttreten des Staatsvertrags; auch nach Ablauf dieser Frist kann zur Vermeidung unbilliger Härten u. a. von der Einhaltung des Mindestabstands und dem Verbot des Betreibens von Spielhallen in baulichem Zusammenhang befreit werden. Für Spielhallen, die erst nach dem 28. Oktober 2011 genehmigt wurden, gilt hingegen nur einen einjähriger Übergangsschutz. Die Differenzierung ist sachgerecht, weil nach der Beschlussfassung der Ministerpräsidenten mit dem Inkrafttreten des Staatsvertrags zu rechnen war; der Gesetzgeber hat sein Ermessen nicht überschritten, wenn er Mitnahmeeffekte für den Übergangszeitraum vermeiden wollte. Der Gesetzgeber hat sein Interesse an einer kohärenten und wirksamen Regelung des Glücksspiels in einer Weise gegen die wirtschaftlichen Interessen der Spielhallenbetreiber abgewogen, die nicht als fehlerhaft anzusehen ist.

2. Kein Verstoß gegen die Berufsfreiheit oder die allgemeine Handlungsfreiheit

Die angegriffenen Regelungen verstoßen weder gegen die Berufsfreiheit der Spielhallenbetreiber noch gegen die allgemeine Handlungsfreiheit der Spieler (Art. 101 BV).

a) Aspekt der Erlaubnispflichtigkeit

Die Einführung des Erlaubnisvorbehalts und die Anforderungen an die Erteilung einer Erlaubnis sollen das Entstehen von Glücksspielsucht verhindern und die Voraussetzungen für eine wirksame Suchtbekämpfung schaffen, durch ein begrenztes Glücksspielangebot den natürlichen Spieltrieb der Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen lenken, den Jugend- und Spielerschutz gewährleisten und die mit Glücksspielen verbundene Folge- und Begleitkriminalität abwehren. Der Verfassungsgerichtshof hält daran fest, dass der Gesetzgeber vor allem mit der von ihm beabsichtigten Verhinderung und Bekämpfung der Spielsucht ein besonders wichtiges Gemeinwohlziel verfolgt.

Durch den Erlaubnisvorbehalt wird sichergestellt, dass im Rahmen eines präventiven Genehmigungsverfahrens geprüft werden kann, ob das jeweilige Vorhaben mit den Zielen des Gesetzgebers vereinbar ist. Es steht außer Frage, dass das Abstandsgebot und das Verbot von Spielhallen in einem baulichen Verbund den nach den Erfahrungen der letzten Jahre ansonsten zu erwartenden weiteren Zuwachs im Spielhallenbereich begrenzen können. Nach der Einschätzung des Gesetzgebers kann dies zu einer wirksamen Bekämpfung der Glücksspielsucht beitragen, da ein Zusammenhang zwischen dem Umfang des Angebots und dem Maß der Suchtgefahren bestehe. Durch die mittels des Abstandsgebots bewirkte Auflockerung der Ansammlung von Spielhallen soll es für Spieler ferner schwieriger werden, von einer Spielhalle in die nächste zu wechseln.

Der Gesetzgeber kann für sich in Anspruch nehmen, dass es laut Erkenntnissen der Landesstelle Glücksspielsucht allein im Freistaat Bayern zwischen 16.000 und 44.000 Personen gibt, die an Spielsucht leiden. Dass die Interessen der Spielhallenbetreiber demgegenüber zurücktreten müssen, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, zumal Spielhallen auch künftig in einer Größe zugelassen werden dürfen, die einen wirtschaftlichen Betrieb ermöglicht.

b) Aspekt der Verhältnismäßigkeit

Die Spielmöglichkeiten werden nur eingeschränkt; das Glücksspiel an Geldspielautomaten wird erschwert, aber nicht beseitigt. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf die allgemeine Handlungsfreiheit der Spieler ist daher gewahrt.

3. Keine Verletzung des Grundrechts auf Eigentum

Das Grundrecht auf Eigentum (Art. 103 Abs. 1 BV) ist nicht verletzt.

Die Betreiber bestehender Spielhallen sind insoweit in ihrem Grundrecht auf Eigentum berührt, als sie die neuen glücksspielrechtlichen Erlaubnisvoraussetzungen (Abstandsgebot und Verbot von Spielhallen in einem baulichen Verbund) nicht erfüllen und der Fortbestand ihrer Betriebe nach Ablauf der Übergangsfristen infrage steht. Der Gesetzgeber hat die Grenzen der inhaltlichen Eigentumsbeschränkung in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise beachtet. Auch nach Ablauf der Übergangsfristen werden die bestehenden Möglichkeiten zur Nutzung der Spielhallen nicht beseitigt, sondern nur eingeschränkt. Zum einen können dann Befreiungs- und Ausnahmetatbestände in Betracht kommen. Zum anderen ist eine wirtschaftliche Verwertung der bestehenden Spielhallen, gegebenenfalls nach einer Nutzungsänderung, weiterhin möglich. Angesichts des überragend wichtigen Gemeinschaftsguts, das der Gesetzgeber mit der Bekämpfung der Spielsucht verfolgt, muss es ihm möglich sein, das von ihm vertretene Schutzkonzept innerhalb eines vertretbaren Zeitraums in die Tat umzusetzen.

4. Keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes

Art. 118 Abs. 1 Satz 1 BV ist nicht dadurch verletzt, dass für Spielhallen andere Regelungen gelten als für Spielbanken, obwohl auch dort Automatenspiele zugelassen sind.

Sowohl Spielbanken als auch Spielhallen unterliegen einschränkenden glücksspielrechtlichen Erlaubnisvorbehalten. Der Gesetzgeber muss die Erlaubnisvoraussetzungen nicht identisch regeln, sondern vielmehr ein kohärentes Regelungskonzept anbieten, das auf den jeweiligen Charakter des Spielangebots in Spielbanken und Spielhallen zugeschnitten ist. Bei der konkreten Ausgestaltung kommt dem Normgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu, der nicht überschritten ist.

Bayerischer Verfassungsgerichtshof, E. v. 28.06.2013, Vf. 10-VII-12, Vf. 11-VII-12, Vf. 12-VII-12, Vf. 14-VII-12, Vf. 19-VII-12; PM v. 01.07.2013